Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Die griechische Querfront

8. Februar 2015, 18:30

In Griechenland bilden Linksradikale und Rechtspopulisten eine nationale Regierung gegen das EU-Establishment. Ein Muster für kommende Konflikte?

Lechts und rinks kann man nicht

velwechsern

werch ein illtum!

Ernst Jandl, 1966

Die Entscheidung des griechischen Wahlsiegers Syriza, mit der rechtspopulistischen Partei „Die unabhängigen Griechen“ (Anel) eine Regierungskoalition zu bilden, hat bei deutschen Linken und Liberalen Irritationen ausgelöst. Viele sind perplex, andere hoffen noch, einen plausiblen strategischen Grund für diese Entscheidung zu finden, wieder andere meinen, der Beschluss wäre ungefähr so, als würden in Deutschland Linke und AfD gemeinsame Sache machen. Warum verschafft ausgerechnet die Linke den Rechtspopulisten Reputation und Zugang zur Macht? Ist ein solches Bündnis nicht extrem gefährlich?

In Deutschland, wo das Erinnern an den Untergang der Weimarer Republik derartige Bündnisse disqualifiziert, scheint die Antwort eindeutig auszufallen. Hier sorgt ein intensives Bashing dafür, dass protestierende Rechtspopulisten quer durch fast alle Medien zu Unberührbaren erklärt werden, mit denen man nicht einmal reden darf. Sigmar Gabriels Versuch, mit den Sympathisanten von Pegida ins Gespräch zu kommen, wird von linken und konservativen Blättern als „obszön“ empfunden.

Dabei hätte auffallen müssen, dass sich bei den Demonstrationen der letzten Monate linke und rechte Motive mischten. Man konnte es an den Transparenten ablesen, aber auch an Wählerwanderungsanalysen und Meinungsumfragen. Es gibt beträchtliche Schnittmengen zwischen Linken- und AfD-Wählern. Seit die traditionellen politischen Lager ihre Bindekraft verloren haben, ist Parteien-Hopping für politisch Heimatlose zu einer Art Volkssport geworden. Wenn die einen nicht für Änderungen sorgen, dann eben die anderen, wenn nicht die Linken, dann die Rechten. Das Potential dieser frei floatenden „Wutbürger“ hat sich seit der Finanzkrise verdoppelt und verdreifacht. Einen festen politischen Anschluss scheinen sie nicht mehr zu finden.

Für sozialdemokratische Parteien (wie die SPD oder die Linke) ist das ein größeres Problem als für die CDU. Das hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ganz richtig erkannt. Die konservativen Parteien mögen durch Syriza und Podemos einige Prozentpunkte verlieren, doch die Sozialdemokraten werden regelrecht dezimiert – siehe den Bedeutungsverlust der PSOE in Spanien oder den Absturz der Pasok in Griechenland. Bei den französischen Wahlen 2017 wird sich endgültig zeigen, wie tief dieser Vertrauensverlust geht.

Die letzten Populisten machen das Licht aus

Als Oskar Lafontaine noch die Richtung in der Partei Die Linke vorgab, hat er es – wie Jean-Luc Mélenchon in Frankreich – verstanden, durch populistische Reden und die Betonung des nationalen Selbstbestimmungsrechts auch unzufriedene Rechte (insbesondere in Ostdeutschland) anzusprechen und an die Linke zu binden. Seit Lafontaine aus der Bundespolitik ausgeschieden ist, wandern diese Stimmen aber wieder ins rechte Lager – ohne dort fest verankert zu sein.

Auch Albrecht Müller von den Nachdenkseiten, ein treuer Anhänger Willy Brandts, der ganz gewiss über mehr politische Erfahrung verfügt als die moralisch schnell empörte Enkelgeneration, sieht Berührungspunkte zwischen Rechten und Linken, und will sich nicht vorschreiben lassen, mit wem er redet. Zum Schrecken seiner politischen Freunde unterstützt er die „Friedenswinter“-Kampagne der rechten „Verschwörungstheoretiker“ um Ken Jebsen, die in Putins nationalistischer Politik mehr politische Vernunft entdecken als im globalen US-Feldzug „gegen den Terror“ oder im ökonomischen Blindflug des Finanzkapitals.

Warum sich heute so mancher Linke zur AfD hingezogen fühlt, beschrieb vor einiger Zeit der Blogger Stephan Ewald in einem Interview mit Jan Falk. Wenn die eigenen Leute schweigen und sich angesichts himmelschreiender Zustände bedeckt halten, geht man eben zu denen, die sich trauen, den Mund aufmachen und laut zu protestieren. Wenn im eigenen politischen Sektor (etwa der Sozialdemokratie oder der Linken) nichts los ist, muss man notgedrungen zu den Rechten gehen – eine Haltung, die man früher als politischen Verrat gebrandmarkt oder als Todsünde wider die eigene politische Solidität und Glaubwürdigkeit verstanden hätte. Heute ist der Zorn so groß, dass man eher diejenigen als Verräter betrachtet, die passiv an der eigenen Trägheit festhalten und ein Leben lang die gleiche Partei wählen. Heute ist der Wähler eine Ich-AG und muss sich täglich neu erfinden. Lechts oder rinks – was spielt das noch für eine Rolle?

Syriza und der Front National

Auch in umgekehrter Richtung funktioniert das Wechselspiel. Der Griechenland-Kenner Niels Kadritzke schilderte unlängst, wie sich Marine Le Pen, die Vorsitzende des französischen Front National, in den griechischen Wahlkampf einmischte. Gegenüber Le Monde erklärte sie: Wäre ich Griechin, würde ich Syriza wählen. Und zwar wegen des gemeinsamen Kampfes „gegen den europäischen Totalitarismus und seine Komplizen, die Finanzmärkte”.

Das heißt: Nicht mehr gemeinsame Überzeugungen oder Werte bilden die Grundlage politischen Verhaltens, sondern gemeinsame Gegner. Das ist die Philosophie des Klassenkampfs, des Freund-Feind-Denkens oder des Bürgerkriegs, ein Denken, das für politische Sammlungsbewegungen typisch ist. Sie drehen den alten, vom Staat alimentierten Parteien, die nur noch verwalten und repräsentieren, eine Nase. Es geht – sagen die Bewegten – nicht mehr um links oder rechts, sondern um oben oder unten.

Wenn etwa die berühmten „99 Prozent“ der Occupy-Bewegung gegen das Finanz-Establisment aufstehen (wie demnächst gegen die EZB), kann man getrost davon ausgehen, dass ihr Wutpotential politisch nicht homogen ist, sondern eine wilde Mischung aus linken, liberalen, konservativen, anarchistischen und rechten Positionen darstellt. Es zeichnet Sammlungs-Bewegungen gerade aus, dass sie weitgehend unstrukturiert und politisch „breit aufgestellt“ sind. So war es in den achtziger Jahren bei der polnischen Solidarnosc-Bewegung, so war es im Arabischen Frühling. Die Anhänger der islamistischen Muslim-Bruderschaft, liberale Demokraten und linke Studenten hatten das gleiche Ziel: den Sturz der Regierung.

Auch Syriza ist eine Sammlungsbewegung. Sie hat ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen: die Befreiung Griechenlands aus der „Knechtschaft“ der EU und der Banken. Für dieses nationale Ziel vergisst sie alle ideologischen Unterschiede. Ja sie hofft, auf dem Weg zum nationalen Ziel auch jene Gruppierungen integrieren zu können, deren gesellschaftspolitische Ziele ganz woanders liegen. Ob diese Einverleibung gelingt oder ob sich die Sammlungsbewegung die Brandstifter damit erst recht ins Haus holt, ist eine offene Frage.

Von griechischer Warte mag es so aussehen, als hole sich der selbstbewusste Wolf Tsipras zur Stabilisierung der innenpolitischen Situation ein harmloses rechtes Schaf ins Haus, doch Skeptiker fürchten – mit Blick auf Dresden und Frankreich – dass das Schaf Syriza mit der Aufnahme eines rechtspopulistischen Wolfs in die Regierung einen Präzedenzfall für Europa schafft.

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, können Sie mich durch eine Spende unterstützen.

Umbrüche & Entwicklungen sagt Danke!

1 Kommentar

  1. Sehr klug und kenntnisreich. Habe ich sehr gerne gelesen!

Weitere Artikel über Politik:

Wer steckt hinter dem #Strachevideo?

Noch immer fehlt ein Bekennerschreiben. Und Spiegel und SZ verraten ihre Quelle nicht. Also schießen die Spekulationen ins Kraut. Am Ende könnte die Geheimniskrämerei den Rechtspopulisten mehr nützen als schaden.

EU-Urheberrechts­reform: Zensur ist nicht der Zweck

Nicht die Zensur von Inhalten, sondern die Pflicht zur Lizenzierung ist der Kern der EU-Urheberrechtsreform: Handlungen sollen nicht verhindert, sondern zu Geld gemacht werden.

„Zensur ist, wenn du unterdrückst, was ich gut finde“

Wer Meinungsfreiheit gewährleisten und Zensur verhindern will, muss Medien und soziale Netzwerke demokratisieren. Das zeigt ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Zensur.