Seit die Telekom beschlossen hat, ihre Internet-Flatrate durch Volumentarife zu ersetzen, wird heftig gerechnet: Wie viel YouTube-Filme darf ich mir ansehen, bis die 75 Gigabyte voll sind? Darf ich mehr als eine Stunde skypen pro Woche? Sollte ich meinen App-Konsum zügeln?
„Liebe Telekom, Sie erhalten die Zahlung meiner Rechnungen ab jetzt mit reduzierter Geschwindigkeit, da die Volumengrenze meines Kontos erreicht ist.“ Mit derart sarkastischen Bemerkungen muss sich Europas größter Telekommunikationskonzern (Spottname: „Drosselkom“) zur Zeit herumschlagen, weil er die Ladegeschwindigkeit von Filmen, Apps und Musik ab einem bestimmten Nutzungsvolumen drosseln will. Ganze Heerscharen von Spott-Drosseln umflattern den Konzern mit parodistischen Videofilmen, Karikaturen und Werbesprüchen.
Ausgelöst hat den kreativen Schub eine lapidare Mitteilung der Telekom vom 22. April. Darin heißt es, man müsse die Tarifstruktur „angesichts des rasanten Datenwachstums“ bis zum Jahr 2016 leider ein wenig „umstellen“. Die bisherige DSL-Flatrate werde durch unterschiedlich große Volumenpakete ersetzt. Erreicht ein Kunde vor Ablauf des Monats die gebuchte Datenmenge, werde die Bandbreite seines Anschlusses „auf 384 Kbit/s reduziert“. Das reicht dann noch zum Verschicken von E-Mails, aber nicht mehr zum Abruf von Filmen oder Online-Spielen. Wer mehr Volumen benötigt, kann aber jederzeit gegen Aufpreis ein Ergänzungs-Paket buchen. Auch Webportale, die ihren Kunden die Drosselung des Internets ersparen wollen (und sich damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen), können durch gesonderte Verträge mit der Telekom nutzungsunabhängige Qualitäts-Zugänge erwerben.
Als würde man wieder Lebensmittel rationieren
Der „Drossel-Plan“ der Telekom klingt auf den ersten Blick ziemlich einleuchtend. Wer die Netze stärker nutzt als andere, soll mehr bezahlen. Wer andauernd Filme herunterlädt, ständig über Skype telefoniert oder ganze Musikbibliotheken aus dem Netz saugt, soll durch gestaffelte Mautstellen hin und wieder daran erinnert werden, dass die Bereitstellung, der Ausbau und die Pflege der Leitungskapazitäten viel Geld kostet. Es geht der Telekom nach eigener Auskunft also vor allem um eine Disziplinierung jener „Extremnutzer“, die sich auf Filmportalen, Porno- oder Spiele-Seiten herumtreiben. Gebremst würden von der Umstellung auf Volumentarife nur drei Prozent der Kunden, die übrigen 97 Prozent nutzten noch nicht einmal ein Fünftel der kleinsten in Zukunft vorgesehenen Datenmenge von 75 Gigabyte pro Monat. Das transportierte Datenvolumen pro Breitbandanschluss liege derzeit bei durchschnittlich 15 Gigabyte.
Trotz der großzügigen Bemessung löste das Vorhaben der Telekom eine Wutwelle aus, die nicht so schnell wieder verebben wird. Denn der Drossel-Plan mutet an wie ein Rückfall in graue Internet-Vorzeiten. Auf eine moderne digitale Gesellschaft wirkt er wie eine nordkoreanische Notverordnung aus Brotpreis-Erhöhung und Lebensmittelrationierung. Da sind digitale Hungerrevolten vorprogrammiert. Allein die Aussicht auf eine Beschneidung des Zugangs zur Online-Welt – mithin die Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit – rührt an unser Verständnis von Grundrechten und elementaren Bedürfnissen.
Das Internet ist zu einem Grundnahrungsmittel geworden, und der Zugang zu ihm ein Grundrecht. Die segensreiche Einführung der Flatrates war nicht nur die Befreiung vom laufenden Gebührenzähler, sie bedeutete auch die Anerkennung der Kommunikation als menschliches Grundbedürfnis jenseits ökonomischer Verwertbarkeit. Niemand würde einem Autofahrer sagen, man werde ihm nach 1000 gefahrenen Kilometern die Luft aus den Reifen lassen oder den Tankdeckel verplomben. Niemand weist Kranke ab, weil sie im laufenden Monat schon fünf Mal beim Arzt gewesen sind. Und niemand begrenzt den Fernsehkonsum der Gebührenzahler auf 30 Talkshows im Monat – obwohl hier eine Drosselung sicher gesünder wäre.
Ihr müsst den Breitbandgürtel enger schnallen!
Es ist aber nicht nur die Bevormundung, die den Menschen so sauer aufstößt; dass eine Firma erwachsenen Menschen vorschreiben will, wann sie ihren Breitbandgürtel enger schnallen müssen! Die anmaßende Oberlehrerhaltung wird noch übertroffen durch die Chuzpe, mit der ein privates Unternehmen sich das Recht herausnimmt, die freie Entwicklung einer ganzen Gesellschaft zu behindern. Man erdrosselt die Entfaltungsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft durch ein engstirniges betriebswirtschaftliches Konzept: Weil die Telekom den angeblich drohenden Engpass bei der Datendurchleitung zur Einführung von Preiserhöhungen nutzen will, soll aus dem Internet eine Klassengesellschaft werden. Weil der Festnetz-Umsatz stagniert, und weil man sich 2001 mit dem milliardenschweren Zukauf von T-Mobile USA gnadenlos verspekuliert hat, möchte man die Versäumnisse und Fehlentscheidungen des Konzerns nun dadurch kompensieren, dass man das Grundrecht auf Informationszugang in unterschiedlich große Portionen zerlegt: Mehr und besseres Grundrecht für die, die mehr bezahlen können.
Dieser rückwärtsgewandte „Vorstoß“ der Telekom zeigt, dass eine unverzichtbare Infrastruktur wie das Internet – ähnlich dem Verkehrswegenetz – nicht in der Hand einer privaten Firma liegen darf. Wer die Interessen der Shareholder im Blick hat, kann sich nicht mit aller Kraft um die Bereitstellung einer flächendeckenden Chancengleichheit kümmern. Der freie, gleiche, nicht mit Auflagen versehene Zugang zum Internet ist heute Bestandteil der Daseinsvorsorge. Und die sollte man dem Wettbewerb ein Stück weit entziehen.
Eine Kurzversion dieses Beitrags ist am 2. Mai im Freitag erschienen.
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