Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

So schnell wie die Nazis oder: Die Kunst des politischen Vergleichs

29. April 2012, 13:17

Vergleiche, die sich auf die Nazizeit beziehen, gehören in der politischen Auseinandersetzung zur Ultima Irratio. Manche sind harmlos, weil sie nur provozieren wollen, andere sind gefährlich, weil sie so harmlos daherkommen – wie der Vergleich des Aufstiegs der Piratenpartei mit dem Aufstieg der NSDAP.

Eltern, Lehrer und Politiker wissen, dass der Vergleich hohe Überzeugungskraft besitzt. Mit ihm kann man Kindern eine noch unbekannte Realität näher bringen oder ahnungslosen Wählern komplexe Situationen verdeutlichen. Im Idealfall funktioniert der Vergleich wie ein Aha-Erlebnis: „Ja, genau!“ rufen wir, sobald die dunkle Materie in unserem Gehirn blitzartig erhellt wird. Denn ein guter Vergleich ermöglicht es, auf der Grundlage von bereits Bekanntem neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Doch leider wird der Vergleich in Politik und Journalismus zunehmend missbraucht: a) mit voller Absicht, dann ist es eine Provokation, und b) aus Nichtwissen, dann ist es eine ungeschickte Entgleisung.

Letzteres „passierte“ dem Fraktionsgeschäftsführer der Berliner Piraten, Martin Delius, als er in einem Interview mit dem Spiegel den Satz fallen ließ: „Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933.“ Die Geschäftsführerin der Piraten, Marina Weisband, versuchte das Feuer sofort zu löschen: „Es ist nicht inhaltlich schlimm, was er gesagt hat, es ist einfach nur PR-technisch dumm.“

Oh Marina! Es ist umgekehrt! Der Satz ist inhaltlich schlimm, weil er „PR-technisch“ wie eine Signalrakete funktioniert. Er wird von den Rechtsradikalen als Aufforderung zur Unterwanderung verstanden, auch wenn das nicht die Absicht von Delius war.

Der „Nazi-Vergleich“ hat es bei Wikipedia sogar zu einem eigenen Eintrag geschafft. Und seit der Wende, so die Linguistin Marie-Hélène Pérennec, wird er zunehmend eingesetzt. Man könnte ihn – wenn das nicht schon wieder ein unzulässiger (weil verharmlosender) Vergleich wäre – als perverse Kampfsportart bezeichnen, als Ultimate Fighting in der Politik-Arena. Der Nazi-Vergleich garantiert höchste Aufmerksamkeit, weil jeder Treffer unter der Gürtellinie für sofortige Empörungsreflexe sorgt. Das Satiremagazin „Postillon“ hat die Methode genial auf die Schippe genommen, als es die Schlagzeile formulierte: „Piratenpartei verurteilt ständige Nazivergleiche als ‚schlimmer als der Holocaust’“.

Manche Nazi-Vergleiche sind trickreich, aber harmlos. Andere sind harmlos und deshalb gefährlich, denn sie reagieren mit dem Nicht-Wissen der Adressaten. Wer nicht einschätzen kann, was verglichen wird, registriert zwar einen Zusammenhang, kann aber nicht bewerten, ob Äpfel mit Birnen verglichen werden. Das ist das Gefährliche an Delius’ Vergleich.

Dagegen spielen Äußerungen, die den Nazi-Vergleich erst im Kopf der Zuhörer entstehen lassen, bewusst mit der Empörung von Wissenden. Solche Provokationen sollen die eigene Anhängerschaft mobilisieren, Ängste abwehren oder vorausgegangene Verletzungen kompensieren: „Der schlimmste Hetzer seit Goebbels“ (Willy Brandt über Heiner Geißler), „Das hat auch Hitler schon gemacht“ (Herta Däubler-Gmelin über George Bush), „Der Hitler des 21. Jahrhunderts“ (Ahmadinedschad, Gaddafi, Saddam Hussein), Merkel mit Hitler-Bärtchen, der Islamofaschismus, der Abtreibungs-Holocaust, Grass mit SS-Zeichen usw.

Historische Analogien müssen aber nicht immer „widerlich“ sein. Oft handelt es sich um zornige Hilferufe, die vor der Wiederholung von Fehlern warnen: Wenn polnische Politiker die Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland als Hitler-Stalin-Pakt beschimpfen, dann wollen sie uns die Augen öffnen und zur Umkehr ermahnen.

Doch der Nazi-Vergleich bleibt ein Minenfeld. Deshalb sollten wir uns an „Godwins Gesetz“ halten: Sobald der erste Nazi-Vergleich auftaucht, wird die Debatte einfach abgebrochen.

Dieser Kommentar ist zuerst in der Wochenzeitung „Der Freitag“ erschienen.

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1 Kommentar

  1. Das meiste spielt sich wohl tatsächlich in den Köpfen ab. Faktisch hat der Unglückswurm Delius nur mengenmäßige Größen verglichen, aber nichts Ideologisches gleichgesetzt. In dem Punkt wiederum lag er auch bei den Größenordnungen gewaltig daneben. Vor allem bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 konnte die NSDAP ihre Mandate mengenmäßig mehr als verzehnfachen. Von solcher ‚Rasanz‘ sind die Piraten wiederum doch noch ein wenig entfernt. Gut – aber solche Dinge vergleicht man ja auch nicht …

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