Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Wie Europa wirklich entsteht

13. Juli 2015, 15:51

Noch vor Jahren klagten unsere Vordenker, Europa sei ein kaltes Elitenprojekt, das nur die Eliten interessiere. Doch plötzlich wollen alle mitquatschen. Und das ist gut so.

In einem bemerkenswerten Interview sagte der Chefhistoriker der Mächtigen, Herfried Münkler, heute morgen, Europa werde als Elitenprojekt fortgeführt – „oder es wird scheitern“. Würden Krethi (ein Grieche!) und Plethi überall mitreden dürfen, wüchsen nur die zentrifugalen Kräfte, die das schöne Projekt am Ende zerreißen. Doch genau dieses Risiko des Scheiterns ist das Ingrediens, das aus dem einst kalten Thema Europa ein politisch heiß umstrittenes macht.

Noch nie haben die Probleme eines einzelnen Landes die Bevölkerungen anderer Länder so stark interessiert wie heute. Mit dem Wahlsieg der Syriza-Bewegung ist Bewegung ins europäische Haus gekommen. Die Inneneinrichtung Europas wird nicht mehr allein den Eliten überlassen. Im griechischen Referendum konnten wir einen ersten zaghaften Ansatz zur Formulierung einer Alternative erkennen. Und durch das Referendum erlebten wir erstmals eine Solidarisierung (und Polarisierung) der Menschen quer zu den europäischen Nationalstaaten: Auf den Straßen von Irland bis Italien feierten die Verteidiger der griechischen „Nein“-Politik ihre Helden; an den Stammtischen von München bis Riga regierten die Anhänger der harten Linie gegen die „Verschwender“ des Südens. Zum ersten Mal gab es in der EU so etwas wie eine innereuropäische Auseinandersetzung, zum ersten Mal gab es zwei politische Lager, die sich konfrontativ gegenüber standen. Für die Verfechter der alten Europapolitik der Eliten (etwa die Brüsseler Apparatschiks Martin Schulz oder Rolf-Dieter Krause) war das ein Graus, für diejenigen, die die sozial blinde Politik der großen Koalition in Brüssel satt haben, war es eine Erlösung. Syriza – das muss man der aus der Not geborenen Bewegung lassen – hat den Nationalstaatsbewohnern das vereinte Europa näher gebracht als jede bisherige Alt-Partei (einschließlich den Grünen). Syriza hat das Projekt Europa aus seinem Dornröschenschlaf geweckt.

Ein solches Projekt kann nicht von oben installiert werden, wie dies in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch möglich schien. Sollte dieser veraltete Politik-Ansatz jedoch weiterhin versucht werden – und dafür spricht das „Einigungspaket“ des Europa-Gipfels vom Sonntag – wird der Aufstand der Griechen nur der Anfang der kommenden Aufstände gewesen sein. Nicht die Bevölkerungen müssen ausgetauscht werden, die Politik in Brüssel und in den nationalen Hauptstädten muss eine grundlegend andere werden. Es ist ein Trugschluss zu glauben, die Griechen hätten sich mit der Einigung von Sonntag wieder nur Zeit gekauft, nein, es ist die Troika, es sind die durch die Troika vertretenen Sonder-Interessen, die sich immer weitere Zeit kaufen. Der Konflikt selbst bleibt ungelöst.

Der nächste Aufstand wird deshalb dramatischer ausfallen als der jetzige, der übernächste könnte in einen Bürgerkrieg münden. Wer die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika studiert, wird sehen, dass auch dieses Projekt nicht von heute auf morgen auf dem Papier entstanden ist, sondern nach harten Auseinandersetzungen im Rahmen eines ökonomisch-politischen Nord-Süd-Konflikts.

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7 Kommentare

  1. OMG. das ist das erste mal, daß ich mich frage, ob der blogautor langsam alt wird.

    daß europa ein projekt der eliten sei, halte ich für ein narrativ, das nichts, aber auch rein gar nichts mit meiner lebenswirklichkeit zu tun hat. na gut, 2 jahre schüleraustausch mit einem franzosen, immer im dreiländereck deutschland/frankreich/luembourg beheimatet, da sieht man die dinge vielleicht eh ein bißchen weniger abstrakt.

    für jemanden, der auf dem weg nach remich immer mal kurz anhält, um ein paar blumen am denkmal für monnet abzulegen, ist der versuch, das griechische referendum so schön zu reden, wie du das gerade tust, lieber wolfgang, bitter: diese gemeinschaft kann nur funktionieren, wenn sich alle an die regeln des fairen miteinansder und an absprachen halten. dies, wie gerade geschehen, zur not auch mal zu erzwingen, ist kein „coup“, es ist etwas, was schlicht angesichts der letzten 5 jahre – vor allem aber nach dem letzten halben jahr tanz auf der nase allerandeen ind der gemeinschaft – gemacht werden musste. nicht nur aus aussenpolitichen sondern vor allem aus innenpolitischen gründen. wie denkst du könnte die merkelsche sonst die ganzen mauler in den eigenen reihen wieder einfangen und dazu zwingen, noch mal die börse zu öffnen.

    tut mir leid, aber ich kann mit dieser blogpost so rein gar nichts anfangen – und wie gesagt, das schreibt dir einer der beinhartesten europafans, die du dir nur ausmalen kannst, sie ist mir zu abstrakt und scheint von einem seltsamen verständnis von politik als einem schlaraffenland zu rühren.

  2. @hardy:Die Zeit vergeht für dich genauso schnell wie für mich.

    Ich kann aber leider nicht erkennen, auf welchen Beitrag du dich beziehst. Den obigen kannst du nicht gemeint haben, denn von einem Coup ist da nicht die Rede.

  3. lieber wolfgang,

    ich weiss, daß du nicht von einem coup gesprochen hast, das war ja auch eine allgemeine formulierung. ich beziehe mich sehr wohl auf deinen post, die in der lächerlichen volte tsipras (auch „das referenum“ genannt) „einen ersten zaghaften Ansatz zur Formulierung einer Alternative erkennen“ möchte.

    ich hoffe, du hast dazu lübberdings artikel dazu gelesen

    http://www.wiesaussieht.de/2015/06/27/alexis-tsipras-und-das-referendum/

    wie du nun aus dem versuch eines einzigen landes mit einer abstimmung zu hause die geschicke aller übrigen festzulegen, einen demokratischen akt zaubern möchtest, entzieht sich meinem verständnis.

    und ja: ich werde auch alt.

    das führt bei mir aber nicht dazu, auf meine alten tage plötzlich noch mal ungestüm zu werden wie etwa klaus jarchow, der auf seinem stilstand ja durchaus die dinge ähnlich wie du siehst.

    daß ich mich dann urplötzlich lübberding statt euch beiden zustimmen sehe, das ist schon ein bißchen „kurios“ 😉

  4. @hardy Mit dem geschätzten Lübberding stimme ich relativ oft überein, er ist einer der wenigen Blogger aus der realpolitischen Schule, aber auch Sozialdemokraten wie er haben ihre blinden Flecken. Syriza und andere Bewegungsparteien knabbern ja vor allem an der Sozialdemokratie und das verzerrt schon mal die Wahrnehmung.

    Ein Referendum ist ein demokratischer Akt, ja. Und das war nicht lächerlich, sondern das einzig Richtige, was Tsipras in seiner nahezu aussichtslosen Position machen konnte. Wir Deutschen durften ja über nichts abstimmen, was wirklich wichtig war. Insofern sind wir da unbewusst vielleicht ein bisschen neidisch. Wenn du wissen willst, was der kleine Aufstand der Griechen für Europa bedeutet, dann lies mal George Soros‘ Berliner Rede nach. Ist von 2011!!

  5. ich habe mal gerade bei klaus aus meinem herzen keine mördergrube und meinem unmut über die haltung vieler luft gemacht – und will mich hier nicht mit dir nicht über verschüttete milch zanken. ich tendiere da eher zum ansatz von lübberding und bin spätestens an dem punkt, als er das referendum wie ein karnikel aus dem hut zog, aus meiner eher emotionalen sympathie für tsipras ausgestiegen, weil ich mich da nur noch verhohnepiepelt fühlte.

    ich tue mir ein bißchen schwer, in der masse derer, die gerade vor mitleid zerfliessen und am liebsten sich selbst boykottieren würden, mitzuschwimmen. oder weiter jeder kleinen taktischen volte nachzulaufen, wenn sie nur mein schlechtes gewissen als deutscher füttert. meine kleine wutrede bei klaus führt das weiter aus.

    du gehörst für mich zu meinen gerne gelesenen autoren, weil du in der regel einen hang zum überblick hast und die dinge so einordest, wie sie ältere – in der bonner republik großgewordene – herren sie verstehen. genau deshalb hadere ich ein klitzekleines bißchen mit dir und klaus, weil ich mir irgendwo mehr distanz zum tagesgeschehen und einen blick für die zukunft erwarte, die die probleme nicht zugunsten hehrer begriffe verkleistert:

    die demokratie ist nicht in gefahr, wolfgang, denn _wir_ sind das volk und nicht die merkel oder ein paar strippenzieher. aber demokratie, das bedeutet auch, daß wenn 18 einen auffordern, langsam mal zu potte zu kommen, dieser eine sich dem beugen muss. da stehen wir jetzt: der eine wurde zur ordnung gerufen, sich an die spielregeln zu halten. oder eine mehrheit zu organisieren, die diese verändert. da viele das verrauen verloren haben, muss er nun – als konsequenz seines erratischen verhaltens – auch damit leben lernen, daß er eine fussfessel und bewährungshelfer zur seite gestellt bekommt. das ist nicht schön, und ich hätte so gerne wie du gesehen, daß es auch anders geht …

    aber leider hat der pfau zu viel triumphiert und das verzeihen ihm die anderen, drie grauen mäuse, die er bespöttelt hat, nur ungern.

  6. @hardy.Ausser blumiger, orgastischer, vernebelter Schreibweise:???! Ihre Haltung wird auch im Dreiländereck Polen, Tschechien und Deutschland geteilt. Warum also dieser Schwulst?

  7. hardy, Wolfgang Michal vielen Dank für diese Diskussion. Zwei Anmerkungen:

    „wenn 18 einen auffordern, langsam mal zu potte zu kommen“ ist schon recht. Es sollte aber klar sein, dass Europa tief gespalten ist in dieser Frage. Es existiert da eine Art Nord/Süd-Gefälle. Damit darf ich das also umformulieren?

    „wenn Millionen die Politik auffordern, langsam mal zu potte zu kommen!“, wie auch immer das aussieht, dann könnte man anfangen vom Aufkeimen einer Demokratie in Europa zu sprechen. Griechenland hat wenigstens gefragt. Was ist Demokratie, wenn es 18 um gegen (oder mit) Millionen geht. Alleine die Griechen sind schon wie viele?

    Dann zum f.luebberding mit seiner Aussage „Griechenland kann nämlich lediglich über seine eigene Zukunft entscheiden“

    Natürlich. Ich kann bei einer Wahl auch nur meine Meinung vertreten. Es ist grundlegend, das Prinzip der Demokratie, dass ich das vollkommen unabhängig tu. Ich denke, wesentliche Teile der Griechen entscheiden nicht nur über die „Hilfen“. Sie wendeten Demokratie an, wenn sie sich gegen die Schäuble und Merkel-Doktrin entschieden. Es ist nicht nur ihr Recht. Es ist ihre Pflicht als demokratische Europäer, hier nach ihrem Gewissen zu entscheiden.

    Ich zitiere Schäuble: „„Ich diskutiere das Programm nicht – es wurde von der vorhergehenden Regierung akzeptiert, und wir können es unmöglich erlauben, dass Wahlen irgend etwas ändern. Denn wir haben die ganze Zeit Wahlen, es gibt 19 von uns, wenn immer bei einer Wahl sich etwas ändern würde, dann würden die Verträge zwischen uns nichts bedeuten.“

    Sehen wir einmal von der seltsam undemokratischen Ansicht ab, Wahlen dürfte man nicht erlauben, etwas zu ändern – es ist ja klar, was Schäuble sagte (und was er meinte dürfte nach Freud auch klar sein. Es gibt ja noch die Frage, ob die ursprünglichen „Forderungen“ überhaupt rechtmäßig waren…),

    In dieser Doktrin sehe ich nichts, dass einem Händler, einem Handwerker, einem Unternehmer und schon gar einem „Arbeitnehmer“ in Griechenland nutzt. Erhöhte Mehrwertsteuer, Renten- und Sozialkürzungen sind kein Mittel, Umsatz und Produktivität anzukurbeln. Wohl aber sehe ich, dass mit dem Verkauf des Tafelsilbers die zugehörigen Einnahmen verschwinden und in das Ausland abfließen. Es ist Kontraproduktiv, die Kuh, die den Pflug ziehen soll, zu schlachten.

    Man kann das anders sehen, Banken als „Finanzierungsquelle“ in den Vordergrund stellen. Aber bei einem hoch verschuldetem Staat? Wirklich?
    Man kann das anders sehen.

    Doch die Bewegung im europäischem Haus darf nicht im Keim erstickt werden.

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