Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Liebe Printgemeinde…

21. April 2012, 22:17

Im Spiegel hat der Reporter und ehemalige Ressortleiter Dirk Kurbjuweit einen strammen Anti-Piraten-Essay verfasst: „Die Freiheit der Wölfe. Wird das Internet zu einer Schule der neuen Barbarei?“ Wieder einmal ist die ominöse „Netzgemeinde“ schuld am Untergang des Abendlands.

Um eins gleich vorauszuschicken: Es steht auch viel Richtiges in diesem Essay. Denn er handelt von der nachvollziehbaren Angst der Konservativen vor dem Internet. Zu diesen Konservativen zählen in einem Internet-Schwellenland wie Deutschland auch viele, die sich im Herzen für Linke oder Liberale halten. Das heißt, wir haben es gegenüber dem „Phänomen Internet“ noch immer mit einer großen Koalition der Angst zu tun. Und diese Angst lässt sich nicht einfach weglächeln.

Worum geht es in Dirk Kurbjuweits Essay? Es geht um die „Tyrannei des freien Netzes“? Im Kern aber geht es um das Vorhaben der Piratenpartei, das Urheberrecht zugunsten der Internetnutzer zu reformieren. Da dieses Vorhaben die Pfründe all jener Urheber tangiert, die im bisherigen System exzellent verdient haben, wehren sich jetzt vor allem die Spitzenverdiener gegen jede Änderung und marschieren Seit’ an Seit’ mit ihren Verwertern.

Dass die Spitzenverdiener ihre Interessen so vehement verteidigen, kann ich verstehen. Reichlich arrogant finde ich es aber, dass sie ihre Partikularinteressen mit den ganz großen Begriffen aufblasen. Da geht es immer gleich ums Ganze, um „Freiheit oder Barbarei“. Da werden die großen Philosophen von John Locke bis Immanuel Kant zitiert und heilige Messen über die Menschenrechte gelesen, ja es wird die ganze schmerzhafte Evolution der Kultur von der Steinzeit bis heute bemüht – dabei geht es im Kern doch nur um die Mitarbeiter-Beteiligung beim Spiegel.

Auch das ist natürlich ein legitimes Interesse. Doch dann sollten die Essay- und Offene Briefe-Schreiber das auch bitteschön sagen, und nicht die großen Menschheits-Begriffe als Artillerie-Geschosse für ihre Interessenpolitik missbrauchen.

Die Barbarei im Bahnhofskiosk

Was besonders stark nervt, ist der (gezielt verwendete) Adressat dieser Empörungs-Manifeste. Wieder richten sich sämtliche Vorwürfe an „die Netzgemeinde“. Die Netzgemeinde ist für alles verantwortlich: für Gewaltexzesse von NSU bis Breivik, für Kinderpornographie, für Shitstorms, für Hasstiraden, anonyme Beleidigungen und Lynchjustiz. DIE NETZGEMEINDE – damit sind all jene gemeint, die im World Wide Web nicht nur lesen, sondern das Web mit gestalten: Kommentatoren, Forentrolle, Piraten, Blogger, Digital Natives, Netzaktivisten – also alle, die von der „Printwelt“ am liebsten noch immer (gähn!) in der Frisur Sascha Lobos zusammengefasst werden.

Drehen wir den Spieß der Vereinfachung doch mal um. Ich z.B. würde gern Dirk Kurbjuweit einladen, mit mir zusammen einen größeren deutschen Bahnhofskiosk zu besuchen. Dort würden wir dann von Regal zu Regal gehen und uns anschauen, was DIE PRINTGEMEINDE so treibt. Und dann werde ich ihn für die ganze Barbarei der Strickzeitschriften, Sudoku-Rätsel, Manga-Comics, Fanzines, Adelspostillen, Porno-Magazine, Computer-PR, Männer-Lifestyle, Motorrad-Specials und Panzerheftchen des Zweiten Weltkriegs verantwortlich machen. Das, werde ich sagen, ist „deine Printgemeinde“! Du bist dafür verantwortlich, dass das alles gedruckt wird. Ist das die Freiheit, die du meinst?

Also, liebe Großjournalisten, lasst bitte in Zukunft eure großen Begriffe im Halfter stecken und sagt einfach, dass es um eure Geldbörsen geht. Dann könnte man die Debatte mit etwas mehr Sachlichkeit und vielleicht auch etwas differenzierter führen.

Crosspost

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, können Sie mich durch eine Spende unterstützen.

Umbrüche & Entwicklungen sagt Danke!

3 Kommentare

  1. Doar teuf man op … Sachlichkeit in deutschen Verlagen, ausgerechnet, tsss!

  2. Jo. Die Herren werden sich noch gewaltig wundern. Ich frag‘ mich, wie sich diese Spiegel-Leute die Hundertausende zusammenrechnen, die angeblich jede Woche für ihr – in mehrfacher Hinsicht – stetig dünner werdendes „Heft“ üppige vier Euro hinblättern.

    Läuft das ähnlich wie in Griechenland? Ghost-Abonnenten, die trotz Ableben weiterhin geführt werden und von deren Konten post mortem abgebucht wird?

    Fragen über Fragen…

  3. Herr Michal, Sie nehmen mir die Worte aus dem Mond.
    Wir hatten Kurbjuweits Essay heute im Philosophie-Unterricht und selten habe ich so über einen Text aufregen müssen.
    Die bösen, bösen Piraten wollen, dass wir alle Kinderpornos gucken dürfen. Die böse, böse Netzgemeinde will den armen Künstlern ihr wohlverdientes Geld rauben. Und die Killerspiele. Und das Mobbing. Und überhaupt.
    Gegen Ende hätte es mich nicht gewundert, wenn der gute Mann auch noch den zweiten Weltkrieg auf die übertriebene Freiheit im Internet geschoben hätte. Hitlers Shitstorm gegen die Juden oder so. Natürlich alles im Bezug auf Locke und Hobbes, man will ja nicht ungebildet rüberkommen.
    Von mir aus können Sie Herrn Kurbjuweit am Bahnhofskiosk abstellen und nie wieder abholen. Reflektierte Netzkritik geht wirklich anders.

    LG
    Yulia

Trackbacks/Pingbacks

  1. “Die Verwertungskette darf nicht unterbrochen”; “Die Verwertungskette darf nicht unterbrochen werden” | Ich sag mal - [...] schmeckt natürlich den Machtmonopolisten in den alten Industrien überhaupt nicht. Wolfgang Michal hat das treffend beschrieben: “Dass die Spitzenverdiener…
  2. kanedo.net - Links vom 16. April 2012 bis 23. April 2012 - [...] einzige Struktur auf Bundesebene, die Meinungsbildung mit dem Basisdemokratischen Anspruch…Wolfgang MichalIm Spiegel hat der Reporter und ehemalige Ressortleiter Dirk…
Weitere Artikel über Kultur, Medien, Politik:

Die Hofnarren des Medienbetriebs

Mit der Medienkritik steht es nicht zum Besten. Sie arbeitet sich an Nebensächlichkeiten ab und zweifelt an ihrer Bedeutung. Das müsste nicht sein.

Wer steckt hinter dem #Strachevideo?

Noch immer fehlt ein Bekennerschreiben. Und Spiegel und SZ verraten ihre Quelle nicht. Also schießen die Spekulationen ins Kraut. Am Ende könnte die Geheimniskrämerei den Rechtspopulisten mehr nützen als schaden.

EU-Urheberrechts­reform: Zensur ist nicht der Zweck

Nicht die Zensur von Inhalten, sondern die Pflicht zur Lizenzierung ist der Kern der EU-Urheberrechtsreform: Handlungen sollen nicht verhindert, sondern zu Geld gemacht werden.