Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Die Spekulanten sind unsere Terroristen

7. November 2011, 10:38

Der Angriff der Finanzmärkte auf die Schuldenstaaten der EU wird hierzulande mit ähnlichen Metaphern beschrieben wie der Angriff der Terroristen auf die Zitadellen des Westens. Auch die Folgen gleichen sich: Spekulanten-Abwehr und Anti-Terror-Kampf begünstigen den Abbau der Demokratie durch ein autoritäres Krisenmanagement.  

Süddeutsche Zeitung, Aufmacher, 5. November 2011: Beim G-20-Gipfeltreffen der Staatschefs in Cannes fordert Nicolas Sarkozy EZB und EFSF zur Intervention auf, „falls die Finanzmärkte Italien attackierten.“ Die US-Regierung will gar die große „Bazooka“ herausholen, „eine Panzerabwehrwaffe im Krieg der Politik mit den internationalen Finanzmärkten.“ (SZ, 7.11.)

Seit Jahren beherrscht die europäische Krisenbewältigung unsere Schlagzeilen. Und viele Medien liefern, im Schlepptau der Börsenkurse, die passende Begleitmusik. Ein Minus von 1,5 Prozent? „Der Dax knickt ein“, die Börsen „stürzen ab“, Spekulanten schicken die Börsen „auf Talfahrt“. Abwehr und Angriff, Attacke und „in die Zange nehmen“, den schwächsten Staat im Rudel angreifen, Brandmauern hochziehen – wir merken schon gar nicht mehr, wie uns das hysterische Kriegsvokabular die Hirne verklebt. In Amerika, wo der „Anti-Terror-Kampf“ seit über zehn Jahren das politische Bewusstsein der Mehrheit trübt, sind die Folgen zu besichtigen: eine Radikalisierung der politischen Kultur bei gleichzeitigem Abbau der Demokratie.

Europa blüht in seiner Finanzkrise das Gleiche. Denn unsere Terroristen heißen Spekulanten. Oder – allgemeiner gesprochen – „Märkte“. „Die Märkte“ greifen an, und die Staaten müssen sich verteidigen. Es herrscht Krieg. Und in diesem Ausnahmezustand muss die Demokratie, die so kompliziert und umständlich erscheint (und offensichtlich nur für Friedenszeiten taugt) ein wenig zurückstehen. Abstimmen kann man ja später immer noch. Zunächst gilt es, die Reihen fest zu schließen und rasch zu handeln, damit die Finanzspekulanten nicht Lunte riechen. So lautete die Begründung, warum der Bundestag seine Maßnahmen gegen Spekulanten in einem geheim tagenden Neuner-Gremium beschließen soll. Der Bundestag als GSG-9. Schnell reagieren, wenig diskutieren, effektiv zuschlagen.

Die geistige Implementierung der Gegensatzpaare „Terroristen – Westen“ und „Finanzspekulanten – Staaten“ erleichtert es den Abwehrstrategen, militärische Befehlsstrukturen einzuziehen und demokratische Entscheidungsprozesse abzubauen. Wenn Not am Mann ist, wird nicht lange gefackelt.

Und die Medien befeuern – mit nur wenigen Ausnahmen – alles, was nach autoritären Lösungen ruft. Da sie die Bedrohung durch Spekulanten genauso aufblasen wie US-Medien die Bedrohung durch Terroristen, scheint es keine Alternative zu geben. In der Griechenlandtragödie lief es am Ende – fast unwidersprochen – auf die Erpresserbotschaft hinaus: Entweder „ihr“ macht, was „wir“ wollen, oder ihr fliegt raus! Inzwischen können sich viele Bürger – dank der medialen Bearbeitung – mit dem autoritären Krisenmanagement der politischen Eliten identifizieren. Merkels Ansehen stieg sofort, als sie in Cannes „ein Machtwort“ sprach.

Dass sich Staaten und Spekulanten, Terroristen und „Westen“ gegenseitig ergänzen (und vielleicht sogar brauchen) – mit dieser „skandalösen“ Erkenntnis dringen Demokraten in der Debatte kaum noch durch. Kritik in der Stunde der Not stellt die Kritiker ins Abseits. Meinungsfreiheit wird ihnen zwar in einigen Nischenmedien garantiert, doch gut bekommen soll sie ihnen nicht. Denn wir leben im Ausnahmezustand. Und jeder weiß, dass nur derjenige souverän ist, der den Ausnahmezustand beendet.

Wie sagte der mittlerweile 93-jährige US-Demokrat George McGovern in einem Interview der SZ: „Das Problem mit der amerikanischen Politik ist, dass die Republikaner kein Hirn und die Demokraten keine Eier haben.“ Auch diese Einschätzung ließe sich mühelos auf die Verhältnisse in Europa übertragen.

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1 Kommentar

  1. Und da gleichzeitig die Bildung zunehmend vernachlässigt wird, müssen wir uns auch keine Gedanken mehr über Menschen machen, die Sprache auf ihre Aussage hin überprüfen. Spätestens die übernächste Generation wird das nicht mehr anfechten. Vielleicht finden sich ja einfallsreiche Wissenschaftler, die das menschliche Hirnkastl so konditionieren, dass in 200 Jahren nur noch verschiedene Betonungen von „blubb“ existieren. Der Fisch als Vorbild.

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