Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

„Wir wollten der Reißzahn im Arsch der Mächtigen sein“

24. September 2015, 11:55

Claus Peymann zieht eine Bilanz seines langen Theaterlebens. Zornig ist der bald 80-jährige noch immer. Wenn er 2017 das Berliner Ensemble verlässt, dann ganz bestimmt nicht leise.

Von der neuen Garde der Hauptstadtkultur hält er nichts. Von der Förderung junger Leute auch nicht. Junge Leute sollen sich durchsetzen. Peymann selbst ist (politischen) Konflikten nie aus dem Weg gegangen. Nicht in Frankfurt (Notstandsgesetze), nicht in Stuttgart (RAF), nicht in Bochum, nicht in Wien (NS-Vergangenheit), nicht in Berlin (Kulturpolitik). So wurde er zur „Theaterlegende“. Doch nach über 50 Jahren auf jenen Brettern, die die Welt nicht mehr bedeuten, rückt das Ende seiner Karriere näher. Für das Hamburger Theater-Magazin (1963 gab Peymann am Hamburger Universitätstheater sein Debüt) durfte ich ein längeres Gespräch mit ihm führen. Es ist das Vermächtnis eines sympathischen, Mut machenden Egozentrikers. Hier ein paar Auszüge:

„Ich habe Gott sei Dank einen völlig intakten Instinkt, ich bin ein Stadt-Indianer. Im Grunde bin ich zwar ein bisschen blöd, aber ich habe ein gutes Gefühl für andere Menschen, auch für die Begierden oder die Gefahren, die von anderen Menschen ausgehen…“

„Ich wollte nie Fürsprecher und finde das auch furchtbar. Diese Dauer-Förderung und -Fütterung von jungen Leuten, das ist doch peinlich. Ich hab mich selber durchgesetzt. Damals wäre nie jemand auf den Gedanken gekommen, einen Peter Handke zu fördern oder einen Botho Strauß. Das ist ja dieser völlige Schwachsinn, dass heute jeder, der halbwegs einen Computer bedienen kann, gleich als Nachwuchsdramatiker preisgekrönt wird…“

„Ich hatte immer das Gefühl, dass das Theater einen starken Einfluss hat. Natürlich gibt es eine ohnmächtige Wut, wenn man sich den Unsinn anschaut, der beim sogenannten G7-Gipfel in Elmau aufgeführt wurde. Da gab es für 300 Millionen Euro ein völlig sinnloses Fotoshooting, das 30.000 Polizisten beschützen mussten. Selbst die Demonstranten sahen wie Freizeitwanderer aus. Aber verstehen Sie, mein Leben ist immer in einer sehr starken Auseinandersetzung mit der Politik verlaufen, das heißt, ich war immer auf der Gegenseite, in meinen Frankfurter Jahren war das Theater am Turm das große linke anarchistische Theater in Deutschland, und es war kein Zufall, dass dort die Stücke Peter Handkes uraufgeführt wurden. Wir haben demonstriert, wir haben versucht, den Vietnamkrieg zu verhindern, wir haben versucht, die Macht Springers zu brechen, wir haben versucht, die Verabschiedung der Notstandsgesetze zu verhindern. Wir wollten nicht, dass Deutschland wieder ein reaktionäres Land wird…“

„Ich habe öffentlich angekündigt, wir würden der Reißzahn im Arsch der Mächtigen sein. Der war dann – zugegebenermaßen – ziemlich stumpf. Denn heute ist in Berlin und anderswo auf dem Theater beinahe alles möglich. Wir leben in einer Zeit, die so vernebelt ist, so diffus, dass der Gegner, der Feind, gegen den sich das Theater mit subversiven, provokanten und zugleich aufklärerischen Mitteln zu richten hätte, gar nicht mehr zu erkennen ist… In der Berliner Kulturszene ist heute alles möglich – und zugleich nichts. Selbst wenn sie den Politikern die allerhärtesten Beschimpfungen, Beschuldigungen und Gemeinheiten an den Kopf werfen, es interessiert niemanden, man zuckt mit den Schultern und sagt, diese verrückten Alt-68er und Gut-Menschen… Man nimmt uns nicht mehr ernst. Und das ist fatal für ein kämpferisches Theater, wenn man es einfach aussitzen kann…“

„Natürlich ist meine Rolle von vornherein eine lächerliche und absurde. Natürlich bin ich völlig unzeitgemäß, aber ich bekenne mich inzwischen zum Museum. Das ist doch großartig! Gehen Sie mal in Museen. Warum stehen da 300.000 Leute Schlange, um einen Van Gogh zu sehen? Weil sie etwas suchen, was sie in der Realität nicht mehr finden. Und wenn das so ist, dann bin ich gerne ein lebendiges Museum. Manchmal ist das Museum der Platz, um das Gute zu bewahren. Dann bewahren wir hier das Theater als Feier, das Theater als Platz der Aufklärung und als Fest der Schauspieler, das Theater der Literatur. Dann ist das hier eben etwas ganz Anderes. Hier wird die Literatur nicht vermatscht, hier nehmen sich die Schauspieler ernst, das ist unser Geheimnis und das ist unsere Kraft und unser Erfolg. Dann bin ich eben ein Museumsdirektor, Grüß Gott!“

Das vollständige Interview finden Sie auf der Website des Hamburger Theaterfestivals.

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