Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Man kann sich auch hochbloggen!

22. März 2012, 10:38

Carmen Calvani, eine sehr aktive Bloggerin der Freitag-Community, hat mir unlängst ein paar Fragen zur Lage des Journalismus und der Netzöffentlichkeit gestellt. 

Carmen Calvani: Welche Wechselwirkungen sehen Sie zwischen tradierten Medien auf der einen und Blogs und der Netzöffentlichkeit auf der anderen Seite? Woran erkennen Sie diese Interferenzen konkret und wie bewerten Sie diese?

Wolfgang Michal: Anfangs haben sich die beiden wie Hund und Katz zueinander verhalten. Sie haben sich voller Misstrauen belauert und nur das Schlechteste von der anderen Seite erwartet. Dann gab es eine Phase der friedlichen (oder besser: der erschöpften) Koexistenz, und seit einiger Zeit beobachte ich eine verstärkte Zusammenarbeit beim Themenpushen, bei Kampagnen, bei der Reichweitenausdehnung. Man hat sich sozusagen gegenseitig befruchtet (was bei Hund und Katz natürlich auch zu Missgeburten führt). Einige haben auch die Seiten gewechselt, wieder andere (freie Journalisten wie ich) haben von Anfang an auf die Nutzung verschiedener Kanäle gesetzt. Das heißt, die Chancen, ein Thema in die Gesellschaft zu tragen, sind durch die Vernetzung stark gestiegen, aber auch die Risiken, Themen überzustrapazieren, Meinungen zuzuspitzen oder Geschichten aus rein kommerziellen oder parteitaktischen Gründen hochzujazzen. Die Schwarmintelligenz kann auch im blinden Mitlaufen ihre Erfüllung finden. Hier genauer hinzugucken, ist wichtiger geworden. Es erfordert aber auch ein ziemliches Standing, mal gegen den Trend anzuschreiben oder gar den Spielverderber zu spielen.
Das größte Problem, das ich derzeit sehe, ist freilich etwas ganz Profanes: Dass die eine (die reiche) Seite die andere einfach (ein-)kauft – wie an manchen Bloggerplantagen in etablierten Medien studiert werden kann. Man muss sich heute nicht mehr hochschlafen, man kann sich auch hochbloggen.

Calvani: Meiner Meinung nach ist schon die Entscheidung, ob ein Sachverhalt recherchiert und ob und wie er publiziert wird, ein politischer Vorgang – jedenfalls in der Summe der Entscheidungen. Wie sehen Sie das?

Michal: Die Auswahl der Themen, die Gewichtung im jeweiligen Medium und das Gatekeeping der Chefredakteure oder Plattformbetreiber ist immer ein politischer Vorgang. Nur sind diese technischen und handwerklichen Möglichkeiten der Beeinflussung heute nicht mehr so leicht steuerbar. Es können halt nicht mehr 200 Leute bestimmen, was bei uns öffentliche Meinung ist. Ob uns diese Netzfreiheit erhalten bleibt, hängt aber davon ab, wie stark das Internet künftig reguliert und portioniert werden wird, Stichwort Netzneutralität, Stichwort Überwachung/Filter, Stichwort (Urheber)-Rechtsprechung etc.

Calvani: Unter welchen Voraussetzungen können Medien Informationen vermitteln, ohne selbst zum politischen Akteur zu werden?

Michal: Jakob Augstein sagt, Ideologie und Journalismus passen nicht zusammen, womit er einerseits Recht hat, andererseits aber Gefahr läuft, den Journalismus zu idealisieren. Wenn man die handwerklichen Regeln anwendet (also: immer auch die andere Seite hören, sich nie mit einer Sache gemein machen, nachfragen, Quellen nennen, Belege beibringen etc.), dann ist man schon so reflektiert und skeptisch und mit Menschenkenntnis geimpft, dass man nicht mehr so leicht für bestimmte Zwecke benutzt werden kann. Allerdings kann es auch Situationen im Leben geben, die einen dazu zwingen, politischer Akteur zu werden. In schwierigen Zeiten muss ein Journalist auch mal den Mut zum politischen Bekenntnis haben. Aber wo ist der Übergang vom Bekenntnis zur Indoktrination? Da gibt es keine allgemein gültige Definition.

Man muss sich die Leute, die den Begriff Ideologie verwenden, gut ansehen. Abweichende Meinungen werden hierzulande allzu schnell als Ideologe gebrandmarkt und ausgegrenzt. Ähnliches passiert mit dem Begriff Verschwörungstheorie. Das sind so Bannwörter, welche die andere Seite einschüchtern sollen und gegen die man nichts machen kann. Vor allem Leute, die sich für völlig ideologiefrei halten, sind meistens die größten Ideologen. Sie haben schreckliche Angst, die Grundlagen der Gesellschaft, in der sie leben, in Frage zu stellen. Etwas in Frage stellen ist aber das Grundmotiv und das Grundprinzip jedes Journalismus.

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1 Kommentar

  1. „Bloggerplantagen“ – was für ein treffendes Wort! Ich muß gestehen, daß mir die dort angebauten Lesefrüchte nur selten behagen.

    Entweder etabliertes Medium oder Blog – diese komischen Hybrid-Formen, etwa auch das bemühte Geschwurbel irgendwelcher „neuerdings auch bloggender“ Chefredakteure – die gehen mir eher auf den Sa.. äh, Nerv.

    Na, was soll’s.

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