Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Mit Griechenland beginnt die wirtschaftliche Neuordnung Europas

3. Juli 2011, 13:40

In ganz Europa werden derzeit drastische Sparmaßnahmen beschlossen und durch die weitgehend hilflosen Parlamente gepeitscht. TINA regiert die EU und verkündet: There Is No Alternative!

Ob in Großbritannien, Portugal, Spanien, Italien, Irland, Tschechien (und 2010 in Deutschland und Frankreich) – überall votieren die Parlamente gegen ihre Bevölkerungen für drastische Schnitte ins eigene Fleisch: für den Abbau öffentlicher Dienstleistungen, für Gehaltskürzungen, für die Senkung von Sozialleistungen, für Verbrauchssteuer-Erhöhungen, für die Privatisierung des staatlichen „Tafelsilbers“. Diese Politik wird – ohne Zweifel – Folgen für ganz Europa haben.

Für die Friedrich-Ebert-Stiftung hat Nick Malkoutzis, Vizechef der englischsprachigen Ausgabe der griechischen Tageszeitung Kathimerini (und nebenbei Blogger bei Inside Greece), die Wirkungen des ersten griechischen Sparpakets analysiert: Sein Land, so Malkoutzis, habe 2010 das Haushaltsdefizit tatsächlich um gewaltige fünf Prozent senken können… von 15,4 auf 10,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (erlaubt sind 3 Prozent!). Erreicht wurde dies mit Hilfe einer Reduzierung der öffentlichen Ausgaben um 9 Milliarden Euro (was einem Rückgang der Staatsausgaben um 6,5 Prozent entspricht).

Zur Einsparung beigetragen haben insbesondere Gehalts- und Pensionskürzungen im Öffentlichen Dienst (2,8 Mrd. Euro), die Senkung der Verteidigungsausgaben (2 Mrd. Euro), die Reduzierung der öffentlichen Investitionen (1 Mrd. Euro), die Verminderung der Verwaltungskosten (Krankenhäuser! 2 Mrd. Euro), die Verringerung der Sozialausgaben (0,4 Mrd. Euro) und andere Einsparungen in Höhe von 0,8 Mrd. Euro. Im Gegenzug spülte die Erhöhung der Verbrauchssteuern 4 Mrd. Euro zusätzlich in die Staatskassen, der Verkauf öffentlichen Vermögens 3 Mrd. Euro und die Verbesserung der Einnahmen aus (bislang hinterzogenen) Sozialversicherungsbeiträgen 2 Mrd. Euro.

Strukturelle „Verbesserungen“ gab es durch Rationalisierungen im öffentlichen Sektor, eine „Reform“ des Rentensystems, eine Privatisierung staatlicher Wirtschaftssektoren und – ganz besonders wichtig! – die Reduzierung bürokratischer Hindernisse für in- und ausländische Investoren. Doch es reichte nicht.

Das zweite Spardiktat wird die Krise weiter verschärfen

Unter dem Druck der Finanzmärkte, des Internationalen Währungsfonds (IWF), der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) musste die sozialistische Regierung am 30. Juni 2011 neue Maßnahmen beschließen. Mit ihnen will das Land bis 2015 weitere 28 Milliarden Euro sparen. Diesmal geht es um massive Stellenstreichungen im Öffentlichen Dienst (bis 2015 sollen 20 Prozent der Beamtenstellen wegfallen), um Kürzungen im Verteidigungshaushalt und um weitere Steuererhöhungen („Solidaritätszuschlag“ auf die Lohn- und Einkommensteuer).

Die Auswirkungen des Sparens sind freilich schon jetzt verheerend.

Laut Malkoutzis stieg die Zahl der Arbeitslosen durch die Beschlüsse der ersten Sparrunde innerhalb eines Jahres um 230.000 auf 811.000. Die Quote liegt derzeit bei 16,2 Prozent. Bei den 15- bis 24-Jährigen liegt sie – ähnlich wie in Spanien – bei 42,5 Prozent, bei den 25- bis 34-jährigen bei 22,6 Prozent. Da nur ein Drittel der Arbeitslosen Anspruch auf staatliche Hilfe hat (sie wird ein Jahr lang gezahlt und beträgt meist weniger als 500 Euro im Monat), verlassen immer mehr junge Griechen das Land und verschärfen so die heimischen Probleme.

Denn Griechenland hat keine wettbewerbsfähige Industrie, keine nennenswerte Forschung, keine „Exzellenzcluster“. Im Gegensatz zu anderen (exportstarken) europäischen Volkswirtschaften ist das Land vor allem auf den privaten Konsum angewiesen – er macht über 70 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Sinkende Einkommen und Verbrauchssteuer-Erhöhungen treffen den Handel und das Gewerbe deshalb ins Mark. 2010 brach der (offizielle) Einzelhandel um 12 Prozent ein, mehrere zehntausend Geschäfte mussten schließen.

Die Folge: weitere Entlassungen und Lohnkürzungen – diesmal in der Privatwirtschaft. Während Arbeitnehmer im privaten Sektor Kürzungen bis zu 20 Prozent hinnehmen mussten, wurden die Gehälter im Öffentlichen Dienst sogar um bis zu 30 Prozent gekürzt, den Rentnern erging es kaum besser.

Der Benzinpreis verdoppelte sich seit 2009. Der neue „Soli“ auf Lohn- und Einkommensteuer und die Entscheidung, die Mehrwertsteuer für Restaurants und Cafés auf 23 Prozent zu erhöhen, wird den Konsum weiter dämpfen. Griechenland befindet sich seit drei Jahren in einer schweren Rezession.

Europa ordnet nun seine Provinzen neu

Ursache der Misere ist nach landläufiger Auffassung der Umstand, dass die Regierung die Steuerhinterziehung nicht in den Griff bekommt, und dass sie weder Effizienz noch Qualität bei den staatlichen Dienstleistungen gewährleisten kann. Die griechische Verwaltung, so Malkoutzis, verfügt nicht über die Fachkräfte, die Instrumente und das Wissen, um hier einen erkennbaren Fortschritt zu erzielen.

Sein trauriges Fazit: Die Finanzämter sind überfordert, die Stadtplanungs- und Baubehörden zählen zu den schlimmsten Korruptionsherden des Landes, das Justizwesen ist langsam und umständlich, die öffentlichen Krankenhäuser werden schlampig verwaltet, griechische Familien müssen aufgrund der schlechten Schulen acht mal mehr Geld für Nachhilfe aufwenden als deutsche, die Gesetzgebung für Unternehmensgründungen ist ein einziger Dschungel, die Leistungen der Staatsangestellten werden nicht evaluiert, und die Behörden können nicht ergebnisorientiert arbeiten, weil ihre Chefs nach politischen, nicht nach fachlichen Gesichtspunkten eingesetzt werden.

So lange die Griechen also den Eindruck haben, Steuern nur für ungenügende staatliche Leistungen zu zahlen, werden sie alles tun, um ihren Beitrag an den Fiskus möglichst klein zu halten. Und so lange die griechische Wirtschaft nicht genügend qualifizierte Arbeitsplätze bereitstellen kann, braucht das Land auch keine qualifizierten Ausbildungsstätten – man stellt sich darauf ein, nach der Ausbildung irgendwo geparkt zu werden, im Öffentlichen Dienst oder bei einem überbesetzten Staatsunternehmen. Dieses pragmatische Verhalten ist nicht Schuld der Griechen – es gibt schlicht und einfach nicht genug Arbeit in der europäischen Peripherie.

Und das wird sich so schnell nicht ändern. Denn in der EU vollzieht sich – ohne dass es groß thematisiert würde – ein Arbeitsteilungs- und Raumordnungsprozess, der alle Staaten – auch Deutschland – nachhaltig verändern wird. Wenige Metropolregionen werden den Großteil des Volkseinkommens erwirtschaften. Diese Regionen werden junge Arbeitskräfte anziehen, kulturell aufblühen, innovativ sein und einen hohen Lebensstandard ermöglichen – der Rest der EU wird brach liegen, der Erholung dienen oder dem erzwungenen Rückzug aus der Wettbewerbs-Gesellschaft. (Unsere Griechenlands z.B. liegen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Südniedersachsen oder Ostbayern.)

Nationale Parlamente können diesen gewaltigen Transformations-Prozess nur noch abnicken. Zu sagen haben sie nichts. Vom ursprünglichen Ziel der Erlangung einheitlicher Lebensverhältnisse in Europa haben sich die regierenden EU-Eliten weitgehend „emanzipiert“. Sie haben das in den EU-Verträgen festgeschriebene Ziel außer Kraft gesetzt und arbeiten nun befreit und forsch an der autoritären Neuordnung Europas – mit Hilfe von Zuckerbrot & Peitsche, sprich: mit Hilfe von Transferleistung & Spardiktat. Die Europa-Zentrale ordnet ihre Provinzen und betreibt erstmals die von vielen so heiß ersehnte einheitliche europäische Wirtschaftspolitik.

Griechenland ist das Versuchskaninchen. Weitere Kaninchen werden folgen.

Lesen Sie zu diesem Thema auch: Griechenland und das Versagen der europäischen Linken“ (16.5.2011), Europa unter Druck – von rechts“ (27.9.2010) und den Dreiteiler von Michalis Pantelouris bei jetzt.de

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2 Kommentare

  1. Wie man an diesem langen, aber eindrucksvollen Artikel ( http://www.eurozine.com/articles/2011-01-24-rowlands-en.html )sehen kann, ist Griechenland wohl eher nicht der Anfang, sonder Beispiel für bewährte Praxis 🙁

    „The continuing overall aim of policy, as reinforced by the IMF, the EU and a host of international institutions, seems to be to maintain a debt dependency relationship. The result will almost certainly be the continued decline of communities and a further reduction in social cohesion, while states‘ ability to maintain core levels of services and welfare will increasingly be under threat.“

  2. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch der Artikel von M. Diekmann im Fokus von 18.7.11. Diekmann ist Vorstandsvorsitzender der Allianz, die griechische Anleihen in Höhe von ca. 1,3 Milliarden Euro hält. Er schlägt vor, die alten Staatsanleihen in neue umzutauschen. Diese soll der Europäische Stabilitätsfond dann versichern. Jetzt ratet mal bei wem!

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