Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste Piratenpartei im Land?

24. November 2011, 21:27

Die Grünen, heißt es, haben die netzpolitische Vorherrschaft an die Piraten verloren. Ist das so? Oder missfällt den Lobby-Verbänden nur der netzpolitische Leitantrag der Grünen für die am Wochenende stattfindende Bundesdelegiertenkonferenz?

Leitanträge haben es in sich. Erstens sind sie furchtbar lang, und zweitens sind sie meist in jenem schauderhaften Antragsdeutsch geschrieben, das einem schon nach den ersten drei Absätzen auf den Wecker fällt. Beim netzpolitischen Leitantrag der Grünen ist das nicht anders. Doch so steif das Papier auch ist, so legt es sich doch engagiert mit jenen an, die im oder mit dem Netz Geld verdienen (wollen). Ihnen tut dieser Leitantrag richtig weh.

Beginnen wir mit dem Wichtigsten: Netzpolitik ist für die Grünen ein Megathema geworden. Denn Netzpolitik betrifft fast alle Lebensbereiche und politischen Ressorts: die Wissenschafts- und die Kulturpolitik, die Rechts- und die Innenpolitik, die Jugend- und die Verbraucherpolitik, die Umwelt- und die Wirtschaftspolitik. „Netzpolitik“, heißt es im Leitantrag, „ist das große Querschnittsthema unserer Zeit.“

Und weil das so ist, halten die Grünen es für die wichtigste Aufgabe, „ein offenes und freies Internet für alle sicherzustellen“. Das ist der Kernsatz des Leitantrags.

Für die Grünen ist der Breitbandzugang ins Internet ein universales Menschenrecht – wie der Zugang zu sauberem Wasser. Er soll jedem Bürger ab 2020 diskriminierungsfrei mit mindestens 30 Megabit pro Sekunde zur Verfügung stehen (und niemand darf den Zugang wegen irgendwelcher Kinkerlitzchen einfach sperren). Die Gleichbehandlung beim Datentransport – die Netzneutralität – soll überdies im Grundgesetz verankert werden.

Ebenfalls ins Grundgesetz soll der Datenschutz, damit künftig alle, die das wollen, das Sammeln und Verwenden ihrer persönlichen Daten gerichtlich überprüfen lassen können.

Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung lehnen die Grünen ebenso ab wie die pauschale Weitergabe von Fluggastdaten im Rahmen von so genannten Antiterrormaßnahmen. Umgekehrt sollen alle öffentlichen Verwaltungen, staatlichen Hochschulen und öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten verpflichtet werden, ihre Sendungen, Forschungsergebnisse, Dokumente, Analysen, Gutachten, Erhebungen und Statistiken für alle interessierten Bürger im Internet vorrätig zu halten. Schließlich haben die Bürger für diese Leistungen ja ihre Steuern bezahlt.

Darüber hinaus fordern die Grünen einen gesetzlichen Schutz für Whistleblower, für Leaking-Plattformen und für die grundsätzliche Gewährleistung der Anonymität im Internet.

Noch fehlt den Netzpolitikern der Sinn für die Urheber

Der Knackpunkt des Leitantrags – und der tiefere Grund, warum die Grünen diesmal eine schlechte Presse bekommen – ist der Frontalangriff auf das Urheberrecht. Hier, so scheint es, sind die Grünen immer noch etwas piratiger als die Piraten (auch wenn manche Beobachter das anders sehen möchten). Insbesondere differenzieren die Grünen nicht ausreichend zwischen den drei vom Urheberrecht betroffenen Gruppen: den Urhebern, den Verwertern und den Nutzern. Oft verkürzen die Grünen (wie die Piraten) den Interessenkonflikt auf den Gegensatz zwischen Verbrauchern und Verwertern, während der Dissens zwischen Urhebern und Verwertern außen vor bleibt. Weder die Grünen noch die Piraten haben bislang einen ernsthaften Dialog mit den Urhebern begonnen.

Die von den Grünen geforderte Reform des Urheberrechts ist also vor allem eine Reform zugunsten der Nutzer (und einiger weniger Big Player der Internet-Industrie). Der grüne Leitantrag plädiert z.B. für eine radikale Verkürzung der Schutzfristen von 70 auf 5 Jahre; er will Schülern und Künstlern, denen nichts Eigenes einfällt, erlauben, freizügig mit den Werken anderer umzugehen (Mash-Up, Remix); und er will Verbrauchern das Recht einräumen, legal erworbene „gebrauchte“ Dateien bei Ebay zu verkaufen wie gebrauchte Bücher oder alte Schallplatten. Den Einsatz von Internetsperren wegen fortgesetzten Raubkopierens (wie in Frankreich) lehnen die Grünen vehement ab.

Stattdessen wollen sie die in der Gesellschaft weit verbreitete nicht-kommerzielle Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke – ohne dass für deren Nutzung bezahlt wird – auf einem sozial verträglichen Weg entkriminalisieren: Das Abmahnunwesen mit seinen Auswüchsen (vor allem bei einfach gelagerten Fällen) soll durch eine deutliche Streitwertherabsetzung, eine Kostendeckelung bei den Anwaltsgebühren oder eine kostenfreie Erstabmahnung eingedämmt werden. Um Massen-Abmahnungen überflüssig zu machen, streben die Grünen zur Abgeltung nicht-kommerzieller Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke langfristig eine bandbreitenabhängige Pauschalabgabe an (= Kulturflatrate), deren Erlöse – wie schon bei den bisherigen Pauschalabgaben für Speichermedien oder Fotokopierer – den Urhebern über eine Verwertungsgesellschaft zugute kommen sollen. Ein besonderes Leistungsschutzrecht für Presseverlage lehnen die Grünen dagegen ab.

All das hören die Presseverleger, die Musikverwerter, die Filmproduzenten und die Künstlerorganisationen (in ihrer überwiegenden Mehrzahl) höchst ungern. Bereits im Vorfeld des Parteitages wurde deshalb gegen den grünen Leitantrag scharf geschossen. Und auch intern ist der Antrag umstritten. Es wird hier wohl eine ähnliche Kampfabstimmung stattfinden müssen wie beim SPD-Parteitag in Sachen Vorratsdatenspeicherung. Oder anders ausgedrückt: Die Netzpolitik ist auf dem besten Wege, ein ähnlich großer Zankapfel zu werden wie die Atomkraft.

Update 28.11.: Hier der am Sonntag beschlossene, in einigen Passagen veränderte netzpolitische Leitantrag der Grünen

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3 Kommentare

  1. Danke, W. Michal, dass Sie das mangelnde Verständnis für Urheber mal kurz und knackig auf den Punkt bringen – seit Jahren werde ich wie viele kleine Urheber schleichend enteignet und muss mich dafür auch noch rechtfertigen. Wenn „innovative Geschäftsmodelle“ mit meinen Werken Geschäfte machen, ohne mich gerechterweise zu fragen oder zu beteiligen, ist das schlicht Unrecht. Dass man mit Grünen, noch weniger mit Piraten, hierüber nicht reden kann, ist enttäuschend. Traditionell geht diesen Gruppen der Respekt vor schöpferischer Leistung ab, sie verstehen einfach nicht, was Kultur bedeutet, wie sehr sie von alter Kultur noch profitieren, und wie schrecklich eine Gesellschaft der enteigneten Kultur (ver)enden wird. Meine Stimme haben sie nicht mehr.

  2. Darf ich daraus schließen, dass sich die aufweichenden Änderungsanträge nicht durchgesetzt haben? Schön wäre es. Allerdings zeigt sich in den Anträgen durchaus, dass sich die Grünen da bei weitem nicht einig sind. Und ob der Leitantrag ohne die existenz der Piraten so ausgefallen wäre, bezweifle ich doch mal sehr stark.

  3. Ja, kurz und knackig beschrieben. Viele Köche verderben den Brei. Und man kann deren Zahl nicht einfach verringern. Das ist solch ein Kladderadatsch. Ich habe noch von keiner Lösung gehört, die auch nur halbwegs gerecht wäre und mit der alle beteiligten Parteien leben könnten.

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