Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Das Netzwerk und der Drückerkönig

21. Mai 2011, 19:55

Unter dem Motto „Sisyphos war ein glücklicher Mensch“ feiert das Netzwerk Recherche Anfang Juli sein zehnjähriges Bestehen. Die Festrede hält Günter Grass. „Stargast“ Carsten Maschmeyer sagte sein Kommen wieder ab.

Prof. Dr. Thomas Leif und seine Mitstreiter haben in nur zehn Jahren ein Journalisten-Imperium aufgebaut, das einen wirklich staunen lässt. Aus dem kleinen Verein „Netzwerk Recherche“ ist eine einflussreiche NGO mit nahezu gouvernementalen Zügen geworden, eine Führungsakademie für Journalistik. Spötter bezeichnen das Netzwerk auch als Großloge des ritterlichen Journalismus“.

Jedes Jahr vor der Sommerpause präsentiert der Chefreporter des SWR, Thomas Leif, auf dem Gelände des NDR im Hamburger Norden ein Programm, das den Veranstaltern der Henri NannenShow gut zu Gesicht stehen würde und den Machern der legendären Reporter-Workshops im Spiegel-Hochhaus großen Respekt abfordert.

An Debatten über Qualitäts-Journalismus herrscht also kein Mangel in Deutschland. Doch beim Netzwerk Recherche treten die Qualitäten so geballt und ehrfurchtgebietend auf, dass Lokalreporter wohl zu der Formel greifen würden: „…alles, was Rang und Namen hat“. Hier wird auf hohem Niveau genetzwerkt und die Tagungen sind fast so perfekt organisiert wie der Düsseldorfer ESC. Wer den Vorsitzenden Thomas Leif noch als ‚CEO‘ der „deutschen jugendpresse e.V.“ erlebt hat, wird auch nichts anderes erwarten.

Einige der Referenten sind mittlerweile sogar selbst Gegenstand der Berichterstattung: Sabine Rückert etwa mit ihrem überbordenden Engagement im Kachelmann-Prozess, Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo als ungewohnter Hardliner bei der Aberkennung des Egon Erwin Kisch-Preises, oder WikiLeaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg als ewiger Ankündiger von Openleaks.

Der Mythos von Sisyphos als Journalisten-Selbstbild

Das Jubiläums-Programm 2011 steht unter dem pathetischen, leicht abgewandelten Motto des Philosophen Albert Camus: „Sisyphos war ein glücklicher Mensch“. Übertragen auf Journalisten soll das heißen: Man muss sich den Rechercheur als einen glücklichen Menschen vorstellen (ja, so viel Mythos vom Journalisten war selten!).

Im Programm-Flyer zur Veranstaltung wirbt der Altsender NDR mit dem Satztryptichon „Journalismus braucht Recherche. Und Sendeplätze. Die haben wir.“ Altkanzler Helmut Schmidt lächelt weise aus einer Banken-Anzeige für einen Journalistenpreis. Altskeptiker Martin Walser steuert das ganzheitliche Motto des Programms bei: „Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr.“ Und Altnobelpreisträger Günter Grass wird „zur Lage des Journalismus“ ein paar mahnende (oder auch segnende) Worte sprechen. Am Abend wird dann gefeiert: 10 Jahre Netzwerk Recherche = “10 Jahre Sisyphos-Arbeit mit Kollateralnutzen“. Aber auch „50 Jahre Panorama“ werden gefeiert. Womit wir bei einem heiklen Thema wären.

Es gab Ärger! Ausgerechnet im Vorfeld der Jubiläums-Tagung, und ausgerechnet beim gastgebenden NDR. Das Politmagazin Panorama war verärgert darüber, dass ihm das Netzwerk Recherche mitten in einer sisyphoshaften Arbeit in den Rücken fiel. Christoph Lütgert, NDR-Chefreporter von 1993 bis 2010, Autor zahlreicher Panorama-Beiträge und prominentes Mitglied des Netzwerks, musste sich von Netzwerk Recherche-Vorstand Markus Grill eine Diva schelten lassen, weil er es gewagt hatte, Kritik an der Programmplanung des Netzwerks zu üben.

Bei der Jubiläumsveranstaltung sollte nämlich Carsten Maschmeyer auftreten, ein einflussreicher Sponsor und Unternehmer. Der aus kleinen Verhältnissen stammende, mit allen PR-Wassern gewaschene Selfmademan aus Hannover hatte als „Finanzoptimierer“ ein Vermögen mit den Ersparnissen kleiner Leute gemacht. Seine ehemalige Firma, der „Allgemeine Wirtschaftsdienst“ (AWD) hatte für Banken und Versicherungen Fonds und Policen vertickt, die nicht immer das hielten, was die AWD-Berater versprochen hatten. Kunden, die infolgedessen ihre Ersparnisse verloren, fordern vom AWD Entschädigung.

Ins Gerede geriet Maschmeyer aber auch wegen seiner auffälligen Kontakte „in die hohe Politik“. So hatte er Gerhard Schröders Kanzlerkandidatur 1998 mit großen Zeitungsanzeigen unterstützt (um, wie er verlauten ließ, Oskar Lafontaine und einen „extremen Linksrutsch“ zu verhindern). Ob Schröder oder Wulff, Riester oder Rürup – Maschmeyer bewirtete sie alle. Die „Autorität“ und die „Seriosität“ seiner Gäste – insbesondere ihr Bekanntheitsgrad – waren gut fürs Geschäft.

In diesen Modder aus Geschäft & Politik griff eines Tages der NDR. Im September 2010 sendete die ARD den PanoramaBeitrag „Abzocker Maschmeyer: Liebling der Politik, Freund des Bundespräsidenten“. Von nun an ließ Panorama nicht mehr locker. Im Stil des Dokumentarfilmers Michael Moore hefteten sich Christoph Lütgert und sein Team an die Fersen Maschmeyers – um ihn zu einer spontanen Aussage vor der Kamera zu verleiten. Maschmeyer aber fühlte sich von den Journalisten verfolgt. Gegen eine für den 12. Januar 2011 angekündigte NDR-Dokumentation („Der Drückerkönig und die Politik“) ließ er schon im Vorfeld grobes Geschütz auffahren. VIP-Anwalt Matthias Prinz verschickte Schriftsätze von 61 Seiten Länge an die Chefredakteure und Intendanten der ARD; danach konnte der Film nur mit erheblichen „Schwärzungen“ über den Sender gehen. Einen Blogbeitrag, den Lütgert am Tag der Sendung veröffentlichte, kommentierten fast 700 Leser.

Ist journalistische Verbissenheit bloß ein privater Tick?

Am 28. April 2011 legte Panorama nach. Lütgert und Maschmeyer hatten sich nun fest ineinander verbissen. Aber verbissen (und subjektiv) sollen gute Reportagen ja sein. Da war es logisch, dass die Macher des Netzwerks Recherche das Thema auf ihrer Jubiläumstagung behandelt wissen wollten. Sie schlugen Carsten Maschmeyer vor, ein öffentliches Streitgespräch mit Christoph Lütgert zu führen. Maschmeyer lehnte jedoch ab. Mit dem (voreingenommenen) Herrn Lütgert wolle er auf keinen Fall reden.

Um die Zugnummer Maschmeyer für die Jubiläums-Tagung zu retten, boten die Netzwerker dem umstrittenen Unternehmer schließlich einen anderen Gesprächspartner an: den Spiegel-Reporter Markus Grill. Auch der hatte schon über Maschmeyer geschrieben. Und – oh Wunder – Maschmeyer akzeptierte. Alle Beteiligten waren glücklich.

Nicht ganz. Der düpierte Reporter Christoph Lütgert war über seine plötzliche Ausladung (durch den eigenen Verein!) dermaßen erbost, dass er den Fall in die Öffentlichkeit trug und mit seinem Vereinsaustritt drohte. Vorstandsmitglied Markus Grill wollte Lütgerts helle Empörung nicht verstehen und goss weiteres Öl ins Feuer: Er meinte, der erfahrene Chefreporter könne ja, wenn er unbedingt wolle, aus dem Publikum heraus seine kritischen Fragen an Maschmeyer stellen. Im übrigen könne das Netzwerk seine kostbare Zeit nicht damit verschwenden, „ständig Diven zu besänftigen.“

Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen (und Carsten Maschmeyer hat dazu auch genüsslich Stellung genommen): Ein Spiegel-Reporter empfiehlt dem ehemaligen und langjährigen Chefreporter des NDR, er möge sich in den Räumen seines Heimatsenders unters Publikum mischen und von dort aus seine Zwischenfragen stellen. So viel Arroganz und Unkollegialität brachte schließlich die komplette Panorama-Redaktion auf die Palme:

„Da der Konflikt um die Jahrestagung und die Panorama-Recherchen zu Carsten Maschmeyer … in der Öffentlichkeit als eine Art Privatangelegenheit unseres Autoren Christoph Lütgert hingestellt werden, bezieht die Redaktion Stellung. Die viele Monate andauernden Recherchen zu den Geschäftspraktiken und politischen Beziehungen von Carsten Maschmeyer wurden von einem großen Team von Rechercheuren und Redakteuren geleistet. Bis zuletzt hat Carsten Maschmeyer Panorama trotz wiederholter Anfragen jegliches Interview verweigert.

In der Folge der Panorama-Berichterstattung kam es einerseits zu umfangreicher Berichterstattung in anderen Medien – von denen einige auch Interviews mit Maschmeyer führen konnten – und andererseits  zu einem heftigen Konflikt zwischen Carsten Maschmeyer und der Panorama-Redaktion. Dieser Konflikt gipfelte darin, dass Carsten Maschmeyer eine strafrechtliche Verfolgung unseres Reporters und Redaktionsmitgliedes Christoph Lütgert prüfen ließ.

Nun soll gerade dieser Konflikt wesentlicher Gegenstand eines Streitgesprächs mit Carsten Maschmeyer im Rahmen der Jahrestagung „netzwerk recherche“ werden. Daher erscheint uns eine gleichberechtigte Teilnahme an der Diskussion auf der Tagung unabdingbar. Den Panorama-Kollegen haben die Veranstalter aber nur eine Rolle als Fragesteller aus dem Publikum zugedacht, nachdem Carsten Maschmeyer es abgelehnt hatte, mit Christoph Lütgert auf der Bühne zu diskutieren. Wir bitten um Verständnis, dass wir eine solche Anordnung nicht für akzeptabel halten.“

Blieb als einigermaßen vertretbarer Kompromiss nur ein Dreier-Gespräch mit Grill, Lütgert und Maschmeyer auf offener Bühne. Doch Maschmeyer war klug genug, die Veranstaltung von sich aus abzusagen. Er habe viel gelernt, ließ er süffisant wissen, über „die Wirkmechanismen in Teilen des deutschen Journalismus“.

Das Netzwerk Recherche hat nun Gelegenheit, statt des Maschmeyer-Gesprächs die Frage zu erörtern, ob kollegiales Verhalten investigativen Journalismus eher fördert oder hemmt.

(Update 28.6.: Markus Grill legt Wert auf die Feststellung, dass nicht er es gewesen sei, der Christoph Lütgert geraten habe, sich ins Publikum zu setzen und von dort aus an dem geplanten Streitgespräch teilzunehmen. Turi2 hatte dies am 16. Mai unwidersprochen so gemeldet).

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3 Kommentare

  1. Popcorn. Trotzdem traurig; die Wahrnehmung der Presse ist gerade negativ genug. Grabenkämpfe helfen ganz bestimmt nicht weiter. Daß dann noch ausgerechnet einer wie Maschmeyer profitiert, ist schlicht zum K… – Heulen.

  2. Man kann Maschmeyer nur zum Erfolg gratulieren. So einfach ist es, Journalisten zu spalten. Peinlich peinlich…

  3. Das Ganze ist Grotesk – und zeigt leider, dass es vielen Journalisten kaum mehr um die Sache geht, zumindest wenn sie bei Magazinen arbeiten, die ihren Ruf nur noch aus ihrer Geschichte ableiten.

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