Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

TV-Krimis: Die Mordlust der Deutschen

20. April 2011, 22:48

Im deutschen Fernsehen scheint es ein ehernes Gesetz zu geben: Jeder Schauspieler, der zwei Sätze geradeaus sprechen kann, wird Serienkommissar.

„Vier Mal Gänsehaut!“ haucht die weibliche Stimme, als würde sie die siebte Staffel des Traumschiffs ankündigen und nicht das „mörderische“ Oster-Wochenende. Seit Tagen werden die Fernseh-Zuschauer mit dieser um sich greifenden Trailer-Pest genervt. Zugegeben, es gibt gute Fernsehkrimis (den Münchner Tatort z.B.), aber es gibt auch reihenweise schlechte. Und diese Reihen nehmen stark zu.

Auf deutschen Fernsehkanälen werden – grob geschätzt – jeden Tag mehrere Dutzend Leichen obduziert. Allein die Dialoge aus der Pathologie könnten die Regale sämtlicher Medien-Institute mit Doktorarbeiten füllen. Sollten eines Tages Außerirdische unser Fernsehprogramm studieren, werden sie glauben, in einem Polizeistaat gelandet zu sein, in dem Heerscharen von Kommissaren an Currywurstbuden herumhängen und ihre Familien vernachlässigen.

Vor allem die Tatmuster der beliebten Serienmörder lassen sich schon im Schlaf herunterbeten. Man muss eigentlich nur die Anfangsbuchstaben der zwölf Apostel mit der Zahl Pi multiplizieren, schon hat man die Geodaten, die anzeigen, wo das nächste Opfer lebendig begraben liegt. Zuverlässig schmücken die Serienmörder ihre Kellerverliese mit brennenden Kerzen, zerbrochenen Spiegeln, Christus-Kreuzen und Folterbestecken, und alle Kommissare brechen in letzter Minute Türen auf, um mit beidhändig umklammerten Pistolen den Lockvogel zu retten.

Irgendwo in den Redaktionen scheint es einen Krimi-Baukasten zu geben, aus dem die Drehbuchschreiber ihre Fließband-Plots zusammenschrauben. Als sendefähig gilt, was mindestens drei der bewährten Bausteine enthält.

Tatverdächtig ist meist der gierige Pharmaunternehmer, der den Hals nicht voll genug kriegen kann und seine Gewinne mit illegalen Experimenten an Kindern macht, die von bösen Männern in fensterlosen Transportern aus der Ukraine eingeschleust werden. Den Mord aber begeht stets die eifersüchtige Ehefrau.

Beliebt bei Drehbuchschreibern ist der Köfferchen tragende, in einem weißen Ganzkörper-Overall steckende Spurensicherer; der Pizzalappen fressende Kommissar im Dienstfahrzeug bei der Überwachung eines Verdächtigen; der Polizist, der den Kopf von Tatverdächtigen beim Einsteigen in den Streifenwagen nach unten drückt; der Kommissar, der mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wird, weil sein Handy auf dem Nachttischchen tanzt… Ich vermute, dass 20 Prozent aller Krimi-Szenen heute aus Handy-Telefonaten bestehen, und dass die Dramaturgie der Handlung fast nur noch über Handy-Anrufe gesteuert wird.

Viele der Fertigteile aus dem Krimi-Baukasten befinden sich schon im Spätstadium der Selbstparodie: etwa die Szene am Kaffeeautomaten des Polizeipräsidiums oder die fest umklammerten Kaffeepötte in den Großraumbüros und bei Verhören; die Recherche am Polizeicomputer; das Knacken eines Computer-Passworts; die Durchsicht der Verbrecherkartei; die Erarbeitung eines Phantombilds mit Hilfe eines Augenzeugen. Obwohl jeder weiß, dass Fernseh-Mörder ihre Taten prinzipiell filmen (oder bei der Tat von Überwachungskameras gefilmt werden), damit die entsprechenden DVDs von den Kommissaren in den nächsten erreichbaren Rekorder geschoben werden können.

Es ist die Konfektionsware, die das Grauen so langweilig macht. Dieses Grauen, das immer öfter darin besteht, dass Kinder entführt, geschlagen missbraucht, gequält, verkauft oder ermordet werden. Der deutsche Krimi ist schon ein seltsames Familienprogramm.

Die Bärte der dabei eingesetzten Klischees kann man um den heimischen Flachbildschirm wickeln: die druckreif sprechende Unterschicht mit der Bügelflasche im Anschlag oder der Kippe im Mundwinkel; das Provinzkaff, das stets ein dunkles Geheimnis birgt (meist eine Gruppenvergewaltigung, an der auch der Gastwirt und der schwachsinnige Sohn des Bürgermeisters beteiligt waren); der korrupte und schmierige Politiker, der seinen Hals aus der Schlinge ziehen will, und am Ende ein so widerliches Würstchen ist, dass selbst die Ehefrau das Alibi verweigert; die ehrgeizige Übermutter aus der sterilen Vorortvilla, deren verzogenes Einzelkind in die Fänge einer Schülergang gerät; der redliche Bauer, der seinen Hof nicht an die kalten Investoren der Dorfmafia verkauft, und dessen hübsche Tochter die Ermordung ihres Vaters auf eigene Faust rächt; der großkotzige, aber feige Journalist, der die eigene Großmutter für eine gute Story verkaufen würde und dessen Schlagzeilen stets dazu führen, dass ein aufgebrachter Vorgesetzter ins Büro der Kommissare stürmt, um ihnen das Revolverblatt vor die Nase zu halten; und schließlich der Kommissar selbst, der in einer verkrachten Hotelpension lebt, seit er von seiner Frau verlassen wurde, und dem nun eine gut aussehende Anfängerin von der Polizeischule vor die Nase gesetzt wird, die dem Mann theoretisch, aber eben nicht praktisch überlegen ist, was nur im Bett der Hotelpension enden kann.

Kurzum: Es reicht. Es ist einfach zu viel vom immer Gleichen, von hastig zusammengeleimten Drehbüchern und lausig gespielten Charakteren. Es fehlt ein Hauch von Wirklichkeit. Denn das echte Verbrechen – Körperverletzung, Nötigung, Hausfriedensbruch, Betrug, Fälschung, Schmuggel, Amtsmissbrauch, Raub, Drogenhandel – findet im Fernsehkrimi nicht statt. Es muss Mord sein. Am besten: Serienmord.

2009 wurden in Deutschland 365 Menschen ermordet. Die Zahl der Morde sinkt seit vielen Jahren. Im Fernsehen aber ist Mord zur inflationären Billigware aufgestiegen. Das Morden langweilt.

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5 Kommentare

  1. Ein bißchen nachdenklich geschmunzelt. Recht haste.

  2. Ich gebe zu, gerne Krimis zu schauen. Aber bitte solche, die klug aufgesetzt und mit guten Schauspielern bestückt sind. Mit überraschenden Wendungen und unerwarteten Details. 0815 Krimis bieten das nicht.
    Warum ich Krimis schaue? Ich finde es entspannend, das am Ende des Films in 99% aller Filme der/die Täter_in aufgespürt und dingfest gemacht wird. Danach schläft es sich gleich viel besser …
    In der Realität sieht es ja leider ein klein wenig anders aus. Zwar wird die Mehrzahl der Morde aufgeklärt, bei anderen Verbrechen sieht es jedoch schlechter aus. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum gerade Morde im Fernsehkrimi die Hauptrolle spielen: sie werden aufgeklärt und jede_r hasst den/die böse Täter_in. Bei einem Bankraub könnte dieses Bild gut/böse allzuleicht durchbrochen werden, wenn Täter einfach arme Schweine sind, die sich nicht mehr anders zu helfen wussten. Die Zuschauer_innen dürfen sich nicht mit Täter_innen identifizieren. Das ist bei Mord am einfachsten zu erreichen.

  3. @Piratenweib: Sehr interessante Hinweise. Der Krimi als moralische Anstalt, der Kommissar als Seelsorger- und der Serien-Täter als Teufel-Ersatz. Solche Predigten sind 1 x in der Woche (am Sonntag!) o.k., auch wenn sie nach Schema F ablaufen, aber 30 oder 50 der/artige Predigten pro Woche, das haut den stärksten Gläubigen um.

  4. Ich denke deine Gedanken teilen schon seit einigen Jahren viele Gebührenzahler, nur ändern tut sich eben nichts. Erscheint einem ähnlich wie die Talk-Show-Epidimie: Da finden die Öffentlich-Rechtlichen etwas halbwegs erfolgreiches (Quote Quote Quote!*), was sie zudem halbwegs von den Privaten abgrenzt – und dann wird es totgesendet (diese Woche kommt z.B. dreimal Lanz) und die Qualität leidet entsprechend. (Ein weiteres Beispiel sind die Kochsendungen vor allem in den Dritten.)

    * Um mal meinen Frust runterzuschreiben: Der „Bildungsauftrag“ ist in den letzten Jahren sowieso verloren gegangen. Wie sonst soll man 50 Millionen für die Champions League (die bei sat.1 doch gut übertragen wird) oder bald 100 Millionen für die Bundesliga (zur Zeit ja sogar mit Werbung, kann ran bestimmt auch und für uns alle billiger) sonst rechtfertigen? Die Quote hat mit dem, was das Volk mit seinem Geld angestellt haben will eben nichts zu tun…

  5. Ich komme nach Hause, stell den Fernseher an…und nur noch Krimis, Reportagen über die Polizei, Berichte über Razzien, CSI, FBI, mehrere Tatorte, Gerichtsmediziner, Detektive, Versicherungsdetektive, Ordnungsamtschnüffler…und und und. Oft denke ich, Sender wie ARD, ZDF, RTL und vor allem Sat1 zeigen nichts anderes mehr als nur das. Ob die das von den Bilderbergern so diktiert bekommen ?…anfangs dachte ich noch, diese Serien werden den Bürgern per Langzeit-Gehirnwäsche eingebläut…aber immer öfter höre ich, dass die Bürger das erst mist fanden, aber mitlerweile sowas gerne täglich sehen.

    Ich hab ja immer hin die Chance, den ganzen Gehirnwäsche-Blödsinn per Fernbedienung auszustellen (obwohl es nicht mehr viele Sender gibt, die nichts in der Art zeigen).

    Ich kann mir denken, dass die Gewalttaten gegen Polizisten und dergleichen gerade deswegen so stark zugenommen haben, weil die Ordnungshüter ständig überall present sind…nicht nur im eigenen Dorf ständig herumkurven, sondern in fast allen Programmen in Dauerschleife.

    Mir ist das alles zu viel…ich denke jeden Tag daran meinen Fernseher zu entsorgen und mich mal wieder meinen alten Büchern zu widmen.

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