Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Alle lieben Merkel

6. Februar 2012, 14:34

Noch vor wenigen Monaten haben sich viele über ihre Tatenlosigkeit lustig gemacht. Doch plötzlich ist sie die Eiserne Lady Europas. Wie schafft Mutti das bloß?

Neulich saß ich mit drei klugen Journalisten-Kollegen beim Abendessen. Keiner von ihnen hat je Angela Merkel gewählt. Und keiner von ihnen wird es in Zukunft tun. Doch alle sprachen sie mit größter Hochachtung von Merkels Stehvermögen, ihrer genscher-haften Wendigkeit, ihrer klugen verbalen „Zurückhaltung“, ihrer absoluten Unwulffigkeit.

Eine Journalisten-Kollegin war gerade aus Paris zurückgekehrt und berichtete von der enormen Verunsicherung, die die Franzosen ergriffen habe. Sogar die Schüler würden in der Metro über Merkel und „Merkozy“ diskutieren. Die Kanzlerin sitze bei jeder politischen Debatte mit am Tisch. Die Deutschen, heißt es, regierten schon im Élysée-Palast.

Aus Italien, Griechenland, Spanien hört man Ähnliches. Der Sternenkreis der Europaflagge scheint sich in eine Pyramide zu verwandeln, mit einem starken Deutschland an der Spitze und einem belastbaren und breitgetretenen Fundament abhängiger Länder darunter. Bei ihrem China-Besuch wurde die Kanzlerin wie die Königin von Europa empfangen.

Innenpolitisch hat Angela Merkel die Wulff-Krise auf einer Backe abgesessen (die FDP-Krise auf der anderen), und sie hat keinen einzigen Jauch(e)-Spritzer von ihrem dilettierenden Präsidentschafts-Lehrling abbekommen. Die Wirtschafts-Statistiken brummen, die Geschäftsklima-Indices jauchzen. Es läuft gut für die Kanzlerin und ihren Wahlverein.

So gut, dass der wichtigste Oppositionsführer im Deutschen Bundestag bereits zwei Jahre vor dem Ende der Legislaturperiode alle Hoffnung fahren lässt. Gabriel will nur noch Juniorpartner sein in einer Merkel-geführten Großen Koalition. Mehr ist einfach nicht drin. Die SPD will von Muttis Singsang in den Schlaf der sozialen Gerechtigkeit gewiegt werden.

Und jetzt der Hammer: Angela Merkel kündigt an, in Frankreich zugunsten ihres Tanz-Partners Sarkozy in den Präsidentschafts-Wahlkampf einzugreifen. Sie fragt erst gar nicht, ob sie das darf. Denn solche Fragen stellen höchstens Sozialdemokraten oder Spiegel-Journalisten:

„Das Eingreifen einer ausländischen Regierung in den Wahlkampf eines souveränen Staats gilt international als verpönt.“

Merkel tut es einfach, weil Einmischung in die inneren Angelegenheiten von einst souveränen Staaten die logische Folge der gegenwärtigen europäischen Kreditkrise (und der europäischen Einigung!) ist. Die Finanz-Eliten arbeiten längst zusammen. Ihre konservativen Sprecher tun es ihnen nun gleich.

Und die Opposition? Sie ist in vier süße kleine Parteien zersplittert und tritt sich gegenseitig auf die Füße. Anstatt zusammenzuarbeiten, wollen sie (fast) alle mit Mutti ins Bettchen, um zu kuscheln. Postdemokratische Weicheier!

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11 Kommentare

  1. Bleibt die Frage offen, ob Merkel damit nicht einen Bärendienst leistet?

  2. Leisten ja. Aber wem erweist sie den Bärendienst?

  3. Wie Mutti das schafft?

    Auf dem Rücken der deutschen Arbeitnehmer natürlich. Überall in Euroland, gerade auch in den Pleitestaaten, sind seit Einführung der neuen Währung die Reallöhne gestiegen, nur bei uns kräftig gesunken. Das dergestalt erwirtschaftete Geld kann sie jetzt einsetzen, um für deren Schulden zu bürgen. So trist und einfach ist das.

  4. Das wird solange gut gehen, bis das Kartenhaus der Austerity-Politik zusammenkracht, für welche sie Europas Markenzeichen ist.

  5. @Klaus: Wenn du dir die Wirtschaftsdaten der Exportnation Deutschland ansiehst, so kannst du erkennen, dass die stagnierenden oder sinkenden Exporte in die EU-Nachbarländer sukzessive durch Exporte in Nicht-EU-Länder (China, Russland etc.) kompensiert und sogar übertroffen werden. Die logische Folge wäre eine intensivere deutsche „Weltpolitik“. (Die Enthaltung in Sachen Libyen war sicher kein „Fauxpas“.)

  6. @ Klaus Jarchow

    „Kartenhaus der Austerity-Poiltik“?

    Diese bemerkenswerte Kombination habe ich noch nie gehört. Auch nicht, wofern man den englischen Viersilber durch das schlichte deutsche „Spar-“ (funktionierte dann natürlich auch ohne Bindestrich) ersetzte.

    Würden Sie mir den Sinn dieses eigenartigen Konstruktes mal erklären?

  7. @ Magnus Göller: Nun ja – ich könnte auch sagen „das Wandeln auf Brünings Spuren“, ein Vorgehen, das Frau Merkel übrigens nur anderen Nationen oktroyieren möchte.

  8. Die Historiker künftiger Generationen werden endlos über diese Frau rätseln. Sie werden sie in ihrer Ratlosigkeit die „Sphinx“ nennen.

    Verzweifelt werden sie über den dürftigen Fertigteilreden der „ewigen Kanzlerin“ brüten und versuchen, daraus das Geheimnis ihrer unendlichen Macht zu destillieren.

    Fünf wissenschaftliche Mitarbeiter, mit der Aufgabe betraut, eine zehnbändige „Angela-Merkel-Ausgabe“ (AMA) zusammenzustellen, werden in einem Anfall absoluter Verzweiflung gemeinsam aus dem Fenster ihres Historischen Instituts springen. In ihrem Abschiedsbrief heißt es u.a. „Wir konnten nichts finden. Außer „ich-sage-daß-Sätzen“ ohne jeden Inhalt.“

    Am Schluß wird man sich auf die These einigen, daß es ihre mysteriösen „SMS“ gewesen sein müssen, die das Geheimnis ihrer Herrschaft beinhalten.

    Leider ist keine einzige mehr lesbar. Nur eine dieser hermetischen Botschaften kann von den besten Kryptographen in jahrelanger Arbeit entschlüsselt werden.

    Sie lautet: „Joachim, ich komm‘ später, stell‘ die Kartoffelsuppe warm. Angela.“

  9. @FF Klingt ziemlich plausibel.

  10. @Wolfgang Michal

    Im Ernst: Angela Merkel hat das geheime Credo Helmut Kohls verinnerlicht: „Nimm dir nichts vor, dann schlägt dir nichts fehl.“

    Sie tut – seien wir ehrlich – nichts. Außer natürlich auf Zeit spielen, lavieren, „aussitzen“ (die nötige, „kohleske“ Statur hat sie ja inzwischen). Belangloses reden. Aktionismus simulieren. Vor Kameras artig posieren, zwischendurch ein bißchen Gesundbeterei…

    Ansonsten: den lieben Herrgott einen frommen Mann sein lassen. Und: auf die (zahlreichen) Fehler ihrer politischen Konkurrenten warten.

    Der Totalausfall der „Opposition“ (mit vereinzelten Ausnahmen bei den Linken und den Piraten) erlaubt ihr diesen Attentismus locker.

    Ich glaube, Michael Spreng nannte sie vor Jahren schon „Chefärztin für politische Anästhesie“. Inzwischen müßte man sie wohl als „Päpstin der politischen Anästhesie“ bezeichnen.

    Fazit: kann das, wird das auf Dauer gutgehen? Ich fürchte, nein.

  11. Ich sehe schon seit Jahrzehnten keine positiv wegweisende Kanzlerentscheidung mehr: mit der Ausnahme von Schröders Nein zum Irakkrieg.

    Gabriel wäre auch nur ein Ballon, weiß aber, so klug ist er, dass er so hoch wie Merkel nicht zu steigen vermag.

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