Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Der Mann, der bei der taz Sebastian Heiser war

26. Februar 2015, 15:15

In Sachen #tazgate spricht die Chefredaktion von einer „Spionageaffäre“ und stellt Strafanzeige. Das erinnert an einen Fall vor 37 Jahren und an die Frage: Wie weit dürfen Journalisten gehen?

Nein, es war kein Aprilscherz. Am 1. April 2011 schrieb Sebastian Heiser, soeben vom Mediummagazin als „Newcomer des Jahres“ ausgezeichnet, einen ernst gemeinten und selbstbewussten Beitrag im Recherche-Blog der taz über die „Rechtslage bei verdeckten Recherchen“. Sein Text beginnt so:

„Es gibt kein Gesetz, das Journalisten verbietet, verdeckt zu recherchieren. Im Gegenteil: Journalisten können sich auch dann, wenn sie sich bei der Recherche nicht als Journalist zu erkennen geben, bei der Veröffentlichung auf das Grundrecht der Pressefreiheit berufen. Journalisten dürfen sogar dann ihren Artikel veröffentlichen, wenn sie bei einer verdeckten Recherche die Rechte anderer Personen oder von Unternehmen tangiert haben. Bei der Frage, ob die Veröffentlichung zulässig ist, kommt es darauf an, was stärker ins Gewicht fällt: Das Grundrecht der Pressefreiheit oder der Eingriff in die Rechte Dritter während der Recherche? Die Abwägung findet dabei anhand des konkreten Einzelfalles statt. Es kommt also darauf an, wie tief der Eingriff im Einzelfall ist und wie stark das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an den verdeckt recherchierten Fakten ist. Sprich: Je größer der Skandal, desto eher ist die Veröffentlichung zulässig.“

Heisers Artikel zeigt, wie ein Investigativ-Journalist denkt, auf wen er sich beruft und welchem Irrtum er letztlich unterliegt.

Das heilige Redaktionsgeheimnis

Presseunternehmen wie die taz oder die Süddeutsche Zeitung sind nämlich keine normalen Unternehmen. Die Tätigkeit der Presseunternehmen wird explizit durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Heisers Pochen auf das am 20. Januar 2005 vom Oberlandesgericht München gefällte „Musterurteil“ im Fall „Lilienthal./.Marienhof“ berücksichtigt nicht, was das Bundesverfassungsgericht schon viele Jahre zuvor entschieden hat: dass eine verdeckte Recherche in einer Redaktion nicht so einfach mit einer verdeckten Recherche bei einer Werbeagentur zu vergleichen ist. Letzteres ist mit dem Grundgesetz vereinbar, ersteres nur in ganz extremen Ausnahmefällen. Die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ist den deutschen Verfassungshütern nämlich so heilig wie den katholischen Bischöfen das Beichtgeheimnis.

Um das zu begreifen, müssen wir ein paar Jahrzehnte zurückgehen. Von März bis Juli 1977 arbeitete der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff unter dem Namen Hans Esser bei der Bild-Zeitung in Hannover. Wallraffs Absicht war es, die skrupellosen Methoden der Bild-Zeitung zu entlarven. Aus seinen Erfahrungen entstand die Enthüllungs-Reportage „Der Aufmacher. Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“. Viele Journalisten-Kollegen fanden diese dreiste „Eulenspiegelei“ damals großartig. Was für ein Scoop! Wallraff in der Höhle des Löwen!! Niemand – außer vielleicht Springer – nannte Wallraffs Undercover-Aktion damals „Spionage“. Im Gegenteil. Das neue Verb „wallraffen“ drückte uneingeschränkte Bewunderung aus. Angehende Journalisten hielten Wallraffs Recherche-Methoden für eine notwendige Ergänzung des althergebrachten Journalismus.

Heute, nach den Enthüllungen Edward Snowdens über die weltweite Spionagetätigkeit der Geheimdienste und nach zahllosen Fällen von „Geheimnisverrat“ scheint sich die Meinung – zumindest in eigener Sache – zu drehen. Auch für die taz hat das Redaktionsgeheimnis nun absoluten Vorrang:

„Das Redaktionsgeheimnis ist ein hohes Gut. Eine Tageszeitung lebt nicht nur vom Vertrauen, das ihr die LeserInnen entgegenbringen. Interviewpartner oder Informanten müssen sich darauf verlassen können, dass die Aussagen und Sachverhalte, mit denen sie sich an die Zeitung wenden, in guten Händen sind und bleiben. Wichtig ist aber auch das Vertrauen, das innerhalb einer Redaktion herrscht. Die KollegInnen müssen sich gewiss sein können, dass alle, die in einer Redaktion arbeiten, im Sinne der Berichterstattung an einem Strang ziehen. Dieses Grundvertrauen ist in der vergangenen Woche in der taz erschüttert worden…“

Außerdem stellt die taz-Chefredaktion klar: „Seitdem die Vorfälle durch erste Veröffentlichungen bekannt wurden, ist in sozialen Netzwerken vom „tazgate“ die Rede. Tatsächlich haben wir es mit einer Spionageaffäre zu tun…“

„Interessant“, ätzte ein FAZ-Leser, „wie sich mit der Betroffenheit die Argumentation ändert ;-). Macht ein Wallraff illegale Mitschnitte usw., dann ist er ein investigativer Journalist, dreht ein SWR illegal bei Daimler, ist es investigativ, nur bei der Zunft selbst ist das ein Skandal und Anschlag auf eine Säule der Demokratie ;-).“

Ist ein Presseunternehmen eine recherchefreie Zone?

Lässt man die Ironie-Zeichen des Lesers weg, macht die Unterscheidung sogar Sinn. Denn nachdem Günter Wallraff seine „Betriebsreportage“ über die Praktiken der Bild-Zeitung veröffentlicht hatte, strengte der Springer Verlag gegen sein Buch und den parallel entstandenen Dokumentarfilm eine Reihe von Prozessen an. Die „Causa Springer gegen Wallraff“ beschäftigte die Gerichte bis hinauf zum Bundesgerichtshof. Der BGH entschied am 20. Januar 1981 auf ganzer Linie für Günter Wallraff und betonte das Recht der Bürger, sich auch über Missstände und „Machenschaften“ in Zeitungsredaktionen ein Bild machen zu können:

„Weder einem Wirtschaftsunternehmen allgemein noch den öffentlichen Medien kann rechtlich eine absolut geschützte „Intimsphäre“ in dem Sinn gewährt werden, wie sie der Persönlichkeit zu ihrer freien Selbstbestimmung zustehen muss. Die für das Recht der Persönlichkeit geltenden Maßstäbe können auf den Schutz der unternehmerischen Betätigung, für den es nicht um personale Inhalte, sondern um Sicherung wirtschaftlicher Funktionszusammenhänge geht, insoweit nicht herangezogen werden; in diesem Sinn ist diese Tätigkeit immer „öffentliche Angelegenheit“.

Anderes folgt für die Presse auch nicht aus der verfassungsrechtlichen Garantie der Pressefreiheit. Art. 5 GG sichert zwar die redaktionelle Arbeit vor staatlicher Kontrolle und Zensur und strahlt insoweit auch auf die Stellung der Presse in ihren außerstaatlichen Beziehungen aus. Das bedeutet aber nicht, dass die Presse schlechthin vor jeder Aufdeckung von Entscheidungsvorgängen innerhalb der Redaktion und ihrer kritischen Erörterung geschützt wäre. Die Pressefreiheit (Satz 2 des Art. 5 Abs. 1 GG) ist um der Meinungsfreiheit willen (Satz 1 des Art. 5 Abs. 1 GG) gewährleistet; sie soll der öffentlichen Meinungsbildung das Forum der Medien für die freie geistige Auseinandersetzung garantieren. Mit diesen Zielen wäre es aber nicht vereinbar, wenn ein Zeitungsverlag die Pressefreiheit auch dafür in Anspruch nehmen könnte, den redaktionellen Arbeitsbereich und seine Entscheidungsstrukturen unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis von vornherein einer öffentlichen Diskussion zu entziehen, die durch die Verfassungsgarantien des Art. 5 Abs. 1 GG gesichert, nicht beschränkt werden soll.

Für die Öffentlichkeit ist die Art und Weise, in der eine Zeitung entsteht und auf die Meinungsbildung durch Auswahl und Aufbereitung der Informationen Einfluss nimmt, von besonderem Interesse. Stärker als durch jede andere unternehmerische Betätigung ist die Öffentlichkeit in den Wirkungsbereich redaktioneller Entscheidungen einbezogen. Das gilt insbesondere für ein Massenblatt mit der Verbreitung und der Suggestivkraft der „Bild“-Zeitung. Für die Öffentlichkeit ist es wichtig, dieses Kräftefeld bewusst zu halten; dazu gehört die Auseinandersetzung mit der Einstellung der Zeitung zur Nachricht und zu ihrer Leserschaft, die diesen Einfluss prägen. Schon wegen dieser Teilhabe der Öffentlichkeit an der redaktionellen Arbeit kann auch diese selbst der öffentlichen Erörterung und Kritik nicht schlechthin entzogen sein. Von der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 GG ist solche Kritik nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sie sich auf „Insider“-Informationen stützt. Soweit Art. 5 Abs. 1 GG von dem Recht des Bürgers spricht, sich „aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“, betrifft dies die Informationsfreiheit. Diese soll zwar wie die Meinungsfreiheit die öffentliche Meinungsbildung sichern, nicht aber die Meinungsäußerungsfreiheit auf solche Informationsquellen beschränken.

Nun ist allerdings die Vertraulichkeit der Informationsquellen der Presse besonders schutzbedürftig, weil für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben unentbehrlich.; darauf beruht vor allem das durch das Gesetz vom 25.7.1975 (BGBl. I, 1973) erweiterte Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten, Redakteure usw. in § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO und § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO. An der Wahrung des Informantenschutzes muss auch die Öffentlichkeit interessiert sein. Er sichert ihr die Unterrichtung über Vorgänge, die ohne ihn von den Medien nicht aufgedeckt werden könnten. Zum Schutz ihrer Informanten kann die Zeitung die Gewährleistung der Pressefreiheit auch gegenüber der sie kritisierenden Öffentlichkeit in Anspruch nehmen; die Quellen, aus denen sie ihre Informationen bezieht, gehören zu den Betriebs-Geschäftsgeheimnissen, die vor einer Offenlegung gegen den Willen der Betroffenen bewahrt werden müssen.

Solche Geheimnisse gibt die beanstandete Aufzeichnung über die Redaktionskonferenz bei „Bild-Hannover“ aber nicht preis. Aus den aufgezeichneten Gesprächen können nur Erkenntnisse über das „Arbeitsklima“, in dem die Zeitung entsteht, über die Auswahl und Aufbereitung der Informationen gewonnen werden. Der Informantenschutz ist dadurch nicht unmittelbar betroffen; ohnehin kann die Klägerin ihn insofern nicht in Anspruch nehmen, als es darum geht, dass Zeitungsberichten überhaupt keine Informationen zugrunde gelegen haben, sie vielmehr auf „erfundenen Geschichten“ beruhen. Betriebsinterna sind noch keine Geheimnisse, die mit der Schutzbedürftigkeit von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen vergleichbar wären…

Je nach dem Anliegen und den Interessen, die sie verfolgt, können für eine Kritik an einer Zeitung auch Vorgänge in deren Redaktion der öffentlichen Erörterung zugänglich sein. … Belastungen der redaktionellen Arbeit durch den kontrollierenden Einfluss, der der Öffentlichkeit damit in diesen Fällen eröffnet ist, beschränken nicht die Presse- und Meinungsfreiheit, sondern dienen ihr. Ihnen kann sich die Zeitung weder unter deliktsrechtlichen noch vertraglichen Gesichtspunkten durch Berufung auf das Redaktionsgeheimnis entziehen.“

Das sind deutliche Worte. Aber das Pressehaus Springer wollte die Entscheidung des BGH nicht einfach hinnehmen, sondern legte Verfassungsbeschwerde ein. Die Springer-Anwälte forderten vom höchsten deutschen Gericht eine Klärung der Fragen, ob einem Angestellten erlaubt ist, nach dem Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis Betriebsinterna zu offenbaren, ob es mit der Pressefreiheit vereinbar ist, dass sich ein Angestellter Informationen heimlich beschafft und diese veröffentlicht und ob sich ein Presseunternehmen gegen das Offenlegen interner Vorgänge zur Wehr setzen kann – unter Berufung auf Artikel 5 Grundgesetz.

Das Redaktionsgeheimnis als Voraussetzung der Demokratie

Die Lektüre der beiden Urteile von 1981 und 1984 ist jedem zu empfehlen, der sich über #tazgate und #sz-leaks eine eigene Meinung bilden will. Denn der Bundesgerichtshof – und später das Bundesverfassungsgericht – haben das Interesse der Öffentlichkeit, über gesellschaftliche Missstände (auch in Redaktionen) informiert zu werden, höher bewertet als es im angeblichen „Spionage-Fall taz“ jetzt von „Experten“ und Journalisten diskutiert wird („Kollegen ausspionieren geht ja gar nicht“).

Artikel 5 Grundgesetz macht Presse-Redaktionen nämlich nicht automatisch zu einer recherche-freien Zone. Das wird von beiden Gerichtsurteilen übereinstimmend hervorgehoben. Die Verfassungsrichter kassierten das BGH-Urteil aber in einem wesentlichen (und für die taz und viele Journalisten-Kollegen maßgeblichen) Punkt. Sie bestanden darauf, dass die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit unter allen Umständen gewahrt werden müsse, weil sie für eine freie und demokratische Gesellschaft Voraussetzung sei (Da fragt man sich allerdings, warum die taz und andere Zeitungen bislang nicht strafrechtlich gegen die NSA und andere Geheimdienste vorgegangen sind). Hier einige zentrale Passagen des Verfassungsgerichtsurteils:

„Der Wahrung der redaktionellen Vertraulichkeit kommt zum Schutz der Redaktionsmitglieder, der Informanten, des Presseunternehmens und seiner Tätigkeit elementare Bedeutung zu. Werden unter Verletzung dieser Sphäre Inhalt und Ablauf einer Redaktionskonferenz – durch Wiedergabe in wörtlicher Rede mit dem Anspruch auf Authentizität – veröffentlicht, so muss dies als ein schwerer Nachteil für die Beschwerdeführerin (hier: Axel Springer AG) angesehen werden…

Für die Bestimmung des Schutzbereichs der Pressefreiheit kommt es hiernach wesentlich darauf an, was notwendige Bedingung der Funktion einer freien Presse ist. Zu diesen Bedingungen gehört die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit. Hierfür spricht zunächst der enge Zusammenhang mit dem Informantenschutz: Auch wenn bei einer Aufdeckung von Interna der Redaktion nicht über Informanten berichtet wird, kann, wie der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger in seiner Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, die Möglichkeit solcher Publikationen die Gefahr in sich tragen, Informationsquellen versiegen zu lassen. Auch allgemeine Erwägungen sprechen für einen solchen Schutz: Wenn die Vertraulichkeit nicht gewährleistet ist, wird auch nicht offen und ohne Rücksicht auf die Gefahr verkürzter oder entstellter Weitergabe gesprochen. Der Bundesgerichtshof hat in der angegriffenen Entscheidung auf die Bedeutung des Schutzes vor Indiskretionen hingewiesen, ohne den der vertrauensvollen Zusammenarbeit und der unbefangenen Mitarbeit in einem Unternehmen vor allem in seinen hierfür im Vordergrund stehenden Entscheidungsgremien die Grundlage entzogen wäre. Das gilt auch für die Arbeit einer Zeitungs- oder Zeitschriftenredaktion. Wo deren Vertraulichkeit nicht mehr gesichert ist, wird es spontane, „ins Unreine“ gesprochene, möglicherweise verfehlte, gleichwohl die Diskussion fördernde Äußerungen kaum noch geben; eine Zeitungs- oder Zeitschriftenredaktion, in der es keine freie Rede gibt, wird aber schwerlich das leisten, was sie leisten soll. Darauf ist auch in der erwähnten Stellungnahme hingewiesen worden: Die Aufgabe einer Redaktion erfordere eine Arbeitsweise, die es nicht vertrage, wenn jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werde, weil es nach außen getragen werden könne.

Dass der Schutz der Vertraulichkeit der gesamten Redaktionsarbeit notwendige Bedingung einer freien Presse ist, ergibt sich unmittelbar, wenn die Grundrichtung dieses Schutzes in Betracht gezogen wird: diejenige gegen den Staat (!). Es wäre mit dem Grundrecht unvereinbar, wenn staatliche Stellen sich Einblick in die Vorgänge verschaffen dürften, welche zur Entstehung einer Zeitung oder Zeitschrift führen. In dieser Staatsgerichtetheit fällt die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit daher eindeutig in den Schutzbereich der Pressefreiheit…“

Leider wurde diese Passage des Urteils bislang nicht genutzt, um gegen die anlasslose Überwachung und Bespitzelung durch aus- und inländische Geheimdienste strafrechtlich vorzugehen. Bei einem kleinen Redakteur hat man da weniger Skrupel.

Das überragende öffentliche Interesse

Damit kommen wir zur umstrittenen Methode der fraglichen Informationsbeschaffung, zur „verdeckten Recherche“ bzw. zur „Ausspähung“. Zu diesem Punkt führt das Bundesverfassungsgericht Folgendes aus:

„Von wesentlicher Bedeutung ist .. die Art der Beschaffung der Information, also die Täuschung über die Identität des Zweitbeklagten (hier: Günter Wallraff) in der Absicht, die so erlangten Informationen gegen die Beschwerdeführerin (hier: die Axel Springer AG) zu verwerten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob zwischen der Beschaffung der Information und deren späterer Verbreitung eine „Handlungseinheit“ besteht, wie in der Verfassungsbeschwerde betont wird, oder ob Beschaffung und Verbreitung voneinander zu trennen sind, wie dies in der Stellungnahme der Beklagten ausgeführt ist, weil in beiden Fällen die Konsequenzen für die Zulässigkeit der Verbreitung die gleichen sein müssen.

Weder das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung noch die Pressefreiheit schützen die rechtswidrige Beschaffung von Informationen. Als eine solche hat der Bundesgerichtshof das Verhalten des Zweitbeklagten (hier: Günter Wallraff) in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise gewürdigt, indem er dieses als unzulässiges „Einschleichen“ und illegales Vorgehen gekennzeichnet hat. Ebenso wenig schützt das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz GG) eine solche Beschaffung: Dieses gewährleistet nur das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Dass die Redaktion eines privaten Verlags nicht zu diesen Quellen zu rechnen ist, bedarf keiner Erläuterung. Auf weiteres kommt es daher nicht an…

Auf der anderen Seite ist aber auch das Mittel von wesentlicher Bedeutung, durch welches ein solcher Zweck verfolgt wird, in Fällen der vorliegenden Art also die Veröffentlichung einer durch Täuschung widerrechtlich beschafften und zu einem Angriff gegen den Getäuschten verwendeten Information – nicht etwa nur die Verbreitung einer wertenden Äußerung. Ein solches Mittel indiziert in der Regel einen nicht unerheblichen Eingriff in den Bereich eines anderen, namentlich dann, wenn dieser wegen seiner Vertraulichkeit geschützt ist; darüber hinaus gerät es in einen schwerwiegenden Widerspruch mit der Unverbrüchlichkeit des Rechts, einer Grundvoraussetzung der Rechtsordnung. Bei dieser Sachlage hat die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbleiben. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und die (tatsächliche) Geltung der Rechtsordnung nach sich ziehen muss. Das wird in der Regel dann nicht der Fall sein, wenn die in der dargelegten Weise widerrechtlich beschaffte und verwertete Information Zustände oder Verhaltensweisen offenbart, die ihrerseits nicht rechtswidrig sind; denn dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um Missstände von erheblichem Gewicht handelt, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht.“

Enthüllung in eigener Sache

Ich kann mir nicht vorstellen, dass in der Redaktion der taz Zustände herrschen, deren Aufdeckung von „überragendem öffentlichen Interesse“ ist. Bleibt also die Frage, was Sebastian Heiser in der taz vorgehabt hat? An sein Handy geht er nicht. Wollte er – wie bereits öffentlich vermutet wurde – Kollegen erpressen, deren Kommunikation er zu diesem Zweck ausspähte? Wollte er sich einen Vorteil verschaffen, indem er erkundete, an welchen Themen konkurrierende Kollegen arbeiten und wie sie dabei vorgehen? Auch das erscheint nur schwer vorstellbar. Wollte er vielleicht (auch diese Möglichkeit existiert, selbst wenn die Methode aus höchstrichterlicher und kollegialer Sicht nicht vertretbar war) die Zustände in der taz-Redaktion zum Thema einer „Betriebs-Reportage“ machen und seine Erfahrungen – wie seinerzeit bei der SZ – mit (heimlich besorgten) Dokumenten unterfüttern? Wollte er – wie im Fall von #SZ-Leaks – die Praxis einer Zeitung mit ihrem Selbstbild vergleichen? War es die verdeckte Recherche eines unzufriedenen Mitarbeiters, eines Maulwurfs, eines Muckrakers, oder war es – wie die taz-Chefredaktion meint – eine amoralische „Spähattacke“ und „Spionageaffäre“?

Heisers Schweigen spricht nicht für Ersteres. Wir sollten die Möglichkeit aber dennoch gelten lassen. Vielleicht sitzt er ja irgendwo verzweifelt an einem Laptop und schreibt an der Enthüllungsgeschichte seines Lebens. Ob diese dann die Form einer eidesstattlichen Versicherung, einer grandiosen Vorwärts-Verteidigung oder einer schmerzhaften Lebens-Beichte annimmt, werden wir sehen. Vielleicht wird sie ja „exklusiv“ in einem anderen Medium erscheinen.

Bericht des Guardian vom 2. März

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24 Kommentare

  1. Es bleibt noch eines anzumerken: Der Unterschied von #tazgate zu der generellen Ausspähung innerhalb einer Redaktion, etwa in dem man dort mitarbeitet und über die Gespräche berichtet (wie bei Wallraff) liegt in der Art des Ausspähens. Hier wurde ein Keylogger angebracht, der die Passwörter und Zugangscodes mitliest. Dies ist ein Ausspähen von Daten bzw. die Vorbereitung dazu- und das sind Straftaten (§ 202a,b,c StGB). Für die Begehung dieser Straftaten gibt es keine Rechtfertigungsgrund „aus öffentlichem Interesse“. In Analogie zur analogen Welt: Auch der Journalist darf nicht in eine Wohnung einbrechen, auch wenn er dort Dinge antrifft, die von öffentlichem Interesse sind. Solche Straftaten sind nur unter außergewöhlnichen Umständen – zur Abwehr einer Gefahr für wichtige Rechtsgüter o.ä. – unter Notstandsgesichtspunkten zu rechtfertigen oder entschuldigen. Im Fall Snowden trifft dies wohl zu: Millionenfache Grundrechtsverletzung. Bei SZLeaks wohl eher nicht. Bei tazgate ist völlig unklar, ob das alles nicht auf bloßen Verdacht hin geschah – das ist nicht zu rechtfertigen. Dioese rechtlichen Wertungen sind hier einschlägig..

  2. Sie wollen ernsthaft Wallraffs Aufklärungen bei einem Blatt mit offensichtlichem pösem Tun (zigmal bewiesen, auch ohne Wallraff)) mit dem Tun dieses anderen vergleichen?
    Und ihn damit entschuldigen? Sie sind befreundet, oder? Oder wollen Sie nur Aufmerksamkeit mit Ihrer seltsamen Meinung zu dem Fall?
    Zudem: Wallraff hat mit offenen Karten gespielt, er hat sich dem ganzen gestellt, eine Diskussion ausgelöst die für ihn und die Gesellschaft positiv, für die Blödzeitung negativ ausging, und was macht dieser andere? Er versteckt sich. Ich hoffe, weil er sich schämt.
    Es gab und gibt keinen zu rechtfertigenden Grund, ausgerechnet taz-Mitarbeiter auszuspähen. Es gibt viele Gründe, pöse Menschen oder Institutionen auszuspähen, um aufzuklären, anzuklagen, ja, um die gesellschaft zu verbessern. Aber sind die taz-Leute pöse?

  3. @Klaus: Es geht um die (verdeckte) Recherche in Redaktionen und welche Grenzen die höchsten Gerichte da ziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Kritik des BGH-Urteils klargestellt, dass bei der Einordnung des investigativen Handelns (egal ob es rechtswidrig oder rechtskonform ist) zwischen guten und „pösen“ Zeitungen nicht unterschieden werden darf.

  4. Ein WESENTLICHER Unterschied besteht darin, dass Heiser offenbar nicht bloß, wie seinerzeit Wallraff, „recherchiert“ hat. Durch die Anwendung von Keyloggern wurden Daten ausgespäht, bei denen mindestens die Möglichkeit bestand, dass sie nicht allein redaktionsintern (und damit dem Rechercheziel dienend) verwendet wurden, sondern dass sich darunter Daten befanden, die zum höchst persönlichen, privaten (und damit besonders geschützten) Lebensbereich des Ausgespähten gehören. Selbst wenn die Privatnutzung des PC in der Redaktion untersagt WÄRE, beträfe das nur das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht aber zwischen Ausspähendem und Ausgespähtem. Darum dürfte das Ausspähen per Keylogger höchstwahrscheinlich in jedem Falle eine strafbare, rechercheferne Handlung gewesen sein, so wie es heute auch der Fall wäre, wenn ein „Hans Esser II.“ per Smartphone dokumentieren würde, wie Kai Diekmann auf der Vorstandstoilette mithilfe eines Videos aus dem Erotikbereich von bild.de masturbieren würde.

    Insofern: Nein, Wallraff und Heiser sind nicht vergleichbar.

  5. @ preston: Wenn es 1977 Redaktionscomputer und Keylogger gegeben hätte, wären sie vielleicht auch eingesetzt worden. Juristisch umstritten waren damals z.B. die heimlichen Filmaufnahmen, die nach Meinung der Betroffenen auch deren Privatsphäre verletzten.

  6. Sehr geehrter Herr Michal,

    die wirklich wichtige Frage stellen Sie leider erst am Ende Ihrer Ausführungen: Was um Gottes willen gibt es bei der Taz auszuschnüffeln und aufzudecken? Vielleicht, daß sie Mitarbeiter schlecht bezahlt (was aber nicht wirklich ein Geheimnis ist), vielleicht, daß einige Redakteure im linksalternativen Gutmenschenparallelbiotop leben (auch das wäre nicht wirklich überraschend), vielleicht, daß auch schon bei der Taz schlampig recherchierte Geschichten veröffentlicht wurden (das kommt leider bei allen Medien häufiger vor, als den Verantwortlichen lieb sein sollte).

    Wenn man dann zusätzlich noch bedenkt, daß die meisten deutschen Regionalzeitungen täglich mehr Exemplare verkaufen, als das die Taz tut, ihre Bekanntheit bei und Bedeutung für Otto Normalverbraucher also eher gering ist: Welchem Skandal oder Skandälchen war Herr Heiser hinterher? Und welche dieser Dinge ließen sich nicht durch pure Anwesenheit im Redaktionsbetrieb herausfinden; wieso muß man (nach dem aktuellen Stand der Dinge) mehr als ein Dutzend Rechner von Kollegen verwanzen?

    Wie gesagt: Meine Phantasie reicht für diese Nummer nicht aus – nach dem Lauschangriff auf seine Ex-Kollegen bei der SZ will mir bestenfalls „maßlose Selbstüberschätzung“ einfallen…

    Nach allem, was man bisher weiß, reduziert sich Herrn Heisers längliches Lamento in dieser Causa ja auf den – gewiß verweflichen – Umstand, daß einige anzeigenfinanzierte Seiten in der SZ recht diffus als „Sonderseite“ und nicht, wie sonst üblich (und meiner Meinung nach ausreichend deutlich), als “Anzeigensonderveröffentlichung des Süddeutschen Verlages” gekennzeichnet waren.

  7. @Kurt Mueller: Im letzten Absatz des letzten Zitats steht doch sehr deutlich, was das BVG dazu sagt.

    Maßlose Selbstüberschätzung und Schlimmeres hat man auch Wallraff vorgeworfen – das ist m.E. nicht der Punkt. Auch der Einsatz des Keyloggers ist, denke ich, unstrittig als rechtswidrig zu werten. Das wäre er übrigens auch dann gewesen, wenn er einem Riesenskandal auf der Spur gewesen wäre.

    Nebenbei: Ich hätte die jetzige Empörungsstärke über den Keylogger-Einsatz eigentlich schon nach den Snowden-Enthüllungen erwartet. Denn das Redaktionsgeheimnis ist ja in erster Linie als Abwehrrecht gegen den Staat gedacht. Ich habe aber von den Redaktionen bislang nichts dergleichen vernommen.

  8. Warum geht die TAZ gegen einen möglichen Redaktionsspion vor, nicht aber die NSA und den BND, fragen Sie?
    Die Frage ist billig. Bisher hat die Bundesanwaltschaft JEDE Ermittlung zur NSA-GHCQ-Spionage eingestellt, weil „kein begründeter ANfangsverdacht bestand“, „keine Beweismittel (physisch) vorlagen“ und/oder kein direkter Beschuldigtegreifbar war.
    Und es stimmt juristisch ja auch: die Snowden-Enthüllungen wurden nicht an die BA gefaxt und mit eidesstattlicher versicherung versehen – und selbst wenn, käme die Ermittlung schnell vor verschlossene US-Botschafts und Armeestations-Tore.
    Ein aussichtsloses, teils auch durch Geheimabkommen sogar legales Unterfangen.

    Warum der BND nicht beklagt wird? Die ANtwort lautet „G10-Gesetz“ – der BND kann und wird immer behaupten, solche Kommunikation nicht abzufangen (weil inländisch bzw. „deutsche Grundrechtsträger“) und wenn doch, würde diese ganz sicher bestimmt garantiert nicht ausgewertet!!1!
    Vor Gericht nicht überprüfbar.

    Also braucht man es auch nicht anzeigen – es wird keinen Ankläger und keinen Richter dafür geben.
    Für Keylogger und klar verfolgbare Server-Logs auf Redaktionscomputern hingegen schon.

  9. @Ingmar Frauding: Die Redaktionen hätten mit einer Strafanzeige ein Zeichen setzen können, egal, wie erfolgreich sie damit gewesen wären. Sie hätten damit zum Ausdruck gebracht, wie wichtig ihnen (und der Verfassung) das Redaktionsgeheimnis ist. Das haben sie damals versäumt.

  10. Sehr geehrter Herr Michal,

    „Maßlose Selbstüberschätzung und Schlimmeres hat man auch Wallraff vorgeworfen – das ist m.E. nicht der Punkt“

    Selbstverständlich hat Günter Wallraff im Laufe seiner Karriere auch Dinge durchgeführt, die fragwürdig waren – wenn ich mich recht entsinne, waren seine Recherchen in einer Großbäckerei ja durchaus zwiespältig. Seinen Einsatz bei BLÖD fand ich zum damaligen Zeitpunkt völlig in Ordnung – viel zu viele Leute glaubten unbesehen, was die BLÖD schrieb, die Methoden waren damals wesentlich übler als heute. Diesem Sumpf trockenzulegen war auch den Einsatz verdeckter Mittel wert. Daß der Coup Auswirkungen auf Wallraffs Ego hatte, will ich nicht ausschließen.

    Aber noch mal: Meine Phantasie reicht nicht, um mir halbwegs relevante Skandale bei der Taz vorzustellen; die Tatsache, daß Herr Heiser von der Bildfläche verschwunden ist, läßt mich auch eher weniger an die unmittelbar bevorstehende Aufdeckung eines TazGate glauben.

    Vor einer juristischen Einordnung sollte doch vielleicht zunächst mal die Debatte stehen, was der Herr glaubte, bei der Taz zu finden – sofern sich das je in Erfahrung bringen läßt.

    „Auch der Einsatz des Keyloggers ist, denke ich, unstrittig als rechtswidrig zu werten.“
    Dem will ich nicht widersprechen und habe es auch nicht – im Gegenteil.

    Wegen dieser Ungereimtheiten und meiner Einschätzung, daß wir nie vom großen Taz-Skandal lesen werden, weil es ihn höchstwahrscheinlich gar nicht gibt, vermutete ich eine narzißtische Störung bei Herrn Heiser.

    Sollte er tatsächlich hinter den Schnüffelstäbchen in der Redaktion stecken, ist es Aufgabe eines Gerichts festzustellen, inwieweit Persönlichkeitsdefizite sich auf ein eventuelles Strafmaß auswirken.

    Was die Datensauger von NSA und BND und Gott-weiß-wem-noch angeht: Da wären doch erst mal andere als die kleine Taz gefragt – finden Sie nicht? Zum Beispiel der Generalbundesanwalt?
    https://www.lawblog.de/index.php/archives/2014/05/28/noe-tschoe/

  11. @Wolfgang Michal

    Sehe ich auch so. Es ist geradezu absurd, dass seitens der Journalisten/Verlage bezüglich der NSA-Geschichte praktisch nichts passiert. Andererseits verwundert es dann doch nicht, denn deutsche Medien sind auf dem amerikanischen Auge nun mal überwiegend blind. Die nehmen nicht nur ihre eigene Komplettüberwachung durch die USA hin, sondern sie trommeln auch für eine noch engere Anbindung (TTIP usw.) an die USA.

    Das lässt doch tief blicken. Zumal die Komplettüberwachung ja nicht nur sie selbst, sondern die gesamte Bevölkerung inkl. Wirtschaft und Politik betrifft. Das müsste täglich auf Seite 1 stehen. Und zwar so lange, bis dieser klare Bruch des Menschenrechts Privatssphäre durch unsere „Freunde“ beendet ist.

  12. Heiser hat zu einem großen Teil junge Kolleginnen ausgespäht: Volontärinnen, Praktikantinnen z.B.. Wie das zur Aufdeckung von angeblichen Missständen bei der taz dienen sollte, bleibt mir schleierhaft. Wer die Person Heiser kennt, kommt da eher zu einer anderen, sehr persönlichen Vermutung…

  13. @Kurt Mueller: Ich sehe keine große Differenz zwischen Ihnen und mir. Die genannten Urteile und ihre Begründungen sollen schlicht die Gedankengänge in Erinnerung rufen, die sich BGH und BVG anlässlich des damaligen Falls gemacht haben.

    Was die Rolle der Zeitungsredaktionen in Sachen „Ausspähung“ durch Geheimdienste angeht, so finde ich allerdings, dass sie ihr Nichtstun nicht mit der Untätigkeit des Generalbundesanwalts begründen können. Es ist ihre ureigene Angelegenheit. Sie können diesen Verfassungsbruch nicht einfach auf sich beruhen lassen. Auch das steht m.E. im Urteil des BVG.

  14. zu (5): Verdeckte Filmaufnahmen z.B. von einer Redaktionssitzung sind *nicht* vergleichbar mit dem Einsatz eines Keyloggers. Wie JJP in (4) ja bereits gezeigt hat, sind Keylogger in der heutigen Zeit geeignet, Einblick in die intimsten Umstände eines anderen Menschen zu gewinnen.

    Die Privatsphäre wird bei Filmaufnahmen z.B. einer Redaktionssitzung nicht in dem Maße berührt, da man sich hier ja in einer halb-öffentlichen Situation befindet, und sich dazu verhält. Ebendiese (und nur diese) Situation ist dann ja auch Gegenstand der aufklärerischen Absicht des „Undercover“-Journalisten.

    Anders verhält es sich beim Einsatz eines Keyloggers, der jegliche „Äußerung“ des Mitarbeiters aufzeichnet – dienstliche, aber auch schutzwürdige persönliche und ggf. auch private Information. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen, hätte ein Günter Wallraff allen „ausgespähten“ Mitarbeiters mindestens 5×8 eine Kamera umschnallen müssen, und die Mitarbeiter in tatsächlich jeder Situation zu filmen.

    Der Einsatz eines Keyloggers, sofern sich der Vorwurf gegen den Journalisten erhärten lässt, ist in keinster Weise vergleichbar zum Scoop von Wallraff.

  15. Danke für diesen sehr interessanten Artikel. Dem Fazit, dass die Bewertung des Ganzen in erster Linie davon abhängt, was die Gründe für diese Spionage waren, kann ich nur zustimmen: Falls Herr Heiser doch noch mit eine Enthüllung liefert, die so wichtig für die Öffentlichkeit, dass sie sein Tun rechtfertigt, würde das natürlich alles ändern.

    Nur vom bereits bekannten ausgehend, ist es aber einfach nur eine (mmn. absolut verachtenswerte) kriminelle Handlung, die da stattgefunden hat.

    „Im Zweifel für den Angeklagten“ gilt halt nur für die Frage danach, ob eine strafbare Handlung begangen wurde, mildernde bzw. rechtfertigende Umstände müssen hingegen bewiesen werden. (Parallel wird ja auch nicht jeder Totschlag im Zweifelsfall erstmal als gerechtfertigte Notwehr behandelt!)

  16. Es gibt für mich einen Riesenunterschied zwischen Wallraff und Heiser.
    Wallraff hat sich damals zum Zwecke des Spionierens einstellen lassen und war nach ein paar Monaten wieder weg.
    Heiser jedoch hat mit den ausspionierten Kollegen jahrelang (15?) zusammengearbeitet. Noch ein paar Tage vorher, mit Beginn der #szleaks hat er auf seinem Blog schwadroniert, wie toll es doch bei der taz ist, wie sehr er unterstützt würde und er hat alle seinen Bombenstories für die taz verlinkt. Zum einen hat er die Öffentlichkeit angelogen. Und zum anderen hat er langjährige Kollegen angesch…., die sich heute fragen, ob er auch beim letzten gemeinsamen Grillabend oder Zug über den Weihnachtsmarkt punschseliges Gesabbel mitgeschnitten hat.
    Egal wie die rechtliche Seite hier aussieht, es ist ein Vertrauensbruch. Etwa so, wie wenn man von einem Tag auf den anderen von einer langjährig betreuten journalistischen Plattform ausgeschlossen wird, oder?

  17. Ich meine es macht einen Unterschied, ob ein Journalist einer Information, für die ihm noch Belege fehlen, die er aber im Prinzip schon hat, hinterherrecherchiert und wenn er sie anders nicht bekommen kann verdeckte Methoden einsetzt, oder ob er vielleicht seine Spionagemittel nur mal so einsetzt um überhaupt erst einen Verdacht zu begründen. Letzteres müsste generell tabu sein, ersteres in Abhängigkeit von der Schwere der Vorwürfe.

  18. Ein Rechtsbruch ist das unbefugte Ausspähen von Daten immer, egal ob es für einen guten Zweck geschieht (#swissleaks) oder nicht. Die Frage, die sich dabei stellt, ist, ob man den Rechtsbruch in Kauf nimmt wegen eines „überragenden öffentlichen Interesses“… Das sehe ich, wie gesagt, eher nicht, auch weil sich Heiser bislang nicht zu den Vorwürfen äußert, es ist aber nicht völlig auszuschließen.
    Das Wort Spionageaffäre sollte eigentlich nur dann verwendet werden, wenn jemand für einen fremde Macht „spioniert“. Deshalb halte ich dieses Wort im Zusammenhang mit der taz-Geschichte für eine Über-Dramatisierung.

    Das Delikt „Ausspähen von Daten“ (etwa mittels Keylogger) wurde übrigens nicht zufällig unmittelbar nach § 202 („Verletzung des Briefgeheimnisses“) in das Strafgesetzbuch eingefügt. § 202a lautet: „Wer unbefugt sich oder einem anderen Zugang zu Daten, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
    Prinzipiell ist die unbefugte Verwendung eines Keyloggers mit dem unbefugten Öffnen der Post zu vergleichen.

    Heiser stützte sich bei seiner investigativen Arbeit, das kann man seinem oben zitierten Artikel entnehmen, auf die Interpretation des Wortes „unbefugt“, das im Urteil des OLG München in bestimmten Fällen für Journalisten relativiert wird. Da es im Fall Marienhof nicht um eine Redaktion ging, sondern um eine Werbeagentur, war Artikel 5 GG, der den Schutz des Redaktionsgeheimnisses mit einschließt, nicht tangiert. Hätte das Bundesverfassungsgericht das Urteil des OLG München in diesem Punkt überprüfen können, hätte es das Münchner Urteil – wie schon 1984 den BGH – wohl in diesem Punkt korrigiert. Das ist m.E. der Irrtum, dem Heiser mit seiner Berufung auf das OLG-Urteil unterliegt. Bei einer Redaktion, die sich auf Artikel 5 GG berufen kann, liegt die Hürde eben ungleich höher.

    @Petra: Natürlich ist es ein Vertrauensbruch. Das ist wohl immer so, wenn man sich Informationen durch Täuschung etc. verschafft.

    @W. Damit: Ich gehe mal davon aus, dass auf einem Redaktionscomputer, also am Arbeitsplatz nicht die „intimsten Umstände“ gespeichert werden.

    P.S.
    Rechtsanwalt Markus Kompa hat sich in seinem Beitrag übrigens ebenfalls auf die Urteile zum Fall Wallraff/Springer bezogen. http://www.heise.de/tp/artikel/44/44214/1.html

  19. Leider lassen Sie eine wichtige Erklärungsmöglichkeit weg: Könnte es nicht sein, dass die Motivation eine gänzlich Unjournalistische gewesen ist und das Ausspähen nur aufgrund von privaten Beweggründen erfolgte?

  20. @Daniel Bröckerhoff: Auch das ist möglich. Aber würde die taz eine private Schnüffelei als „Spionageaffäre“ bezeichnen?

  21. Der Vergleich mit Wallraff/Esser hinkt, da es sich bei BILD um kein journalistisches Produkt ergo auch nicht um eine Redaktion als besonders schützenswerten Raum handelt.

  22. eine hypothese (reine fantasie!):
    was ist, wenn heiser gar nicht die taz und/oder mitarbeiter „auspionieren“ wollte, sondern wenn er auf der suche eines verfassungsschutzmaulwurfs war/ist, der tatsächlich die taz-redaktion für den staat ausspionierte?
    nehmen wir mal an, heiser wäre da an informationen gekommen, dass sich in der taz-redaktion ein verfassungsschutzmaulwurf eingenistet hätte und ständig redaktionsinterne informationen an den staat (verfassungsschutz) geliefert hätte. heiser wäre da also tatsächlich einer großen sache auf der spur. wenn das so wäre und er es investigativ recherchieren und beweisen könnte, dann wäre das ein mega-skandal.

    nehmen wir weiterhin an, heiser hätte niemanden innerhalb der taz-redaktion informieren können, weil er nicht wusste, wer genau der staatsmaulwurf ist. wenn er jetzt in dieser situation gewesen wäre, wäre das mittel der keylogger, als schutzmassnahme gegen das staatliche eindringen in presse-redaktionen, indem er den maulwurf findet und sein tun beendet, vermutlich sogar gerechtfertigt.

    dieses szenario sollte insgesamt als möglichkeit betrachtet werden, denn die taz unter kontrolle halten aka spionage durch den staat, kann durchaus im interesse einiger politischer richtungen sein. der verfassungsschutz zählt in diesem sinne zu den „politischen richtungen“. es kann also durchaus sein, dass der verfassungsschutz eigenverantwortlich „mal eben eine redaktion ausspioniert“, ohne das da tatsächlich politiker oder parteien von wussten. vielleicht hat aber heiser durch einen whistleblower davon erfahren und sich auf die suche gemacht?

    wenn man die beiträge von heiser so liest, bedenkt wie lange er bei der taz ist, kann das durchaus eine motivation für ihn gewesen sein, eben der schutz der taz-redaktion, indem er den maulwurf findet.

    ps: ich weiß von nichts, ich habe keinerlei informationen, ob es so war/ist. was ich hier geschrieben habe, ist reine fiktion bzw. eine suche nach der motivation, die heiser ja haben muss. natürlich kann es so eine triviale sache, wie eifersucht sein: heiser war/ist eifersüchtig auf kollegen usw.
    oder er ist einfach komplett abgedreht und sieht sich und sein handeln isoliert von allen anderen dingen und war/ist auf der suche nach einer neuen story, egal wie er daran kommt.
    aber: irgendwie klingen diese trivialen motivationen allesamt nicht erklärend genug. vielleicht ist da tatsächlich eine viel größere story verborgen (wie oben beschrieben)!

  23. Keylogger geht gar nicht. Der schneidet nicht nur auf dem PC gespeicherte Dinge mit wie eine „Online-Durchsuchung“, sondern eben auch Privates. Und wenn da wirklich ein Verfassungsschutzmitarbeiter oder sonstiger Maulwurf in der Redaktion gewesen wäre, wäre der Keylogger ja noch dämlicher, denn so einer ist doch nicht blöd. Mit so einem legt man sich nicht als Hobbyspion an.

    Aber die TAZ ist ja nun seit langer Zeit Ziel von Maulwürfen und Spähattacken, nur weil sie links ist, aber m.W. niemals radikal war. Gravenreuth hat ja seinerzeit der TAZ die Domain abgenommen, um alle eingehende Post lesen zu können.

    Von daher ist das Ganze schon sehr übel, sich gerade über eine Redaktion herzumachen, der alle möglichen weniger netten Leute an die Wäsche wollen, mitd enen man sich so gemein macht. Man muß sich fragen, was den Kollegen (ist er noch einer?) geritten hat. Oder wer ihn bezahlt hat.

    Und das gerade nach dem „Coup“ mit der SZ, der aber auch Branchenkennern nichts wirklich Unbekanntes verkündet hat, aber mit unnötig aggressiven heimlichen Mitschnitten. Nur weil das TV mitunter so arbeitet, muß ja nun nicht jeder Quark mit heimlichen Mitschnitten belegt werden. Günter Wallraff kam bei BILD auch mit weniger aus.

  24. komisch, dass niemand mehr darüber berichtet..

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