Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Wulff, die Endlosschleife. Eine Satire

16. Januar 2012, 11:19

In einem Jahr werde er die Geschichte ausgesessen haben, hofft der Präsident. Doch die Enthüllungen werden immer grauenhafter und die Folgen der Enthüllungen werden immer gespenstischer. Überzeugen Sie sich selbst!  

22. Januar 2012: Unter der Schlagzeile „Wie viele denn noch, Herr Wulff?“ enthüllt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen weiteren „Freund“ des umstrittenen Präsidenten. Ein Osnabrücker Legohändler soll Wulff im Herbst 1970 zwei Kartons mit gelben Dachsteinen für den Anbau eines Wintergartens an das Lego-Sommerhaus „Creator“ überlassen haben. Der heute 80-Jährige, der weder im Grundbuch noch in der Lego-Aufbauanleitung eingetragen ist, räumt auf Nachfragen ein, dass nicht er, sondern sein Sohn, ein alter Schulfreund Wulffs, die Verhandlungen über die Herausgabe der Dachsteine geführt habe. FAS-Recherchen bei Lego-Experten ergeben jedoch, dass Dachstein-Überlassungen dieser Art weder der Höhe noch der Farbe nach in den siebziger Jahren üblich gewesen seien. Die Welt und die Frankfurter Rundschau entbinden Wulffs Rechtsanwälte daraufhin von der Verschwiegenheits-Pflicht für folgende Journalisten-Anfragen: „Wie viele Dachsteine haben Sie am Nachmittag des 17. Mai 1971 verbaut?“ und „Waren noch andere Personen, die in einem engen Verwandtschaftsverhältnis zum Osnabrücker Lego-Händler standen, beteiligt oder zugegen, als die gelben Dachsteine am Nachmittag des 17. Mai 1971 verbaut wurden?“ Bisher sind diese Fragen von der Pressestelle des Bundespräsidialamts nur unzureichend oder gar nicht beantwortet worden. Wie lange sich der Präsident angesichts der neuerlichen Enthüllungen im Amt halten kann, ist ungewisser denn je.

5. Februar 2012: In den Reihen der Union wächst der Unmut über Wulff. Die BILD-Zeitung berichtet unter Berufung auf Leserreporter, dass vor dem Eingang des Aldi-Discounters Fallingbostel zwei Mitglieder des CDU-Ortsverbandes offen den Rücktritt des Bundespräsidenten gefordert hätten. Auch im Unterausschuss Kultur des niedersächsischen Kreisverbands Fallersleben soll bereits über eine Alternativkandidatur zu Wulff beraten worden sein. Darüber hinaus verdichten sich Hinweise, dass Wulff bereits zu Beginn der siebziger Jahre Geld von reichen Damen genommen hat, denen er anbot, sie heil über die Straße zu bringen. Das scheinheilige Schwiegersohn-Image des Präsidenten habe dadurch empfindliche Kratzer erhalten. Aufgrund der neuen Enthüllungen kündigen die Anwälte des Präsidenten an, ein Foto des von Wulff seinerzeit für die Vorteilsnahme verwendeten Sparschweins ins Internet zu stellen. Unterdessen versucht das Wiki SparschweinPlag, ein Foto des Schweins mit User-Hilfe aus privaten Fotoalben der siebziger Jahre zu rekonstruieren.

22. März 2012:  In der FAZ erscheint Frank Schirrmachers General-Abrechnung: „Ich beginne zu glauben, dass die Rechten link sind“.

9. April 2012: Das Nachrichtendienst-Magazin Focus enthüllt in seiner sexteiligen Serie „Die 50 machtgeilsten Frauen Deutschlands“ sämtliche Blusen, die Präsidentengattin Bettina Wulff im Zeitraum zwischen Juli 2010 und März 2012 als Leihgabe bekannter Markenunternehmen auf Staatsempfängen getragen hat (eine entsprechende Klickstrecke findet sich bei süddeutsche.de). Wie der Focus weiter unter Berufung auf Berliner Sicherheitskreise berichtet, soll sich unter den enttarnten Blusen auch eine geblümte aus dem Wäscheschrank von Carsten Maschmeyers Frau Veronika befinden. Diese sei in den Spendenbüchern der „Maschmeyer Charity Foundation“ (Mach 3) fälschlicherweise als Stilberatungshonorar verbucht. Maschmeyer dementiert, davon gewusst zu haben. Die Blusenüberlassungsgebühr sei ohne sein Wissen über die Corporate Publishing-Abteilung des Verlags Hoffmann & Campe abgewickelt worden. Er, Maschmeyer, habe lediglich darum gebeten, auf der Rechnung den Buchtitel „Die Blusen des Bösen“ auszuweisen.

21. Mai 2012: Der Spiegel eröffnet mit seinem 17. Wulff-Titel: „Der ehrlose Präsident“ (nach „Der peinliche Präsident“, „Der Pudding-Präsident“, „Der schändliche Präsident“, „Der Teflon-Präsident“, „Der schäbige Präsident“, „Der Pattex-Präsident“ und „Der schnorrende Präsident“) die Sommer-Offensive des Magazins. Spiegel-Chef Georg Mascolo erklärt in den Talkshows von Beckmann, Plasberg, Illner, Lanz, Maischberger, Will, Jauch und Domian, er habe sich schweren Herzens dazu durchgerungen, die Freiheit der Presse unter Einsatz seines Lebens zu verteidigen und dafür notfalls – wie Amts-Vorgänger Augstein – ins Gefängnis zu gehen. BILD-Chef Kai Diekmann und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher kündigen an, Mascolo persönlich zum Tor der Haftanstalt Fuhlsbüttel-Nord begleiten zu wollen. RTL und Pro7 erklären, aus der riskanten Aktion die Doku-Soap „Ich bin ein Starjournalist, holt mich hier raus“ zu entwickeln.

30. Juni 2012: Kaum ist der Bundespräsident aus dem Norderney-Urlaub zurück, sieht er sich mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Ein Wallenhorster Süßwarenladenbesitzer bestätigt gegenüber SpiegelOnline, dem 13jährigen Wulff im Frühjahr 1972 einen zinslosen Kredit für den Erwerb von Schaumzuckermäusen und Lakritzschnecken gewährt zu haben. Wulff, so das Online-Magazin, habe den Kredit später bei der Kreissparkasse Salzgitter-Süd in einen rollierenden Geldmarktkredit umgewandelt, um die Spur der Lakritzschnecken zu verwischen. Auch Bild am Sonntag berichtet von einem weiteren Begünstigungs-Fall: Wulff habe sich als Landesvorsitzender der Jungen Union Niedersachsen im März 1985 beim Starkbieranstich auf dem Münchner Nockherberg von Bauunternehmer Stefan Schörghuber zu einem großen Saftschorle einladen lassen. Der Original-Bierdeckel mit dem original Kugelschreiber-Strich der Bedienung liegt der Bild-Redaktion vor. Die Frankfurter Rundschau titelt: „Schreckt dieser Präsident denn vor gar nichts zurück?“

9. Juli 2012: Vor dem Bundespräsidialamt beginnt die erste Massendemonstration gegen Wulff. Laut Polizeiangaben haben sich über 200 Personen versammelt, um dem „Besatzer von Schloss Bellevue“ ihre Schuhe über den Zaun zu werfen. Die von adidas unterstützte Aktion löst eine wahre Flut von Anti-Wulff-Demonstrationen aus: Handschuhhersteller fordern die Bürger auf, dem Bundespräsidenten ihre (Fehde-)Handschuhe hinzuwerfen, Louis Vuitton bittet alle Demonstrantinnen, ihre Handtäschchen zu schleudern, es folgen Billabong, Jack & Jones, Calvin Klein, Boss, Bugatti, Aigner, Burlington, Levis und Schießer, doch schwere Rangeleien zwischen Samsung und Apple sowie verschiedenen Klingelton-Anbietern führen schließlich zu einer allmählichen Einschränkung solcher Protestformen. Auch die Deutsche Bahn muss ihr Sonderangebot für Berlinreisen wieder zurückziehen, da deutsche Autohersteller Wettbewerbsverzerrungen befürchten.

13. August 2012: In einer Nacht- und Nebelaktion lässt die Regierung Merkel einen Schutzwall um Schloss Bellevue errichten. Bei der anschließenden Regierungserklärung im Bundestag („Eine Stabilitätsunion ohne Mauer ist wie ein Haushalt ohne Schuldenbremse“) kommt es zum politischen Eklat. Die Grünen sowie die CDU-Abgeordneten Wellmann & Bellmann verlassen unter Protest den Plenarsaal, Oppositionsführer Gabriel wirft der Regierung Wagenburg-Mentalität vor, bietet der Kanzlerin aber gleichzeitig eine konstruktive Zusammenarbeit bei möglichen Passierscheinregelungen an. Die Linke ist hin- und hergerissen. Am Abend melden Stern-Reporter, ein bislang Unbekannter habe 1984 bei einem Lüneburger Bahnhofsbuchhändler die gesamte Stapelware des allerersten Wulff-Buches „Nur die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit“ (erschienen im katholischen Gebetbuch-Verlag Dümmer See) aufgekauft. Anhand der Aussagen des Händlers lässt der Stern ein Phantombild des Käufers anfertigen. Das BKA wird ersucht, ein Fahndungsplakat herauszugeben.

11. September 2012: Mit einem Kleinflugzeug überfliegt der Vorsitzende der Liberalen, Philipp Rösler, die Mauer und landet im Garten von Schloss Bellevue, wo er sich an die Standarte des Dienst-Mercedes von Bundespräsident Christian Wulff ankettet. Die Aktion wird per livestream auf bild.de übertragen. Die Umfragewerte der FDP steigen auf 15 Prozent, BILD-Kolumnist Franz Josef Wagner nennt Rösler einen Freiheitskämpfer, worauf Wulff sich demonstrativ weigert, vor die Bundespressekonferenz zu treten.

3. Oktober 2012: Tag der Deutschen Einheit. Die ersten Stuhl-Reihen im Festsaal des Berliner Schlosses bleiben leer. Der Bundespräsident wird vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und anderen christlichen Würdenträgern boykottiert. Nach einem Aufruf von Kardinal Verleger Döpfner, Wulff aus dem Amt zu streiken, legen die Berliner Korrespondenten ihre Arbeit für zwei Stunden nieder. Dieter Bohlen, Bushido und Florian Silbereisen erklären gemeinsam in BILD, einem solchen Präsidenten nie mehr die Hand schütteln zu wollen (es sei denn, er verleiht einen Bambi). Das FAZ-Feuilleton dokumentiert auf vier Seiten den Wortlaut der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditvertrages mit der Kreissparkasse Salzgitter-Süd unter dem Titel „Die Systemfrage und das Kleingedruckte“. Die SZ veröffentlicht in ihrer Sonderbeilage „Verfassungspatriotismus“ eine synoptische Gegenüberstellung der Mailboxnachricht mit dem Grundgesetz. Die taz verschickt einen Fragebogen mit 400 detaillierten Fragen zur Mailbox von BILD-Chefredakteur Kai Diekmann. Diekmann antwortet im Rahmen einer doppelseitigen, von Springer bezahlten Anzeige in der taz.

11. November 2012: +++Breaking News+++ SpiegelOnline meldet, Bundespräsident Wulff habe auch bei der Chefredaktion von Bild der Frau angerufen und dort mit der sofortigen Abbestellung der Springer-Zeitung durch seine Frau gedroht (obwohl er, Wulff, diese für die Pressefreiheit so wichtige Zeitung immer ganz gern gelesen habe). Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Michael Konken, sieht darin nicht nur einen Verstoß gegen die Pressefreiheit, sondern auch einen maßlosen Angriff auf die westliche Wertegemeinschaft. Gemeinsam mit Springer-Chef Döpfner fordert er die Anrufung der OECD-Menschenrechtskommission, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des UN-Sicherheitsrats. BILD druckt am folgenden Tag die Schlagzeile „Jetzt reicht’s! Wie viele Skandale verheimlichen Sie uns noch, Herr Präsident?“

27. Dezember 2012: Endlich Weihnachten! Tage der Ruhe. Tage der Ruhe?? Nein. Die Jahresrückblicke der Fernsehstationen kennen Ende 2012 nur ein Thema. Andere Themen? Fehlanzeige.

Update 18.1.: Heute berichten Medien ohne jede Ironie von „neuen Vorwürfen“. Der gemeinsame Sohn von Christian und Bettina Wulff habe von einem Autohändler ein Bobby-Car geschenkt bekommen. Die „Staatskrise“ könnte sich dadurch möglicherweise zu einer globalen Krise auswachsen. 

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8 Kommentare

  1. Bleibt uns ja noch die Hoffnung, dass auch der geschätzte Bloginhaber aus der Endlosschleife raus finden wird….

  2. Sehr lustig! Das Einzige was fehlt sind die haltlosen geschmacklosen subtilen Verweise auf die eingebildete „pikante“ Vergangenheit der DE First Lady.

  3. :))

  4. @ WM

    Zustimmung was die formale Seite b e i d e r Antipoden – Präsident u n d (Leit-) Medien – betrifft oder anders gesagt: difficile est non scribere satiram;-)

  5. A‘ Schmarren! Ich jedenfalls finde das hier n i c h t lustig, weil Bild-Zeitungs-Niveau!
    Denn die Angelegenheit, die uns alle angeht, ist dafür viel zu ernst. Den Bundespräsidenten derart zu verhöhnen, ist Gosse und wird der Situation nicht gerecht.

  6. @ruebmar,

    lieber Süddeutscher Mitbürger – Ihr satirischer Kurzbeitrag ist sozusagen das Sahnehäubchen.
    Oder sind sie Hoflieferant der Bayerischen Staatskanzlei – hm – in Sachen – Weißwürste, Brezn und Weißbier? (Mit einem unterschriftsreifen Vertrag für das Belle-Vue, den sie durch das Zurverfügungstellen Ihrer Skihütte an unser Staatsoberhaupt in trockene Tücher brachten?) – sprich – es handelt sich hier um einen Marketingbeitrag.

  7. Selten so gelacht.

    Es fehlt nur noch die wackere Edda Müller, die auf die Teilnahme am Neujahrsempfang verzichtet und so unter Verlust ihrer Glaubwürdigkeit für die weitere Intransparenz in der Diekmann-Mailboxaffäre demonstriert hat. Ihre Fernsehauftritte hatten das Format für eine Bananenrepublik-Soap. Was wohl der Dachverband von Transparency Int’l dazu meint? Ob durch ihren Einsatz Deutschland noch weiter im TI-Index abgestuft wird?

  8. Als Leser der NOZ (Neue Osnabrücker Zeitung) hat mich die Nachricht elektrisiert:

    22. Januar 2012: Unter der Schlagzeile „Wie viele denn noch, Herr Wulff?“ enthüllt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen weiteren „Freund“ des umstrittenen Präsidenten. Ein Osnabrücker Legohändler soll Wulff im Herbst 1970 zwei Kartons mit gelben Dachsteinen für den Anbau eines Wintergartens an das Lego-Sommerhaus „Creator“ überlassen haben. Der heute 80-Jährige, ….

    und zu weiteren Recherchen veranlasst. Zunächst ging es um den Namen des Legohändlers. Da Geerkens ein typischer Namen bei uns hier ist, habe ich einfach angefangen, im Alphabet durchzubuchstabieren: A-eerkens, B-eerkens – Bingo! Über Yahoo fand ich einen Xxx. Beerkens (Vorname aus Persönlichkeitsgründen geändert), der als Architekt eingetragen ist. Da Geerkens nach meiner und Nikolaus Blomes Wahrnehmung mit Immobilien in OS seinen Reichtum verdient hat, ist klar, dass Beerkens ein Enkel des Legohändlers Laurenz Beerkens ist. Wulff war also schon in jungen Jahren in die Osnabrücker Beerkens-Geerkens-Connection verwickelt.

    Als freier Bild-IM werde ich diese Recherche gleich auf die Mailbox von Diekmann sprechen.

    22. Januar 2012: Unter der Schlagzeile „Wie viele denn noch, Herr Wulff?“ enthüllt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen weiteren „Freund“ des umstrittenen Präsidenten. Der Osnabrücker Legohändler Laurenz Beerkens soll Wulff im Herbst 1970 zwei Kartons mit gelben Dachsteinen für den Anbau eines Wintergartens an das Lego-Sommerhaus „Creator“ überlassen haben. Der heute 80-Jährige, …

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