Der Scoop des Chaos Computer Clubs, den „Bundestrojaner“ zu enttarnen, sorgt für netzpolitische Furore. Aber welche Folgen wird die Aufregung haben?
Das war saubere Arbeit. Analyse und Beweisführung 1a. Bravo! Nun wird sich zeigen, ob Frau Leutheusser-Schnarrenberger noch ein Fitzelchen Einfluss in dieser Bundesregierung hat. Vielleicht werden ein paar Beamten-Köpfe rollen, und vielleicht wird irgendjemand aus der zweiten Reihe die politische Verantwortung für den Skandal übernehmen müssen. Allerdings ist nach den jüngsten Erfahrungen mit dem Thema „Verantwortung“ eher zu befürchten, dass gar nichts passiert. (Oder das Falsche. Doch dazu später).
Im Netz kann man die zynische Einschätzung lesen, dass die Enttarnung des Bundestrojaners das Fukushima für die Piratenpartei sei. Das mag zutreffen, doch in einem ganz anderen Sinn, als der Verfasser es vermutlich gemeint hat. Das Ausmaß des Trojanereinsatzes wird wohl ähnlich vertuscht und klein geredet werden wie der japanische „Störfall“.
Hören wir also zunächst auf, den Sympathie-Begriff „Bundestrojaner“ zu verwenden. Denn schon in der Schule haben wir gelernt, dass der tolle Trick mit dem hölzernen Pferd der Trick „der Cleveren“ war. Der „Bundestrojaner“ ist eher mit einer digitalen „Drohne“ zu vergleichen, einer ferngelenkten Waffe. Denn die Schnüffelsoftware ermöglicht es, jeden einzelnen Computer, der mit dem Netz verbunden ist, anzusteuern und komplett auszuforschen. Ja, sie verfügt sogar über die Möglichkeit, durch gezielte Schaffung von „Beweismitteln“ auf fremden Rechnern bürgerliche Existenzen zu vernichten. Die Computer-Identität eines Menschen kann so verändert werden, dass sie zu einer ganz bestimmten Anschuldigung oder zu einem Bedrohungsszenario passt. Dass die Daten überdies an einen US-Server geliefert werden, deutet darauf hin, dass die Spionagesoftware in den globalen „War on Terror“ eingebunden ist – aber zu mehr verwendet werden kann als nur zur Terroristenbekämpfung.
In die jetzige Aufregung über Orwell 2011 werden sich in den kommenden Tagen auch beruhigende Töne mischen. Ist ja alles nicht so schlimm. Außerdem leben wir in einer Demokratie. Und Online-Ausforschung gibt es nur mit Richterbeschluss! Aber ist das so beruhigend? Ist es beruhigend, dass sich ausgerechnet die demokratische Staatsform solcher Total-Ausforschungs-Programme bedient? Und ist es beruhigend, dass demokratische Gesetze und Verfassungsgerichtsurteile so leicht umgangen werden können?
Der CCC hat vor der Veröffentlichung seiner Analyse das Bundesinnenministerium informiert. Auch hat er nachgewiesen, dass jede Organisation oder Abteilung (die über entsprechende Mittel verfügt) solche Programme einsetzen oder anzapfen kann. Der Ruf nach neuen Gesetzen wird da nicht reichen.
Und damit kommen wir zum eigentlichen Dilemma: Die Analysen des CCC können ein Ende des potentiellen (oder stattfindenden) Verfassungsbruchs einleiten, sie können aber auch zur Verbesserung und Verfeinerung des Verfassungsbruchs führen. CCC-Mitglieder und Medien weisen ja explizit auf „das katastrophale Sicherheitsniveau dieser Software“ hin.
Wie, so die Frage, kann die ethisch motivierte Hackerbewegung diesem Dilemma entkommen: Sie weist Konzerne, Organisationen und staatliche Behörden auf Sicherheitslücken, schlampig programmierte Software, Manipulations- und Missbrauchsmöglichkeiten hin, kann letztlich aber nicht kontrollieren, ob ihre sachdienlichen Hinweise dazu benutzt werden, Manipulation und Missbrauch abzustellen, oder dazu, Manipulation und Missbrauch zu perfektionieren.
So ist der ewige Wettlauf zwischen den Code-Schreibern im wahrsten Sinn des Wortes programmiert. Aber reicht es, diese gefährliche Entwicklung dem fortgesetzten Wettrennen zwischen Programmierern und Hackern zu überlassen – ähnlich dem Wettlauf zwischen Doping-Sündern und Doping-Kontrolleuren? Oder brauchen wir eine Lösung auf anderer Ebene?
Es spricht ja nicht viel dagegen, wenn die Justiz mit der Zeit geht und dabei zum einen in den Grenzen der Gesetze bleibt und zum anderen dabei kompetent bleibt. Wenn beides nicht gegeben ist, sollten Köpfe rollen.
Es gibt Mittel, denen sich Behörden in einer demokratischen Gesellschaft nicht bedienen dürfen. Folter und Computerviren gehören dazu.
Seit Jahr und Tag knicken Firmen sofort ein, sobald ein Fax von der Staatsanwaltschaft eintrifft. Dann werden beliebige Informationen über Softwarenutzer herausgegeben, ob berechtigt oder nicht. Skype beispielsweise bettelt förmlich darum, dass Ermittlungsbehörden doch bitte die hauseigene Abhörschnittstelle nutzen mögen [1].
Warum also will die Regierung zwingend verfassungswidrige Überwachungs- und (Beweis-) Manipulationswerkzeuge einsetzen? Besonders die lupenreinen Demokraten aus der Union sind ganz versessen auf ein so mächtiges und mit einer Demokratie nicht in Einklang zu bringendes Instrument.
[1] Ulf Buermeyer, Verfassungsrechtler und Strafrichter aus Berlin, im kuechradio.org vom 12.10.2011 ab Minute 30:43: http://www.kuechenradio.org/wp/?p=1152