Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Vom Stolz, ein Journalist zu sein

11. Januar 2015, 15:51

Ja, manche Medien haben in den letzten Jahren viel Kritik einstecken müssen. Deshalb nutzen sie jetzt den Pariser Terroranschlag zu einer befreienden Selbstheroisierung. Aber hat der Mord an den Satirikern von Charlie Hebdo wirklich den Journalismus rehabilitiert?

Schock, Trauer, Berichterstattung – nach den Terroranschlägen von Paris hätte das eigentlich genügt. Aber dann machte sich etwas Luft, was viele Leitartikler offenbar seit langem umtreibt. Der Anschlag bot ihnen Gelegenheit, den ganzen Frust abzulassen, der sich durch Google, Pegida und zornige Leser aufgestaut hatte. Er bot ihnen die Chance, das zerkratzte Image des Journalismus mit viel Paste zu kitten und neu zu polieren.

Das führte z.B. dazu, dass sich Kollegen für Charlie Hebdo hielten, denen die Pressefreiheit nie so wichtig war, dass sie – unter äußerer Bedrohung oder auch bloß in Erwartung beruflicher Nachteile – rückhaltlos für sie gekämpft hätten. Ich kann mich jedenfalls nicht an Demonstrationen der Chefredakteure für die Pressefreiheit erinnern, als Edward Snowden nachwies, dass ein zentrales Element der Pressefreiheit, der Informantenschutz, von staatlichen Geheimdiensten ausgehebelt wird. Es gab keine gemeinsamen Aufrufe, keine Proteste vor dem Kanzleramt oder den Berliner Botschaften. Und ausgerechnet diese notorisch phlegmatischen Nicht-Kämpfer stilisierten sich nun zu Charlie Hebdo, zu Journalisten, die selbst nach massiven Morddrohungen und Brandanschlägen nicht einknickten.

Gut, hätte man sagen können, sei’s drum, unsere Leitartikler brauchen halt mal etwas (Selbst-)Lob – nach all den schrecklichen inneren Verletzungen, die ihnen die Lügenpresse-Skandierer, Geht-sterben-Rufer und Forentrolle in der Vergangenheit zugefügt haben. Doch dann publizierte Bernd Ulrich, der stellvertretende Chefredakteur der Zeit, einen selbstgefälligen Beitrag unter dem Titel „Der Stolz, Journalist zu sein“. Das hätte er bleiben lassen sollen. Denn die in diesem Text enthaltene Selbstheroisierung und Selbstbeweihräucherung des eigenen Berufsstandes wirkt angesichts der bundesrepublikanischen Medien-Realität so überzogen und – aufgrund der Instrumentalisierung des Attentats für das eigene Gewerbe – so taktlos, dass man das Gesagte unbedingt zurechtrücken muss. Ulrich schreibt:

„In den vergangenen Monaten haben wir uns unablässig mit der Krise unserer Branche beschäftigt, mit Auflagen und Klicks, mit dem Verhältnis von Print und Online, zuletzt auch viel mit dem permanenten Shitstorm gegen die „Lügen- und Mainstreampresse“. Diese Diskussionen waren weder überflüssig noch werden sie nach dem 7. Januar 2015 aufhören. Doch vielleicht hat all das uns vom Wesen unserer Arbeit und der Würde unseres Berufs mitunter abgelenkt. Und von den Gefahren, die damit verbunden sind, nach der Wahrheit zu forschen, seine Meinung zu sagen und der Intoleranz Schmerzen zuzufügen, wie das in drastischer – und man muss jetzt sagen: todesverachtender Weise Charlie Hebdo getan hat. Zeitungen, Nachrichtenportale, Radio und Fernsehen sind die Werkzeuge der Wahrheit und die Medien des großen, immerwährenden Selbstgesprächs unserer demokratischen Gesellschaft, sie verwandeln Aggression in Argumente, Feinde in Gegner, Vorurteile in Urteile, Entfremdung in Bekanntschaft

Mit Verlaub, lieber Bernd Ulrich, aber die mediale „Verwandlung“ von Aggression in Argumente, die Sie hier beschreiben wie eine Abendmahls-Wandlung durch eine Priesterkaste von Journalisten, funktioniert sehr effektiv auch in umgekehrter Richtung: Oft entstehen Vorurteile, Feinde, Entfremdung und Aggression erst durch die mediale „Verwandlung“ von Realitäten. Die Rolle der Massenmedien bei der Erzeugung von Stimmungen dürfte von der Geschichtswissenschaft hinreichend belegt sein. Deshalb sollte man auf Weiheworte wie „Wandlung“ und „Werkzeug der Wahrheit“ lieber verzichten. Der Journalismus mag im Kern ganz okay sein, aber ein Heiland ist er nicht.

„Der oft hysterische Kampf gegen die freiheitliche Presse“

Wer darüber hinaus suggeriert, der Lügenpresse-Vorwurf habe etwas mit dem mörderischen Hass auf die Mohammed-Karikaturen in einer französischen Satire-Zeitung zu tun, will uns offenbar in die Irre führen und Kritik, wie böswillig die auch ist, in die Nähe von Terrorismus rücken. Der (unselige) Begriff der Lügenpresse wurde in Deutschland aber nicht wegen satirischer Cartoons reanimiert, er tauchte im Zuge massiver Zweifel an einer objektiven Berichterstattung im Ukraine-Konflikt auf. Offenbar hatten zahlreiche Leser das Gefühl, hier werde in fahrlässiger Weise Kriegs-Stimmung gegen Russland erzeugt („Stoppt Putin jetzt!“).

Soll nun auch Stimmungsmache – weil die Gelegenheit günstig ist – in einen Akt zur Verteidigung der Pressefreiheit uminterpretiert werden? Ist es nicht ziemlich daneben, den Mord an französischen Karikaturisten zu benutzen, um die eigenen Leistungen rückwirkend zu Heldentaten einer freiheitlich gesinnten Presse zu verklären? Ulrich:

„So sehr der Anschlag von Paris uns erschüttert, so sehr wir intern auch über unsere Ängste sprechen, so sehr verspüren wir nun etwas, das sich sonst nur selten einstellt und auch zu normalen Zeiten beileibe kein Thema ist: der Stolz, Journalist zu sein. Die Pariser Untat, aber auch der oft hysterische Kampf gegen die freiheitliche Presse, überhaupt die neuerdings schnell wachsende Intoleranz gegenüber allem Offenen, Widersprüchlichen, Fremden erinnern uns daran, dass die Presse und die Demokratie eben keine feststehenden Institutionen sind, sondern fluide, verletzliche, letztlich auf Vereinbarung und täglicher Übung beruhende Handlungen von Menschen.“

So richtig der Grundgedanke von der Veränderbarkeit der Verhältnisse auch sein mag, so falsch ist die Annahme, hier kämpften die Guten gegen die Bösen. Hier offenbart sich nicht Journalisten-Stolz, sondern Dünkel. Journalisten sollten – schon aus Respekt vor den Satirikern von Charlie Hebdo – den Ball flach halten und nicht so geschwollen über ihre Branche reden. Ich glaube, viele meiner Kollegen mögen das nicht. Wir wissen ziemlich genau, dass WIR nicht die Washington Post waren, die im August 1974 Präsident Nixon zu Fall brachte, und wir wissen auch, trotz aller Solidaritätsbekundungen, dass WIR am 7. Januar 2015 nicht Charlie Hebdo waren. Es ist nicht unsere Aufgabe, nun Arm in Arm mit den Staatsoberhäuptern in Sonntagsreden die Werte der westlichen Demokratie zu besingen, es ist unsere Aufgabe, unseren Job zu machen.

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8 Kommentare

  1. Ergänzend möchte ich auf all die Politiker und Staatsoberhäupter aufmerksam machen, die sich jetzt in die große Masse der Menschen einreihen, die wirklich gegen Terrorismus sind. Viele von ihnen wollen sich jetzt ein Friedens-Mäntelchen (oder muss ich von Mantel) anziehen, obwohl sie in ihrer alltäglichen Politik gar nicht wissen (wollen), was Frieden ist. Nur ein Beispiel: Deutschland ist schon seit Jahrzehnten der drittgrößte Waffenlieferant weltweit.

    Und ein weiterer Hinweis sei mir an dieser Stelle erlaubt: Nicht nur der 9. September 2001 und der 7. Januar 2015 sind Terror, sondern auch Hartz IV Co. Der eine Terror ist direkt und brutal, der zweite ist wesentlich feiner und nicht minder brutal.

  2. Es ist gut, wenn sich jemand des konkreten Anlasses erinnert, in der hierzulande die große Abkehr von der Presse stattfand. Wer nicht, wie ich manchmal, begreift, wie sich Journalisten gegen rebllierende Leser abdichten, dem wird dieser Hinweis auf die selbstheroisierung willkommen sein.

  3. Auch wenn ich die Kritik an der Vereinnahmung teile und sogar noch etwas heftiger formuliert habe, störte mich an dem Ulrich-Beitrag hauptsächlich die selbstherrliche, ein Manifest und Allgemeingültigkeit ankündigende Überschrift. Daraufhin war ich vom Text eher positiv überrascht, der uns Einblicke in die Verunsicherung selbst leitender Redakteure und ihre Gefühlswelt verschafft. Ja, hier kämpft jemand um seinen Stolz und sehnt mit großen Worten wie „Wahrheit“ eine neue Würde seines Berufsstandes zurück; aber er gibt damit zu/impliziert, dass der Journalismus daran überhaupt arbeiten muss. Welche Mittel er für diese Arbeit wählt, gefällt mir derzeit ganz und gar nicht. Trotzdem fällt es mir schwer, den möglichen Schritt in Richtung Selbstreflektion direkt abzuwürgen und mit Häme zu überschütten. So berechtigt Deine Kritik hier ist: Sollen sie doch Taten und Gründe liefern, warum sie stolz auf sich sind. Ich packe die Menschen gerne bei ihrer Ehre… 😉

  4. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Sie sich an der pathetischen Formulierung vom „Stolz, Journalist zu sein“, stören. Auch das Misstrauen gegen hehre Bekenntnisse, die oft wenig kosten, verstehe ich.

    Aber mein Verständnis für Herrn Ulrich und die vielen anderen „Je suis…“-Bewegten ist trotzdem am Ende größer. Ich kann noch nicht mal genau sagen warum. Hier http://www.dirkhansen.net/je-suis-ja-was-eigentlich/ habe ich es wenigstens versucht.

    Vielleicht erklärt sich mein Engagement – und in gewissen Sinne meine ich das auch bei Ihnen zu erkennen – am besten durch das Ziel, immer wieder den gesellschaftlichen Auftrag der Medien herauszufinden. Zu aktualisieren.

    Gerade weil ein so großes Fragezeichen hinter den Bedingungen der öffentlichen Kommunikation steht, müssen wir doch auch deren Verrohung begegnen! Meine Lehre aus dem Terror-Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo: Medienkritik ja, pauschale Schmähungen nein. Meinungsstreit sicher, Gewalt niemals!

    Diesen Konsens glaube ich dieser Tage auf breiter Linie, gestern in Frankreich millionenfach, zu erkennen. Klar haben sich Heuchler darunter gemischt, die es entweder nicht ernst meinen oder das Thema missbrauchen wollen. Wobei es für mich noch keinen Missbrauch darstellen, wenn man versucht, das Geschehen auch auf die eigene Berufssituation zu beziehen.

    Denn was heißt das eigentlich: das Attentat „instrumentalisieren“? Wer grenzt das von einer Diskussion ab und was soll gar dieser Appel, sich nicht äußern zu dürfen? Die persönliche und gesellschaftliche Rolle „Journalismus“ ist letztlich nichts anderes als ein Diskursprodukt. Wir können uns oft nur behaupten, indem wir etwas behaupten. In Netzöffentlichkeiten übrigens extrem verbreitet.

    Der verlinkte Post des Kollegen Gutjahr ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Kritik am Verleger-Pathos mit genauso übertreibenden Befunden zum Internet „Jeder Versuch, Meinung zu steuern, oder auch nur zu beeinflussen, fliegt früher oder später auf.“ (RG). Lässt sich gut behaupten, da niemals zu belegen oder zu widerlegen.

    Widerspruch ja, nur: Welcher Sinn liegt also darin, einzelnen Diskutanten das Schweigen nahezulegen? „DUUU hast hier gar nichts mitzureden! Du in jeder Hinsicht unauffälliger Lokaljournalist. Oder Du innovationsresistenter Verleger ohne Twitter-Account.“

    Bitte um Nachsicht für die vielen Worte. Aber Sie sehen – ich bin bewegt und vielleicht nicht unbedingt stolz, ein Journalist zu sein, würde aber gern weiter daran arbeiten, es sein zu können.

  5. Wo sind denn die stolzen, der Wahrheit verpflichteten, Journalisten wenn sie sich von Regierunssprecher Seibert mal wieder mit Hohlphrasen abspeisen lassen, wenn die Regierung partout ihre Mittäterschaft bei der allumfassenden Überwachung abwiegeln will? Beim Schreiben von Lügen fürs Leistungsschutzrecht?

  6. Danke für den Eintrag. Ich glaube, der war mal notwendig.

  7. Danke, Herr Michal, sage ich als “normaler Verbraucher” für Ihren Beitrag. Ich fühle mich schon die ganze Zeit unwohl, wie die veröffentlichte Meinung (im Unterschied zur öffentlichen Meinung) z B mit “pegida” usw usw umgeht…
    Und ich erinnere mich dabei auch an die Wulff-Kampagne der “großen” Medien, von der immerhin ein Herr Dr Prantl von der Südd Ztg anschließend über den (politisch weisungsgebundenen) staatsanwaltlichen Ermittlungsaufwand als dem “…größten Justizskandal der Republik…” im TV sprach…

  8. Um mal Gertrude Stein zu variieren: Die Presse ist die Presse ist die Presse. Um das zu wissen, müssen wir gar nicht bis zu Karl Kraus und seinem ‚Untergang der Welt durch schwarze Magie‘ zurückrobben: Der Journalismus war schon immer so grauwertig, wie er sich jetzt als ‚Lügenpresse‘ titulieren lassen muss. Ob Hugenberg-Konzern, ob die Springer-Presse zu 68er-Zeiten, ob ‚Das Reich‘ zu Nazi-Zeiten, ob die intimen Darstellungen der Gebrüder Goncourt im späten neunzehnten Jahrhundert – moralische Leitbilder sind in diesem Milieu stets selten zu finden. Der Journalist ist keine moralische Instanz, er gleicht eher einem Trüffelschweinchen.

    Nicht zuletzt Stefan Niggemeier lebt übrigens von solchen Zustandsbeschreibungen seit Jahren. ‚Gut‘ ist die Presse nur in ihrer Selbstdarstellung … auf einen Tucholsky kommen faktisch immer tausend eher dubiose Figuren. Trotzdem hat dieser bekleckerte Journalismus eine gesellschaftliche Funktion, die ich nicht missen möchte.

    Jetzt plötzlich über die ‚Lügenpresse‘ zu schimpfen, heißt daher, Eulen nach Athen zu tragen – oder alten Käse nach Dresden. Und ob Ulfkotte, Russia Today oder die anderen Heroen unserer ‚Unwörtler‘ zum krodilstränenreich beklagten Zustand ein Fortschritt wären, darf mit Fug bezweifelt werden. Eher das Gegenteil wäre wohl der Fall. Da hat man eher das Prinzip, gar keine Prinzipien mehr zu haben …

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