Die Debatte um die beiden Enthüllungs-Plattformen WikiLeaks und OpenLeaks verläuft seltsam unpolitisch – selbst in Medien, die sich für politisch halten.
Wenn sich Menschen in anderen Ländern (in Diktaturen) als Zuträger von Auslands-Geheimdiensten, Botschaften oder Truppen verdingen, dann wissen sie, dass das gefährlich ist. Sie können verraten werden oder durch Zufall und eigene Dummheit auffliegen. Sie können von den Profiteuren der Informationen ab- oder gar ausgeschaltet werden. Sie können in die Fänge gegnerischer (oder heimischer) Geheimdienste geraten. Und sie können beschattet, abgehört und abgeschöpft werden, ohne dass sie es merken.
Rebellen, Oppositionelle, Spitzel, Denunzianten und andere „Quellen“ leben gefährlich und gefährden (eventuell) auch andere. In Afghanistan, im Irak, in Syrien, in Libyen, in vielen Ländern gibt es „Informelle Mitarbeiter“ oder „Kontakte“.
Die Gemengelage ist oft kompliziert. „Die Guten“ und „die Bösen“ sind nicht immer klar voneinander zu unterscheiden. Es gibt legitime politische Untergrundarbeit, die es erforderlich machen kann, mit ausländischen Geheimdiensten oder Botschaftsangehörigen zusammenzuarbeiten, um ein verhasstes Regime im eigenen Land endlich loszuwerden. Es gibt aber auch Spitzeltätigkeit für ein (Besatzungs-)Regime, das Widerstandsgruppen mit Hilfe von Tippgebern auszuschalten hofft. Die Beurteilung hängt von der jeweiligen (politischen) Perspektive oder Glaubensrichtung ab. Wo fängt der berechtigte Widerstand an, wo beginnt der Verrat an den eigenen Leuten? Es verwundert, dass diese Differenzierung in der Debatte um Open- und WikiLeaks keine Rolle spielt.
Wer ist schuld? Wer trägt die Verantwortung? Und worum geht es?
Von manchen Beobachtern wird jetzt so getan, als sei der Schutz der „Kontakte“ und „Informellen Mitarbeiter“ die ausschließliche Angelegenheit von WikiLeaks gewesen. Dabei liegt die Schutzpflicht für solche Personen in erster Linie bei denen, die im Ausland heimlich Informationen sammeln. Warum haben die US-Botschaften ihre Informanten nicht besser gesichert? Warum jammern sie, zehn Monate nach der Entdeckung des Lecks, noch immer über eine mögliche Gefährdung von Quellen? Konnten sie sich auf die drohende Veröffentlichung nicht vorbereiten? Haben Sie die verstrichene Zeit nicht genutzt, um ihre Leute aus dem Verkehr zu ziehen? Sie wussten ja, dass die Daten irgendwo da draußen herumvagabundieren. Schon nach der Meldung der norwegischen Tageszeitung Aftenposten im Dezember 2010, man sei nun ebenfalls im Besitz der kompletten Daten, mussten die US-Botschaften davon ausgehen, dass WikiLeaks die Kontrolle über das Datenpaket verloren hatte. Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die US-Profis ihre Zuträger schon da über die neue Situation informierten? Und warum – diese Frage kann man nicht oft genug stellen – war es so einfach, an vertrauliche Informationen zu gelangen, die Tippgebern gefährlich werden können?
Es verwundert drittens, dass der (politische) Kern des Konflikts heute so verschämt unter den Teppich gekehrt wird. Die Reduktion der Enthüllungsplattform WikiLeaks auf ein „neutrales“, vermittelndes Medium, das seine journalistischen Sorgfaltspflichten verletzt, blendet die Tatsache aus, dass WikiLeaks von Anfang an darauf aus war, geheimes Material zu publizieren, um bestimmte politische, militärische und finanzielle Machenschaften nicht nur aufzudecken, sondern zu bekämpfen. Wer das tut, dessen erste Sorge wird es kaum sein, Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die solche Machenschaften unterstützen oder ermöglichen. Was die jetzige Empörung allein rechtfertigen würde, wäre der Nachweis, dass die Veröffentlichungen von WikiLeaks demokratische Oppositionelle in autoritären Staaten an Leib und Leben gefährden. Wer Beweise dafür hat, soll sie vorlegen und nicht pauschal Vermutungen äußern.
Kritisiert wird die „verantwortungslose“ Eigenmächtigkeit der Enthüller
Dies führt mich zur letzten Frage, nämlich der, warum sich gerade jetzt so viele Journalisten und Kommentatoren so vehement gegen die Enthüller wenden? Warum blasen sie eine Sache auf, die im Dezember, als das Leck durch die Aftenposten-Meldung bekannt wurde, niemanden besonders interessierte? Warum wird so heftig Alarm geschlagen, obwohl die US-Regierung doch schon bei früheren WikiLeaks-Enthüllungen (z.B. den Afghanistan Warlogs) Quellen-Gefährdungen verneinte? Und warum wird allein auf WikiLeaks eingedroschen, obwohl bislang nicht einmal zweifelsfrei feststeht, wer das Daten-Leck verursacht hat? Die Berichte dazu sind voller Merkwürdigkeiten und Vermutungen.
Es mag ja sein, dass WikiLeaks durch seine anfängliche Anmaßung, den „Journalismus des 21. Jahrhunderts“ erfunden zu haben, die Meinung begünstigte, auch dieser „neue Journalismus“ müsse sich den journalistischen Regeln unterwerfen und absolut neutral gegenüber allen Seiten sein. Aber lässt sich die journalistische Elle an WikiLeaks wirklich anlegen? Haben wir Journalisten uns da nicht ein wenig in die Tasche gelogen? Vielleicht müssen wir heute erkennen, dass unabhängige Enthüllungs-Plattformen wie WikiLeaks eben keine neutralen Vermittler sind, sondern Instrumente in der politischen Auseinandersetzung (und deshalb Gefahr laufen, irgendwann benutzt zu werden).
An dieser Stelle verläuft die Trennlinie zwischen Open- und WikiLeaks. Während vielerorts so getan wird, als schlügen da nur zwei übergroße Egos aus privaten Rachegelüsten aufeinander ein, geht es in Wahrheit um einen Streit von allgemeinem Interesse: Die aktuelle Entpolitisierung des Konflikts arbeitet nur denen in die Hände, die den Streit als günstige Gelegenheit begreifen, das Whistleblowing insgesamt zu diskreditieren.
Will man Medium sein oder Akteur? Und lässt sich beides sauber trennen?
Hätte sich WikiLeaks weiter auf Kenia, die Elfenbeinküste, Scientology oder die Interna von Rechtsextremisten konzentriert, hätte man sicher über manches hinweggesehen, auch über mangelnden Betroffenenschutz. Erst die spektakuläre Enthüllungs-Serie des Jahres 2010 – die sich gegen die Supermacht USA richtete – machte den Beteiligten klar, dass WikiLeaks („We open governments“) kein Medium im traditionellen Sinne ist, sondern ein Kampf-Instrument, das von der betroffenen Regierung unnachsichtig (wie Terrorismus) verfolgt wurde.
Die Gemäßigten um Daniel Domscheit-Berg wollten aber nicht Gegner einer Supermacht sein, sondern ein neutrales Medium. Sie sind – wie viele Journalisten – der Auffassung, dass Aufklärung nach dem Prinzip funktioniert, dass die einen die Informationen überparteilich und neutral zur Verfügung stellen, damit die anderen (die Politiker?) die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Das ist eine noble und moderne Haltung, doch das Festhalten an dieser strikten Arbeitsteilung ist auch ein Grund, warum sich in unserer Welt, trotz all der Aufklärung, so wenig an den Machtverhältnissen ändert.
WikiLeaks hat das begriffen. Und zog in den Kampf. Auch der trotzige Enthüllungsmarathon der letzten Tage sollte noch einmal den Unterschied deutlich machen zwischen den Kämpfern, die durch ihr Handeln auch schuldig werden können und den bloßen Zuschauern – den Medien. Und deshalb distanzieren sich jetzt alle, die Überparteilichkeit und Neutralität zur Grundlage und Voraussetzung ihrer beruflichen Existenz erklären, von WikiLeaks. Sie distanzieren sich, weil sie (als reine Beobachter) gerade nicht handeln, nicht schuldig werden, nicht Teil der Schlacht werden wollen.
Das ist ein wichtiger Dissens. In philosophischer, ethischer und politischer Hinsicht. Eine offene Diskussion darüber wäre sinnvoller als der nun gebetsmühlenhaft vorgetragene Versuch, WikiLeaks zum privaten Scherbenhaufen eines Übergeschnappten zu erklären.
Interessant finde ich hierzu ergänzend die Gedanken zur Machtdiffusion: http://politischekommunikation.com/tag/machtdiffusion/ Dazu und zur „Macht“ etc. ist ein kontroverses Gespräch in der aktuellen Cicero veröffentlicht worden.
Danke, das rückt die Dinge wieder ins richtige Licht.
1. Wikileaks greift erfolgreich das Recht des Pentagon an, nach Belieben heute mit Diktatoren „Antiterrorkampf“ zu treiben und sie morgen zu stürzen, unter Vorwänden Kriege anzuzetteln und Menschenrechte nur als Propagandamittel wertzuschätzen.
2. Bei dieser Auseinandersetzung lassen Unschuldige Federn, aber auch das fällt, wie Sie richtig schreiben, auf die schlampige Arbeitsweise der Geheimdienste zurück.
3. Dass ein Kampf gegen so übermächtige und skrupellose Gegner wie die westlichen Geheimdienste für die Wikileaks-Macher letzlich in Zerstörung ihrer Persönlichkeit enden kann, muss niemanden überraschen, der vom psychischen Druck bei dieser Enthüllungsarbeit auch nur eine vage Ahnung hat. Dass Domscheit-Berg dem entrinnen will, ist verständlich.
Es sollte die Aufgabe neutraler Medien bleiben, Punkt 1 nicht zu vergessen und die beiden anderen Punkte „ausgewogen“ zu beleuchten.
Ein anregender und sachdienlicher Beitrag zu einer längst überfälligen Diskussion.
Danke für diesen Artikel!
Schaut man genau hin, wurde ein richtiger Skandal publiziert (Video im Afghanistaneinsatz). Provokant gesagt: Ein „appetiser“, um auf Wikileaks aufmerksam zu machen. Der Informant wurde dann ja auch gleich medienwirksam festgenommen.
Danach kamen Botschaftsnichtigkeiten (genaugenommen Bouelevard) über ausgewählte Medien.
Dann die Festnahme von Assange, die Distanzierung von DDB, sein Buch.
Die etablierten Medien, die vorher bei der Enthüllung dabei waren, haben danach nur noch gegen Wikileaks geschrieben und den Streit zwischen Assange und DDB beschrieben oder geschürt. Zudem festgestellt, wie gefährdet die Informanten doch jetzt sind.
Bestes Beispiel: Der aktuelle SPIEGEL Titel. Geht um Afganistan, aber nix mehr von Wikileaks (oder habe ich da was übersehen?)
Meine Frage: Hatten sie Wikileaks nicht von Anfang an im Visier und haben das Spiel so gespielt, dass Wikileaks jetzt tot ist und auch DDB niemand mehr vertraut?
Klare Botschaft: Wer so etwas versucht, der legt sich mit der ganz großen Überwachung an?
Für mich war das eine klare Ansage an die Hacker dieser Welt.
@Antje: Ich finde, die Botschaftsdepeschen zeigen schon etwas mehr als Boulevard. Sie zeigen den Unterschied zwischen der Realpolitik einer Supermacht und der „Mission“, die der Öffentlichkeit präsentiert wird. Auch die vor einigen Tagen von Human Rights Watch in Libyen „aufgefundenen“ Geheimdienst-Unterlagen zeigen deutlich, dass es diesen Unterschied gibt.
Was die Rolle der Medien angeht, die mit WikiLeaks gedealt haben, so nehme ich an, dass der Enthüllungs-Journalismus in Zukunft sehr viel mehr „embedded“ sein wird.
Bezüglich der Libyen-Papiere stimme ich zu, aber die waren auch nicht geleakt.
Dies „Wir (USA) können Westerwelle nicht leiden“ und ähnliche Dinge fand ich schon ziemlich boulevardesk. Zumindest nichts, was diplomatisch wirklich von Interesse gewesen wäre.
@Antje
Das waren die großen öffentlichen Aushängeschilder, weil Menschen Boulevard und Verleger Auflage nun mal lieben. In den gleichen Depeschen gab es aber wesentlich mehr Untergrundwarmwasserbeleuchtung, nur nicht so spektakulär, und vor allem: nicht so verzehrgerecht zu kleinen Häppchen aufbereitet
Über die Debatte um die beiden Enthüllungsplattformen (= Neuland) kann man sich den Leakportalen grundsätzlich nähern, aber auch über Modelle, nochmal Nye: http://www.nzz.ch/2003/03/10/fe/article8PWJ9.html .
Ich denke, dass die Aufmerksamkeit, die den Personen Assange und Domscheit-Berg in den Medien geschenkt wird, nur von vorübergehender Natur ist (Ausnahme: Boulevard). Es ist alles diffus und schwer einzuordnen… Insoweit verwundert mich nicht, dass sich die Medien an den beiden Personen abhangeln. Je mehr die Zusammenhänge ergründet werden, desto fundierter können künftige Beiträge zu Enthüllungsplattformen sein.
http://www.cablegatesearch.net/search.php
http://www.sueddeutsche.de/digital/julian-assange-ueber-die-wikileaks-schlammschlacht-ich-glaube-domscheit-berg-ist-ein-informant-der-polizei-1.1140726
Offensichtlich keine Gefährdungen durch veröffentlichte US-Depeschen http://is.gd/Mr8Emc
Dieser hervorragende Beitrag hätte in einem der sogenannten „Leitmedien“ stehen müssen (den sollten Sie einmal anbieten!). Weiter so, werter Wolfgang Michal!