Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Rückt die FAZ nach links? Oder gibt das Feuilleton nur den Klassen-Clown?

8. Dezember 2011, 11:28

Viele rätseln derzeit über den partiellen „Linkskurs“ des konservativen Leitmediums. Vor allem der forsche Antikapitalismus im Feuilleton wirkt auf manche berauschend. Wird die Frankfurter Redaktion zum Zentrum der deutschen Occupy-Bewegung oder ist alles nur Schall und Rauch?

Frank Schirrmacher, der umtriebigste unter den FAZ-Herausgebern, hört bekanntlich das Gras wachsen. Und ich beginne zu glauben, dass er es sogar raucht. Überhaupt halte ich es für möglich, dass im Feuilleton der FAZ kollektiv jene Hortensien geraucht werden, die bei uns im Norden zu Tausenden aus den Einfamilienhaus-Gärten geklaut werden. Heide-Gras soll ja das politische Bewusstsein erweitern.

Mit einem Bewusstseins-Flash fing es in Frankfurt an. Mitten in der Krise, als sich die Empörten gerade auf den Marktplätzen der westlichen Finanzmetropolen (London, New York) zusammen zu rotten begannen, griff Frank Schirrmacher den luziden Gedanken eines britischen Konservativen auf, der mit britischem Understatement die rhetorische Frage gestellt hatte, ob die Linke mit ihren Kapitalismusanalysen nicht vielleicht doch recht gehabt habe.

Schirrmacher nahm die Scheinfrage Charles Moores ernst und konstruierte daraus einen typisch deutschen Gegensatz: den Gegensatz zwischen dem gutwilligen deutschen Bürgertum, das in seiner Naivität von den internationalen Spekulanten über den Tisch gezogen worden sei, und den böswilligen Finanzhaien, die die edlen Werte des Bürgertums für ihre fiesen Zwecke missbraucht hätten.

Eine berauschende Feuilleton-Rebellion  

Schirrmachers Text „Ich beginne zu glauben…“ war ein genialer Debatten-Impuls, der im Netz – wo heute seine größten Fanboys sitzen – enormes Aufsehen erregte. Und Schirrmacher erklärte sein Statement hinterher nicht etwa zerknirscht zu einem Hysterie-bedingten „Ausrutscher“, nein, er setzte seinen Piraten-Kurs in der FAZ konsequent fort und präsentierte eine saftige Kapitalismuskritik nach der anderen. „Demokratie ist Ramsch“, schrieb er zornig über das politische Handling der Griechenlandkrise, und der Philosoph Jürgen Habermas sekundierte mit einer grundlegenden Kritik der antidemokratischen Europapolitik.

Schirrmacher ließ nicht locker. Er erteilte klugen und originellen Analytikern wie Jens Becker, Wolfgang Streeck, Michael Hudson und David Graeber das Wort („Die nächste Stufe der Finanzkrise“, „Was sind Schulden?“, „Und vergib uns unsere Schulden“ „Der Krieg der Banken gegen das Volk“). Er ließ die Analytiker sorgfältig herausarbeiten, dass Kreditgeber und Demokraten nicht immer die gleichen Interessen verfolgen, ja dass der Erfolg der einen oft die Niederlage der anderen war.

Überhaupt hielt sich nahm das Feuilleton nun kein ungerolltes Blatt mehr vor in den Mund: Schirrmacher lobte überschwänglich die Piratenpartei („Die Revolution der Piraten“) und verfluchte die Staatstrojaner-Politik der schwarz-gelben Bundesregierung („Außer Kontrolle“). Sein Kollege Nils Minkmar, frisch gebackener Feuilletonchef ab 2012, forderte im Zuge der Aufarbeitung des rechten Terrors gar die Abschaffung der unnützen Geheimdienste („Hauptsache, es macht peng!“). Albrecht Müller, der Gründer der NachDenkSeiten, schrieb über „die Lüge von der Systemrelevanz“, und die lange Zeit als Betonkommunistin ausgegrenzte Sahra Wagenknecht schlägt heute Wege aus der Krise vor, die eine Verstaatlichung und Zerschlagung von Banken mit einbeziehen („Schluss mit Mephistos Umverteilung!“). Ist das FAZ-Feuilleton selbst „außer Kontrolle“?

Irritiert und beglückt über die neuen radikalen Verbündeten aus der alten bräsigen Papier-Welt reagierten viele Leser auf Twitter, Facebook und in Blogs geradezu euphorisch. Jeder möchte wissen, was im Feuilleton geraucht wird. Es scheint gute Qualität zu sein.

Aber ist die rauschhafte Revolte der „Kultur-Fuzzis“ gegen den leitartikelnden Mainstream des eigenen Blattes überhaupt durchzuhalten? Werden die anderen Ressorts begeistert mitkiffen oder irgendwann doch den Antidrogen-Kommissar für den harten Entzug bestellen (wie seinerzeit beim Entfernen des unkontrollierbar gewordenen ZEIT-Feuilletonchefs Fritz Jöthe Raddatz)? Oder geht der Trip ganz von selbst wieder vorbei?

Ich erinnere mich, dass der Klassenclown meiner Schulzeit eines Tages, als er vorn an der Tafel stehend etwas erklären sollte, kurzerhand die Kreide nahm und sie durchs geöffnete Fenster aus dem dritten Stock in den Schulhof warf. Die Unterrichtsstunde musste abgebrochen werden, der Klassenclown war der Held des Tages. Er arbeitet heute als Dozent an einer Katholischen Universität in Bayern.

Mitte der achtziger Jahre, als ich bei der sozialdemokratischen Wochenzeitung Vorwärts das Kultur-Ressort leitete (und mich nebenbei auf der Seite 3 und im Wochenthema austoben durfte), ließ ich dort lauter Leute zu Wort kommen, die einer rot-grünen Zusammenarbeit das Wort redeten: prominente Schriftsteller, Musiker, Regisseure, Professoren, Friedensbewegte. Die SPD hatte die Formation rot-grün damals noch mit einem Tabu belegt. Und so kam eines Tages eine Abgesandte des Vorwärts-Herausgebers Egon Bahr in mein Büro und sagte: Wolfgang, ich glaube, du schreibst dich aus dem Blatt hinaus. Was dann auch wirklich so kam.

Schreibt sich Frank Schirrmacher aus der FAZ hinaus?

Legt es der führende intellektuelle Kopf der FAZ also darauf an, das Politik- und das Wirtschaftsressort gegen sich aufzubringen? Will er dem Blatt eine Wende verpassen? Hat er schon eine zweite Karriere im Hinterkopf? Oder schmeißt er nur die Kreide aus dem Fenster, um für etwas Unterhaltung und Abwechslung in der Krise zu sorgen?

Schirrmacher hat, das nährt meine noch nicht ganz weichen wollende Skepsis, bereits auf so vielen Trends und Themen gesurft – und die Wellen dafür zum Teil selbst erzeugt -, dass mir ein Bruch mit der streng konservativen FAZ-Kultur kaum vorstellbar erscheint. Bislang tolerieren die anderen Ressorts, von ein paar Sticheleien abgesehen, Schirrmachers Eskapaden generös – so lange er im Rahmen der Leser-Blatt-Bindung eine wichtige Zielgruppe im Netz erschließt, die in 20 Jahren treue und brave FAZ-Abonnenten auf dem iPad sein sollen. Vermutlich liebt er genau dieses Schillernde und Ambivalente und vorausschauend Fürsorgliche seiner Rolle. Er tanzt den Seinen (den Konservativen) auf der Nase herum und meint es doch nur gut mit ihnen.

Update 13.12.: Der Konflikt zwischen Feuilleton und Wirtschaftsteil der FAZ wird jetzt auch offen im Blatt ausgetragen. Otmar Issing, ehemaliges Direktoriumsmitglied der EZB, sieht in Schirrmachers Kurs eine Feuilleton-„Kampagne“: Unter dem Titel „Der Weg in die Knechtschaft“ heißt es bei Issing: „Dieser Befund macht es den Kritikern leicht, die Politik in den Fängen des Finanzsektors zu sehen. Das Feuilleton der F.A.Z. scheint geradezu eine Kampagne unter diesem Motto zu führen.“ 

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33 Kommentare

  1. Mussich gezz erssma sacken lassen.

    Als ich neulich Alternativlos 20 (http://alternativlos.org/20/transkript.html) hörte, machte Schirrmacher einen durchaus konservativen, aber auch besorgten Eindruck. Dass er andererseits unbedingt Klassenclown-Qualitäten hat, kann ich auch nicht bestreiten.

  2. Solange ich die FAZ lese war sie im Feuilleton offen für linke und unkonventionelle Ideen. Diese Redaktion hat den Spagat zwischen Konservatismus (Politikteil), Liberalismus (Wirtschaftsteil) und Debatte (Feuilleton) am besten verstanden, und ich hoffe das bleibt auch noch eine Weile so.

  3. Ist das bloß Lust an der Überraschung, die zur Provokation nur werden kann in diesem Umfeld. Oder einfach Einsicht, Umdenken, Erkenntnisfortschritt? Jedenfalls passiert da etwas im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen und ihrer Sonntagszeitung, und in „linken Kreisen“ wird es mit Ahs und Ohs begleitet. Einen kleinen Text zum selben Thema gibt es hier: http://bit.ly/vWW8gU

  4. Der glitzernde Facettenreichtum und die Wendigkeit Schirrmachers könnten auch damit zu tun haben, dass die Probleme halt vielfältig und komplex sind. Es spielen so verschiedene Dinge rein wie
    – Internet – Technologisierung / Automatisierung mit der
    – Folge der ersatzlosen Reduktion von immer mehr Arbeitsplätzen
    – Vermögensunwuchten zwischen Arm und Reich
    – zuviel umherfließendes und nicht ausreichend abgeschöpftes, d.h. nicht ausreichend besteuertes Geld = Gewinne bei
    – ausufernden Sozialkosten und explodierenden Staatsschulden allerorten im Westen
    – Milliarden-Bankenzockereien auf Kosten der Steuerzahler
    – Überalterung und Bevölkerungsexplosion
    – ressorcenfressender wirtschaftlicher Aufstieg von Milliarden Asiaten und Lateinamerikanern mit neuen globalen Ungleichgewichten
    – Umweltprobleme inkl. Klimaerwärmung
    – Information Overload
    um nur die wichtigsten Problemfelder aufzuzählen, die mir grad so einfallen.
    Schirrmacher sieht diese höchst komplexe Gemengelage der Probleme als journalistischer Beobachter womöglich komplexer als so manch festgelegter Börsenhai oder Hardcore-Linker.

  5. @Mitschi Kann man so sehen. Komplexität beantwortet aber meine Frage nicht, sondern weicht ihr elegant aus.
    Sicher ist die FAZ durch ihren Spagat eine der interessantesten Zeitungen (was die SZ endlich mal neidisch machen sollte), aber man darf bei aller Liberalität die schmerzhaften Bänderdehnungen nicht vergessen, die so ein Spagat auslösen kann.

  6. Die Antwort mit Verweis auf die Komplexität der Probleme weicht der Frage nicht aus, sondern verneint sie eher. Zuweilen ist eine Frage mit zwei Alternativen auch eine sogenannte falsche Frage, weil eine Frage mit zwei großteils unzutreffenden Alternativen. Wobei Schirrmacher als journalistisches Zirkuspferd von Clownerie wohl auch nicht ganz frei ist. Aber eben auch nicht völlig von ihr besessen. Ich halte Schirrmacher schon für einen Autor, der Probleme vergleichsweise tiefgründig erfasst, z.B. auch die Probleme des Information Overloads – dabei freilich auch recht viel Wind drum macht. Dafür ist er halt Journalist und Chef einer großen Zeitung
    Meine Antwort lautet also, dass die FAZ mit Schirrmacher nicht unbedingt primär nach links rückt, sondern nur etwas weiter in die Mitte als bisher – quasi ins „Auge des Problem-Hurricans“. Ein solcher Problemwirbel wie der derzeitige umfassende vor allem der Finanzkrisen kann eben nicht mit Links-/Rechts-Schemata und daraus folgenden einseitigen Links- oder Rechts-Ansätzen bewältigt werden. Beide Seiten zerren dabei nur von beiden Seiten am Problembündel – verzerren es dabei nur weiter und kommen natürlich zu keinen Lösungen. Komplexe Interessen-Kaleidoskope, wie gerade Marktwirtschaften welche sind, brauchen also umfassende Betrachtungsweisen – um eben diese verschiedendsten zu großen Teilen auch widersprüchlichen Interessen, Probleme und Momente in Marktwirtschaften irgendwie produktiv miteinander in Einklang zu bringen und zu bündeln. Während der Zeit des Kalten Krieges wurden die westlichen Marktwirtschaften, es wirkt fast etwas abwegig, stark durch ihren damaligen „Systemfeind“, den staatssozialistischen Ostblock zusammengehalten – nämlich durch den von diesem systemkonkurriereden Ostblock ausgehenden Zwang zum sozialen Ausgleich. Dieser Zwang zum sozialen Ausgleich und damit zunehmend der Ausgleich selbst ist mit Untergang des sozialistischen Ostblocks bekanntlich weggefallen. Wir erleben den sogenannten entfesselten Kapitalismus – oft auch „Raubtierkapitalismus“ genannt – fast ohne Streben nach irgendwelchem gesamtgesellschaftlichem Interessenausgleich. Diesen Vorwurf muß man wohl sowohl den kapitalistischen Wirtschaften und Unternehmen als auch der Politik der kapitalistisch verfassten Staaten machen, dass sie dieses Streben nach sozialem Ausgleich der verschiedenen Pole – die da lauten Volk und Arbeitnehmerschaft auf der einen Seite und Unternehmerschaft und Geldadel auf der anderen Seite – dass sie also dieses Streben nach sozialökonomischem Ausgleich nach Ende der Systemauseinandersetzung haben alsbald wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Verschärft werden diese nach der Wende wieder vollends aufgebrochenen ökonomischen Widersprüche durch schon aufgezählte hinlänglich bekannte Brandbeschleuniger wie Internet, Automatisierung, Umweltprobleme, Demographie, Europa usw.
    In Anbetracht der Komplexität dieser Problembündel könnte man also die Schirrmacherische Mutmaßung, dass die Linke recht hätte – leicht abändern und umformulieren in „Ich glaube, dass die Linke AUCH (zumindest teilweise) recht hat.“ Weil diese Problembündel eben nicht mit einseitigen Ansätzen, sondern nur mit umfassender Berücksichtigung sämtlicher Interessen und Probleme bewältigt werden können.

  7. Och, wenn auch Julia Seeliger nun für die FAZ (statt taz) schreibt 😉

  8. @Andreas: Im Vergleich zur jetzigen Schirrmacher-Kampagne ist der Weg von der taz zur FAZ allenfalls eine Kurzstrecke.

  9. Der Knackpunkt ist – wie so oft – der Kontext. Mir scheint es relativ plausibel, dass einem Schirrmacher klar geworden ist, dass die lange Zeit beschworenen Kräfte des Neoliberalismus nun für eine gesamtgesellschaftliche Verschiebung gesorgt haben.
    Das gesamte politische Umfeld hat im Zuge einer als alternativlos dargestellten Politik einen solche Ruck nach rechts, in Richtung Oligarchie gemacht, dass nun konservative bürgerliche Denker – inklusive des bürgerlichen Lagers – zwangsläufig links stehen.

    Die faz war ja nie ein rechtes Blatt, sondern eben dem konservativen Bürgertum verhaftet. So lange dieses von der Umverteilungspolitik der letzten Jahre profitierte war die Kopplung kein Problem. Da nun das kleine- und mittlere Bürgertum aber platt gemacht wird, um damit die anstehenden verluste der mickrig kleinen Oberschichten zu finanzieren, schwindet der FAZ auch ganz einfach das Leserpotential.

    Ganz abgesehen davon, würde ich den Redakteuren dort zumindest in Teilen sogar wirklich eine gewisse Aufrichtigkeit zu gestehen, so in der Art des Zauberlehrlings der die Geister die er rief nicht mehr los wird.

    hgfk

  10. Michal verwechselt seine Erfahrungen mit der Rolle eines FAZ Herausgebers. Ich glaube nicht, dass der generös von anderen geduldet werden muss. Das kommt mir hier eher etwas kleingeistig vor, der entscheidend ist ja, dass es nicht um Absichten geht, sondern um gedruckte Texte. Gedruckte Texte sind nun mal Taten im Journalismus. Don Alphonso, der für die FAZ arbeitet und das Innenleben ja kennt, schreibt auf Google plus, dass Michal KEINE Ahnung habe.

  11. Vielleicht ziehen wir die Konflikt-Linien immer zu falsch. Rechts-links: was soll das heute sein? Dass es einen Konflikt gibt ist unbestritten. Aber wo verläuft der. Links wird gerade ökonomisch differenzierter und konsistenter argumentiert als rechts. Und der größte Witz: beide stehen auf der gleichen Seite des Konflikts. Vielleicht war das schon immer so. Vielleicht ist das alte rechts-links Schema schon immer eine Schimäre gewesen und es spielt nicht wirklich eine Rolle, ob man links oder rechts im Boot sitzt, solange man daran interessiert ist EIN Boot zu steuern.

    Ich würde den Vorschlag machen: rechts-links zu vergessen. Ad acta, Schee von gestern, vorbei und aus.

    Die Occupisten bringen vllt. doch etwas auf den Punkt: Die relevante Spaltung verläuft zwischen einer überwältigenden Mehrheit von Getriebenen und einem kleinen elitistischen Oligarchentum: den 99,9 zum 0,01% der Einkommensverteilung (wie Paul Krugman korrigierend feststellt).

    In der überwältigenden Mehrheit finden sich momentan Konservative wie Sozialliberale, Linke wie Rechte, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber wieder. Manch einer will das nur noch nicht wahr haben.

  12. Ich bin ja alt genug dafür – die Verwunderung, daß das Feuilleton der FAZ als Spielwiese auch für linke Ideen dient, gab es schon vor 15 Jahren. Hat sich im Politik- und Wirtschaftsteil dadurch was verändert? Nö. Die Aufregung ist wohl umsonst.

  13. Ich glaube an viel pragmatischere Ursachen. Gerhard Schröder verwandte denselben Trick 1998. Damals war die SPD jottweedee. Wahlen gewinnt man in der Mitte. Also hat er die SPD konservativer und (neo)liberaler gemacht.

    Die Rechnung ging auf und unsere Herausgeber und Redakteure ahmen die Mimikri aus purer Existenzangst nach. Den Zeitungen steht das Wasser bis zum Hals und auch Apps werden sie nicht retten. Das ist zwar teilweise schade, aber kaum zu ändern. Bei einer Zeitung hat man immer noch den Vorteil, wie bei den Parteien auch, Flügelbildung zu betreiben. Das ist dann halt der durchgeknallte Feuilletonist oder ein obskurer „Stellvertretender Chefredakteur“ der dann etwas sagt, was das Management der Zeitung auf jeden Fall relativieren wird, dennoch druckt, um Aufmerksamkeit, Leser, Abonnennten und Appkäufer zu gewinnen. Oder noch eleganter der Chef relativiert sich selbst wie de Lorenzo. Wenn es stimmt, dass Schirrmacher ab 2012 etwas anderes macht, dann hätte ich mir die Kampagne nicht besser ausdenken können. Bin kein Medienprofi aber habe über 20 Jahre Vertriebserfahrung und dieser Trick ist vermutlich so alt wie die Menschheit.

    Ich habe über Schirrmacher. Guttenberg, Habermas in meinem Blog und letztens über Bernd Graff und seinen unqualifizierten GEMA-rant-hoax geschrieben

    http://www.eggsplore.de/eggsplore-blogg/arne/lou-reed-bernd-graff-von-der-suddeutschen-zeitung-der-internetpobel-und-ironie-fur-akademiker.html

    Also keine Aufregung, es ist alles im grünen Bereich. Empfohlen sei hier auch Joe Jackson’s „Sunday Papers“.

  14. … der Punkt ist, fast jeder von uns warf mal die Kreide aus dem Fenster, doch auch fast jeder hat sie am Ende brav gefressen.

  15. Das gefällt Ihnen nicht, was? Also muss der Urheber, müssen die FAZ-Schreiber, die mit offenen Augen, Ohren. etc. endlich etwas gemerkt haben und es in Artikel umsetzen, „was geraucht haben“.
    Himmelhilf, sonst haben die Rechten keine Argumente mehr? …woher auch? Die Realität gibt so unterschiedlichen klugen Leuten wie Schirrmacher & den Nachdenkseiten & Wagenknecht & dem Don ja Recht. Wenn Sie noch Unterstützung brauchen, lesen Sie doch das neugegründete Wirtschaftsblog in der FAZ, …da werden Sie geholfen.

  16. Vielleicht ist es nur Geschäftssinn? Es könnte ja sein, dass man bei der FAZ zum Schluss gekommen ist, es reicht nicht mehr, nur eine bestimmte Klientel zu bedienen. Wer im Netz mitspielen will, muss sich breiter aufstellen, immer wieder Neues, Überraschendes bieten, weil’s mit der Lesetreue hier nicht weit her ist.
    Es gibt ein kleineres Thema, wo die FAZ auch einen zweigleisigen Kurs fährt: Rundfunkgebühr und öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Auf der einen Seite Michael Hanfeld, der bei jeder sich bietende Gelegenheit auf den Öffetnlich-Rechtlichen herumhackt, manchmal etwa blind dabei. Auf der anderen Seite Stefan Niggemeier, der Dinge in der FAZ schreibt, die direkt aus der Propagandamschine der Sender kommen könnten.

  17. Wäre ein weiterer Schritt in ein linkes Meinungsmonopol in den Mainstreammedien, weil damit alle großen Tageszeitungen außer der Welt eine linke Ausrichtung hätten.

    Meinungspluralität ist wichtig, dass scheint in der Freude über den „Sieg“ über die Feinde gerne vergessen zu werden.

  18. @fk Da mögen Sie recht haben. Der Idealismus einiger Teile der FAZ, sich der „gesamtgesellschaftlichen Verschiebung“ zu verweigern, ist durchaus ehrenhaft. Ich kritisiere das nicht, zweifle nur an der Nachhaltigkeit.
    @jeeves: Da haben Sie was falsch verstanden. Und der Don und der Don und der Don, alles klar.
    @StefanN (lustiges Pseudonym): Der Innenlebenkenner Alphonso schreibt sowieso immer, dass ich keine Ahnung habe. Außer ihm hat wahrscheinlich keiner eine Ahnung.
    @Hans Retep: Ja, dieses „breite Aufstellen“ ist sicher eine kluge Strategie. Die Kunst der FAZ ist es, den heillosen Spagat zwischen Feuilleton und Wirtschafts/Politikteil draußen als „Markenzeichen“ erscheinen zu lassen und nicht als Doppelzüngigkeit.
    @Michael: Ich fürchte, ein einig Volk gegen die Plutokratie – das hatten wir schon mal. Ich glaube nicht, dass die links-rechts-Einordnung obsolet ist. Es finden lediglich, aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen, politische Umgruppierungen statt.

  19. Gell, Herr Michal, irritierend, wenn jemand mal die freiwillige Selbstgleichschaltung durchbricht, den man nicht als Spinner aus den Tiefen des obskuren Internets abkanzeln kann. Nehmen Sie’s positiv: zumindest erfahren Sie mal, was viele viele Menschen wirklich denken, die in unserer Medienlandschaft schlicht ausgeblendet werden.

  20. Ich habe die FAZ-Feuilleton-Ereignisse nur durch die Links der Nachdenkseiten wahrgenommen.
    Das ziemlich einheitliche KooLAid, das in den deutschen Medien serviert wird, vergrätzt die Leser. Kognitive Dissonanz der Meinungsmacher ist für die meisten Bürger unerträglich geworden, die Leute wenden sich ab und greifen zu den „alternativen“ Informationsquellen.

    Die FAZ könnte an Profil gewinnen und die Konkurrenz kannibalisieren. Die Zeiten der dumpfen Milton Friedman-Ideologie sind vorbei, die Märkte sind kaputt, die westliche Oligarchie der Zentral-Banken zerfällt, es wird Zeit, sich neu zu positionieren. (Stellt euch die FAZ als Hofberichterstatter eines Deutschlands vor, wo die Geldmenge wieder durch die Bundesbank alleine bestimmt wird. Ein paar Optionscheine auf diese Wette sind nicht verkehrt).

    Die schärfste Kritik des kranken Finanzsystems kommt von den Wall Street Insidern und von ZeroHedge, das als mächtigstes Finanz-Blog der Erde mehr Informationen und kritische Analysen an einem Tag liefert als alle inkorporierten Medien in einer Woche. (Denen kann niemand eine „linke“ Ausrichtung unterstellen).

    Bloomberg und Reuters zitieren ZH, warum dann nicht die FAZ…
    Portfolio diversifizieren, methinks…
    Also – Kreide aus dem Fenster, mit einer Vorzugs-Option auf einen Platz im Rettungsboot, wenn €utanic endlich versenkt wird.

  21. Mal nicht nur schwarz-weiß aufeinander rumgehacke, meinen aufrichtigen Dank an Euch.
    Michaels (Nr.14) aufgeworfene Frage birgt für mich das wesentliche Element. Unsere Demokratie basiert m.E. auf Gegeneinander/Wettstreit/Konkurrenz und Lösungen enden damit letztendlich in Ausgrenzung/Nichtberücksichtigung. Solange wir von der Absolutheit der Richtigkeit unserer persönlichen moralischen Perspektive ausgehen, werden wir in der extremen Komplexität unserer derzeitigen Welt keine weiterführenden und nachhaltigen Lösungen kreieren. Erst das wirkliche Akzeptieren anderer (moralischer) Perspektiven als gleichberechtigt und -wertig neben meiner Perspektive ermöglicht mir/uns einen gemeinsamen (Perspektiven-)Raum, in dem echter Austausch (nicht Wettstreit, Sieg oder Niederlage einzelner Perspektiven, sondern Interesse an anderen Perspektiven und deren Zustandekommen) möglich ist. Durch das Einfühlen in/ Nachempfinden von andere(n) Perspektiven erfahre ich deren Intentionen (Ängste und Bedürfnisse) und aus diesem geteilten, gemeinsamen Raum heraus ist das Kreieren von umfassenden Lösungen möglich (Schwarmintelligenz).
    Menschen, deren Interesse ich mit dieser Aussage geweckt habe, empfehle ich sich mit dem Dialog nach David Bohm auseinanderzusetzen. Meine persönliche Erfahrung mit dieser Form des Austausches hat mich von seinem enormen Potential für gemeinschaftliches Handeln überzeugt.
    Alles Liebe – Raimund

  22. Warum wird der Wandel im Feuilleton Herrn Schirrmacher zugesprochen? Der eigentliche Feuilleton-Chef der FAZ ist doch Patrick Bahners?

  23. @angelo: Stimmt. Er übergibt zwar jetzt an Minkmar, aber er hat diese Öffnung ermöglicht.
    @Raimund Böhm: Klar, schwarz-weiß ist von gestern. Nun gibt es differenzierte Meinungsäußerungen heute in vielen Zeitungen (Zeit, Süddeutsche, Freitag, Tagesspiegel etc.), selten aber gibt es einen so radikalen Schwenk, der dazu noch andere Ressorts im Blatt stark tangiert. Viele Leser fragen ja völlig zu Recht, warum die im Feuilleton abgedruckten wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Ansichten nicht in den dafür zuständigen Ressorts stehen.

  24. Das Feuilleton der FAZ ist in der Tat ausgezeichnet. Hier sind die klugen Köpfe des Blattes.
    Nach der Pleite von Lehmanns erschien hier der erste Kommentar zur Krise. Die eigentlich zuständige Wirtschaftsredaktion brauchte erheblich länger, um sich von diesem Schock zu erholen. Und um wenigstens teilweise Abschied zu nehmen von den „naiven“ Vorstellungen, von der Klugheit der Märkte, vom Homo-oeconomicus ( dem neuen Menschen), den es in der Realität nicht geben kann. Und von Hayeks Phantastereien.
    Geschätzter IQ des Feuilletons 135;desjenigen der Wirtschaftsredaktion…; darüber schweigt man besser.

  25. Lieber Wolfgang Michal,

    ich bin zwar als Autor befangen, aber finde es schon erstaunlich, Deine Erfahrung in einer Parteizeitung mit einem Blatt zu vergleichen, dessen Unabhängigkeit durch eine Stiftung gewährleistet ist. Die Rolle des für das Feuilleton verantwortlichen Herausgebers ist zudem eine andere als die des Ressortleiters.

    Unruhe als editorisches Prinzip ist nicht die schlechteste Voraussetzung dafür, die Themen unserer Zeit beim Schopf zu ergreifen, statt sie vorbei fliegen zu lassen.

  26. Lieber Hans Hütt,
    mit meinem Beispiel wollte ich lediglich an Schirrmachers Einsicht anknüpfen, die er zu Beginn seiner Kampagne geäußert hat. Er schrieb damals sinngemäß, er habe durch die Krise plötzlich etwas begriffen (er sei erschrocken über die Verführung und die Verführbarkeit des Bürgertums durch die Finanzhaie).
    Ich hatte damals – auf niedrigerer Ebene – auch etwas begriffen, nämlich dass die Grünen kein kurzlebiges Phänomen sein würden (was damals in der SPD noch weitgehend Konsens war, deshalb sollte man die Grünen auch möglichst totschweigen).
    Der Vorwärts war damals übrigens kein ödes Parteimitgliederblättchen wie heute, sondern so ähnlich wie Bissingers „Woche“ oder Augsteins „Freitag“. Mir hat nie jemand in die Arbeit hineingeredet. Erst als ein politischer Trend sichtbar wurde (rot-grün), gab man mir vorsichtig zu verstehen, dass… Man kann sich also durchaus aus einer Zeitung hinaus schreiben, beim Vorwärts wie bei der FAZ (siehe Hugo Müller-Vogg).

    Wir reden deshalb, glaube ich, im Wesentlichen aneinander vorbei. Es geht hier nicht primär um die Verteidigung von schöpferischer Unruhe oder kultureller Vielfalt, die jedem Feuilleton gut zu Gesicht steht und die ich für selbstverständlich halte. Nein, in der aktuellen Finanzkapitalismus-Debatte der FAZ wird ein politischer Bruch sichtbar, der Folgen haben wird. Solche oder solche. Da schützen auch keine Stiftung und keine Herausgeberschaft. Wenn die Provokation tatsächlich zu einer Linie würde, wenn der Denkanstoß eine echte Haltung begründet, wenn also ein Standpunkt eingenommen wird, dann ist im Feuilleton Schluss. Spätestens dann muss die nächste Debatten-Kampagne (zu einem ganz anderen Thema) die vorhergehende Debatte auslöschen. Das ist – kurz gefasst – der Unterschied zwischen Wirtschaftsteil und Feuilleton.

    @Rolfrüdiger: Bestimmt liegt der IQ im Feuilleton noch viel viel höher!

  27. @ Wolfgang Michal

    „@Michael: Ich fürchte, ein einig Volk gegen die Plutokratie – das hatten wir schon mal. Ich glaube nicht, dass die links-rechts-Einordnung obsolet ist. Es finden lediglich, aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen, politische Umgruppierungen statt.“

    Stimmt!

    Aber irgendwie läuft heute doch etwas anders als bei links-rechts.

    Ob man nun eine kommunistische oder eine meritokratische Ordnung will, immer wollte man damit einen ordnungsstiftenden Rahmen der ganzen Gesellschaft leisten. Das ist vorbei. Das oberste 0,01% hat sich aus jeder Gesellschaftlichkeit verabschiedet. Es hat sich elitär selbstexkludiert – ist nicht mehr öffentlich partizipierend. Es steht über jeder nationalen Staatlichkeit, regionalen Gemeinschaftlichkeit, ideeller Verbundenheit und einem wie auch immer gearteten öffentlichen Interesse. Das oberste 0,01% der Vermögensverteilung ist ein selbstgenügsames Gebilde, das keinen Staat, kein öffentliches Interesse kennt. Es hat sich aus der Interdependez einer funktional differenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft heraus katapultiert. Einzelne Personen mit Einkommen, die dem BIP kleiner Staaten entsprechen. Und: sie sind sich dessen nicht einmal bewusst.

    Der Konflikt heißt dann zynischer Partikularismus versus wie auch immer gearteten Universalismus: und hier sitzen wir zwischenzeitlich tatsächlich wieder im selben Boot. Und ja: die Linke hatte in sofern recht, dass sie erkannt hat, dass der Konservatismus im Sinne dieses zynischen Partikularismus – der nie an einer Idee von Gesellschaft interessiert war – vereinnahmt wurde.

    Gleiches Recht für alle muss dann aber nicht heißen einig Volk gegen wen auch immer. Das geht wohl am Besten, wenn man den Schließzylinder im Schloss austauscht: wir sollten die Spielregeln ändern und nicht HB-Männchen spielen.

  28. Sowie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, macht auch ein Feuilleton noch keine Revolution.
    Jedoch muss man beachten, dass ein Feuilleton naturgemäß auch mal über den Tellerrand schauen kann (und es bestenfalls auch tut).

    Politik, Geld stehen noch repräsentativ für die Machtverhältnisse und beides hat für sich eine innere Logik. Politik funktioniert nach bestimmten Regeln und das Finanzsystem „funktioniert“ auch nach eigenen Regeln.
    Sachliche mediale Berichterstattung kann nur die Abläufe nach eben diesen Regeln beurteilen und dokumentieren und ist deshalb auch immer im System gefangen. Ein Sportkommentator wird sich nie die Frage stellen, warum ein Fußballer den Ball nicht einfach in die Hand nimmt und damit ins gegnerische Tor rennt, auch wenn das für Außenstehende, die mit den Regeln nicht vertraut sind, das effektivere Verhalten wäre.
    Solange Politik und Finanzen nun einmal so funktionieren wie sie funktionieren, wird die Bewertung und Dokumentation auch nie komplett von außen erfolgen, sondern immer mit dem Blick auf die Regeln, aus dem bestehenden System heraus.
    Da sollte man den Einfluss der Medien auch nicht überschätzen. Auch eine Bild kann nicht entscheiden, dass Bayern jetzt 1:1 gespielt hat und nicht 2:1, weil sie ein irreguläres Abseitstor erzielt haben und aufgrund dessen ein anderes Team zum Meister erklären.

    Die Berichterstattung wird sich also erst ändern, wenn sich auch in der Wirklichkeit bzw. an den Machtverhältnissen etwas ändert. Das ist zwar ärgerlich, da sich in Wirklichkeit einiges geändert hat, aber das herrschende System ist noch das gleiche, die Politiker sind die gleichen und die Reichen sind noch reicher geworden.

  29. Ich habe schon immer etwas den Eindruck gehabt, dass der Konservatismus der FAZ, auch gerade der von Herrn Schirrmacher überdurchschnittlich von Verantwortungssinn und nicht nur von reinem vulgärökonomischem Marktliberalismus geprägt war. Wahrscheinlich treibt sie dieser Verantwortungssinn jetzt dazu, die Dinge so komplex zu sehen, wie sie sind und dabei eben auch dazu, dass auch die Linke in Manchem nicht ganz unrecht hat. Mich frappiert es z.B., dass Aussagen von Lafontaine, die er vor über zehn Jahren gemacht hat, heute viel breiterer Commen Sense sind – z.B. in Sachen Besteuerung von Kapitalerträgen oder nötiger stärkerer Entwicklung des Binnenmarktes und der Binnenkaufkraft.

  30. Die FAZ war noch nie eigentlich ‚konservativ‘ – sie wurde nur dafür gehalten, als sich das politische Spektrum immer weiter nach links verlagerte.

    Das Abdrängen von Patrick Bahners, das peinliche Bekenntnis von Lorenz Jäger, die Installation von Nils Minkmar und vor allem die Wiedereinstellung des noch weiter links angesiedelten bekennenden Kommunisten und Lenin-Verehrers Dietmar Dath als hauptamtlicher Feuilleton-Mitarbeiter zeigt deutlich genug, wohin die Reise demnächst gehen wird. Langjährige Leser haben bereits das Blatt gewechselt. Man darf gespannt sein, wie lange sich die anderen Herausgeber das gefallen lassen…

  31. Ob und wenn ja welches Gras im Feuilleton der FAZ geraucht wird ist eine interessante Frage. Als jahrzehntelanger Stammleser der FAZ habe ich innerhalb weniger Tage die Lektüre dieses Blattes nachhaltigst eingestellt.

    Nicht wegen Schirrmacher. Eher wegen Kohler und Zastrow. Letzterer schrieb in „Wie Ken den Kopf verlor.“ einen Verriss auf Guttenberg. Nicht ganz so hart waren die Einlassungen Kohlers dazu. Beide müssen gewusst haben, dass sie einen für die FAZ existenziellen Grundsatz aufgegeben haben: Die Seriosität.

    Dabei geht es nicht mehr um konservativ oder progressiv. Und schon gar nicht um rechts oder links. Es geht um gediegenen, von Verantwortungsbewußtsein geprägten Journalismus, der sich bewusst ist, dass seine Leser mitdenken und begierig sind, diesen Denkprozess durch echte Informationen anzureichern. Die gab es plötzlich nicht mehr. Statt dessen eine von Hass geprägte Kampagne, die unverhohlen die politische und billigend in Kauf genommene physische Vernichtung einer Person betrieb.

    Dies erregte in mir abgrundtiefe Abscheu. Nicht nur, weil Zastrow mich und viele andere Leser offensichtlich in die Ecke hirnamputierter Vollidioten geschoben hat. Viel schlimmer war für mich die Tatsache, dass mein Leib- und Magenblatt seit 3 Jahrzehnten mit Mitteln aus der untersten Schublade meinen Denkprozess speziell zum politischen Problem KTvG ignoriert hat.

    Will man ein solches Problem verstehen, ist es immer gut, wenn man nach den Nutznießern fragt. Also frage ich mich: Was wäre passiert, wenn KTvG nicht gefallen wäre? Die Antwort ist einfach. Als erstes hätte Bayern einen neuen Ministerpräsidenten und wenig später die Republik einen neuen Kanzler bekommen.

    Und siehe da, nur 10 Gehminuten von der FAZ-Redaktion entfernt residiert jemand, von dem BILD 2007 schrieb: „(Name). Kann alles, weiß alles, regelt alles. PR-Genie. Ein Meister des gesellschaftlichen Netzwerks, kennt alle und jeden, ist auf jedem Parkett zu Hause.“ oder auch ganz nett SWR 2004: „(Name), ein Star im Geschäft der Öffentlichkeitsarbeit, der Politikvermittlung und natürlich auch der dazu gehörenden Krisenkommunikation“. Gegen ordentliches Salär gibt es dort mit Sicherheit auch „negative campaigning“.

    Wenn man sich diese Vermutungen aufgrund vagen Wissens vor Augen führt, kann man sich auch eine Variante Ihres Bildes vom gerauchten Gras vorstellen. Vielleicht hat sich jemand heimlich in den Keller der FAZ-Redaktion geschlichen und dort vor der Luftzufuhr zur zentralen Klimaanlage ein kleines Feuerchen aus Mohnblütenextrakt angefacht.

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