Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Unter Vollnarkose oder: Schirrmacher und die Folgen

25. August 2011, 11:28

Nach der Befreiung von den Nazis waren ja alle Widerstandskämpfer. In Libyen hat es nie Gaddafi-Anhänger gegeben, und nach dem moralischen Zusammenbruch des Neoliberalismus hat ihn jeder Bürger schon immer (in seinem Innersten) verabscheut.

Was in konservativen Leitmedien derzeit abgeht, ist eine klassische Absetzbewegung: die eilfertige Distanzierung des „guten Bürgertums“ von all dem Bösen, das die Welt und die Börsen da draußen in Atem hält. Während die ausgedörrte Linke frohlockt und sich dankbar zeigt, dass der politische Gegner einsieht, ein Leben lang an etwas Falsches geglaubt zu haben, geht es den Konservativen doch eher um die Erlangung der benötigten Persilscheine – so kurz vor dem befürchteten Kladderadatsch. In panischer Bußfertigkeit stehlen sich die Anhänger des „Systems“ aus ihrer Verantwortung, indem sie behaupten, sie hätten von allem nichts gewusst. Erst jetzt, 30 Jahre nach Thatcher und Reagan, begreifen sie, wie gierig und unanständig dieser Kapitalismus doch ist.

So kalt beurteilen Hartherzige (wie ich) die große Wende im konservativen Denken. Andere geben mehr Kredit, und ihr Vertrauensvorschuss ehrt sie: Die SZ, die taz und der Freitag glauben, dass sich im konservativen Weltbild tatsächlich etwas Fundamentales verändert. Sie verweisen darauf, dass der Wandel fast täglich eine überraschende Fortsetzung erfährt: in der FAZ („Die Zuwächse der letzten 30 Jahre kamen nur den Wohlhabenden zugute“), in der FAS („Wir verteilen von arm zu reich“), im Spiegel („Die zerstörerische Macht der Finanzmärkte“), in der Zeit und im Tagesspiegel („Die Welt ist aus den Fugen“), ja praktisch in allen bedeutenden bürgerlich-liberalen Medien.

Was aber lernen die Konservativen jetzt von der Linken? Die Kampagne. Gut dosiert, nachhaltig und in staunenswerter Offenheit werden wir in den kommenden Monaten (bis zum Parteitag der CDU) die De- und Re-Konstruktion des Bürgerlich-Konservativen in allen Facetten bewundern dürfen. Nicht nur in gedruckter Form, auch in den ab September auf uns niedergehenden Talkshows der Jauch, Will, Plasberg, Illner und Panzer. Die edle Neudefinition des Gutbürgerlichen (in Verbindung mit seiner Reinwaschung von der neoliberalen Vergangenheit) wird das Megathema des deutschen Herbstes.

Es wird Bekenntnisse hageln von augustinischem Ausmaß: Ja, ich bin konservativ, ich habe Fehler gemacht, ich bin blind gewesen, aber dann habe ich die Linke kennengelernt und sie hat mein Leben verändert. Der berühmte Satz des italienischen Fürsten Salina (in Luchino Viscontis Film „Der Leopard“) wird ausgiebig zitiert werden: „Es muss sich alles ändern, wenn alles so bleiben soll, wie es ist.“

Und die Linke? Nun ja, die Linke könnte hinter dieser Debatte, die sie so gierig begrüßt wie ein Verdurstender die Fata Morgana, verschwinden. Man wird ihr ein paar wehmütige Aufsätze widmen – wie Arno Widmann in der FR („Wenn die unten nicht mehr wollen“). Man wird ihre Diagnosefähigkeit preisen und anschließend beglückt feststellen, dass die Konservativen jetzt so offen und sozial geworden sind, dass man die Saurier-Linke getrost vergessen kann. Das diskutierende Bürgertum wird sich auf die Linke setzen und sie mit moralischen Entlüftungen narkotisieren.

Dieser Beitrag ist zuerst im „Freitag“ erschienen.

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6 Kommentare

  1. „Das diskutierende Bürgertum wird sich auf die Linke setzen und sie mit moralischen Entlüftungen narkotisieren.“

    Schönes Bild!

    Jetzt wird also das Proletariat nicht mehr nur um die Früchte seiner materiellen Arbeit gebracht, jetzt wird ihm auch noch die Einsicht in die eigene gesellschaftliche Lage abgeknöpft, diese Einsicht bürgerlich reformuliert und derart giftig angereichert als neues Opium des Volkes zurückgeblasen. So in etwa?

    Schon verdammt clever, dieses ‚Bürgertum’…

  2. Was ist denn das Problem hier mit dem Schirrmacher?

    Vielleicht dies, dass die FAZ und das Bürgertum vom Neoliberalismus abrücken könnten, während die SPD mit Peer Steinbrück dem Bösen weiter die Stange hält.

    So sind sie halt, unsere Spezialdemokraten. Retten den Kapitalismus und niemand dank es ihnen.

  3. Auf den Punkt gebracht.
    Und damit weiter im Text.

  4. Ich glaube nicht, dass es um Persilscheine geht. Unsere konservativen Schmuddelkinder können noch schmutziger. Sie haben etwas ganz anderes realisiert: sie sind von den Neoliberalen wie Anfänger über den Tisch gezogen worden. Sie gaben ihre Macht freiwillig und viel zu billig ab, jetzt gehören sie selbst zu den Opfern. Wovor sie die Linke warnte tritt nun tatsächlich ein.
    Die Konservativen und den Groll auf sie sollte man links liegen lassen, sie sind unwichtig. Die entscheidende Frage ist: wie kann man die Macht der Neoliberalen und der von ihnen gesteuerten Märkten wieder in den Griff bekommen.

  5. „Freiheit oder Sozialismus“ haben sie getönt, die Konservativen.
    Die Freiheit haben sie bekommen – und was haben sie daraus gemacht?

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