Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Der Umsturz in der Ukraine folgt einem alten Muster

6. März 2014, 12:09

Ost und West zerren erneut an der Ukraine. Das nützt nicht dem Land, sondern nur den jeweiligen Clans.

Wladimir Putin will die neue Regierung in Kiew nicht anerkennen und spricht von einem Staatsstreich gegen den legitimen Präsidenten. Die westlichen Regierungen finden den Umsturz prima und versprechen der provisorischen Regierung Unterstützung.

Der Westen wollte und will ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen, das der Ukraine eine zweite Schocktherapie verabreichen soll. Denn die Kredite des IWF und die Hilfsgelder der EU sind an strikte Auflagen gebunden, die das Land in seinem gegenwärtigen Zustand nur schwer erfüllen kann.

Russland versprach und verspricht der Ukraine billige Kredite und billiges Gas, verlangt dafür aber den Beitritt zur postsowjetischen Zollunion und den Verzicht auf EU- und Nato-Beitritt.

Die hoch verschuldete Ukraine muss sich also entscheiden. Und das zerreißt sie. Besser: Es hat sie zerrissen.

Das Geschwätz vom kulturell gespaltenen Land

Auch vor Viktor Janukowitschs Wahl zum Staatspräsidenten war die Ukraine in einer desolaten Situation. Die Schocktherapien des IWF in den neunziger Jahren hatten nichts gebracht – außer einer lukrativen Verscherbelung des Tafelsilbers (Privatisierungen) an die Oligarchen und einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 60 Prozent.

Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko, die Helden der Orangenen Revolution von 2004, versagten allerdings als Staats- und Regierungschefs in den Jahren danach. Die weltweite Finanzkrise verschlimmerte die Situation, ausländische Banken plünderten zusammen mit ukrainischen Oligarchen weiter das Land.

Die Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft verbesserte sich kaum. Denn weder Russland noch die EU noch die USA investierten in nennenswertem Umfang in eine Modernisierung der energieintensiven Schwerindustrie (Stahl, Chemie), der Kohle-, Gas- und Ölförderung (Bergwerke), der Atomindustrie (Tschernobyl, Riwne etc.), des Flugzeugbaus (Antonov-Werke) oder des Agrarsektors (Problem Bodenerosion). Größter Direktinvestor 2008 war Zypern (!).

Auch vor Janukowitsch vermochte nur ein 16,4 Milliarden Dollar schwerer Kredit des Internationalen Währungsfonds den Staatsbankrott abzuwenden (wobei der Kredit gar nicht vollständig ausgezahlt wurde, da die Ukraine die Auflagen nicht erfüllte). Und korrupt waren die ukrainischen Oligarchen-Clans, die das Kiewer Parlament durch Abgeordnetenkauf beherrschen, schon zu Zeiten der Präsidenten Krawtschuk, Kutschma und Juschtschenko.

Es gab also keine wirklich neue Situation im Herbst 2013. Janukowitsch war durch korrekte Wahlen an die Macht gekommen. Denn die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2010 wurden nicht von Janukowitsch und seiner Partei der Regionen organisiert, sondern von der Regierung Timoschenko:

„Die Leiterin der OSZE-Wahlbeobachtungsmission, Heidi Tagliavini, zollt der Arbeit des Ministerkabinetts bei der Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen hohe Anerkennung. Dies erklärte sie bei einem Treffen mit der Premierministerin der Ukraine, Julia Timoschenko, am 7. Januar (2010). Heidi Tagliavini unterstrich dabei, dass die Position der Regierungschefin bei der Gewährleistung von transparenten Wahlen eine sehr wichtige ist.“

Julia Timoschenko erklärte: “Wir möchten Fälschungen nicht zulassen und haben uns an die OSZE und andere internationale Organisationen gewandt, die Beobachter schicken können, damit eine Wiederholung der Fälschungen, ähnlich denen im Jahre 2004, nicht zugelassen wird. Das ist unser Ziel“.

Im ersten Wahlgang zur damaligen Präsidentschaftswahl traten 18 Kandidaten an. Julia Timoschenko erreichte dabei rund 25 Prozent der abgegebenen Stimmen, Viktor Janukowitsch 35 Prozent.

Während Janukowitsch in allen Regionen der Ostukraine führte, erreichte Timoschenko in fast allen Regionen der Westukraine die meisten Stimmen. Allerdings, und das spricht gegen die behauptete kulturelle Zweiteilung des Landes, erreichte Janukowitsch auch in den meisten Regionen der Westukraine die zweitmeisten Stimmen hinter Timoschenko!!

In der Stichwahl am 7. Februar 2010 konnte sich Wiktor Janukowitsch mit 49 Prozent gegen Julia Timoschenko durchsetzen. Die Regierungschefin erhielt 45,5 Prozent. Die Ergebnisse entsprachen den unabhängigen Umfragen, die vor der Wahl durchgeführt wurden. Die externen Wahlbeobachter waren sehr zufrieden:

“Die Abstimmung, die gestern stattfand, wurde zu einer überzeugenden Äußerung demokratischer Wahlen. Für jeden in der Ukraine wurden diese Wahlen zu einem Sieg. Jetzt ist die Zeit für die politischen Führer des Landes gekommen, das Urteil des Volkes zu hören und die Machtübergabe auf friedliche und konstruktive Weise zu gewährleisten”, erklärte Joao Soares, der Leiter der Parlamentsversammlung der OSZE und Koordinator der Mission der kurzfristigen Beobachter der OSZE…. Die Beobachter hoben besonders die Rolle der in der Ukraine unabhängigen Medien hervor, die eine Vielfalt an ausgewogenen Informationen über die Kandidaten geboten hätten. Auch die Auszählung der Wahlzettel sei professionell gewesen. „Diese Wahl war insgesamt effektiv und mit Respekt für die grundlegenden Freiheiten organisiert – trotz lückenhafter und widersprüchlicher Gesetze“, sagte die leitende OSZE-Wahlbeobachterin Heidi Tagliavini.“

Aber nicht nur die Beobachter der OSZE waren voll des Lobes, sondern auch die Beobachter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, des Europäischen Parlamentes und der Parlamentarischen Versammlung der NATO.

Es gab im Verlauf der Jahre nur ein Problem: Je länger Janukowitsch die Entscheidung „Pro Westen“ oder „Pro Osten“ hinauszögerte, desto stärker wurde er in westlichen Medien als „Diktator“ hingestellt. Und seine Gegner waren die Helden und „Kräfte der Freiheit“.

Diese Einflussnahme von außen verdeckt, dass auch die jüngste „Revolution“ in der Ukraine keine Revolution, sondern nur ein geschickter Clanwechsel (zur weiteren Ausplünderung des Landes) ist.

Ein notwendiger Rückblick in die Geschichte

1982 weihte die ukrainische KP in Kiew das „Denkmal der Völkerfreundschaft“ ein. Es liegt direkt hinter der Philharmonie. Unter einem stählernen Regenbogen von etwa 30 Metern Durchmesser stehen ein russischer und ein ukrainischer Arbeiter und halten den sowjetischen Orden der Völkerfreundschaft über ihre Köpfe als wäre es eine schützende Regenplane. Kiewer Jugendliche treffen sich hier, um über den großen Fluss ins weite Land zu blicken, bevor sie ihre leer getrunkenen Bierflaschen über die Brüstung ins Gestrüpp hinunter stoßen.

Das Denkmal der Völkerfreundschaft erinnert an den folgenschweren Beschluss der Dnjepr-Kosaken von 1654. Die Vorfahren der heutigen Ukrainer hatten sich damals unter den Schutz des russischen Zaren begeben. Sie verbanden damit die Aussicht auf ewigen Frieden und die Absicherung ihrer soeben erkämpften Freiheit. Denn die Kosaken-Republiken, die im 16. Jahrhundert in den Flusswäldern am unteren Dnjepr entstanden waren, bildeten den ersten Versuch, eine unabhängige ukrainische Nation zu schaffen.

Vor dieser Zeit dienten die meisten Kosaken als Grenzwächter des polnisch-litauischen Adels. Ihre Aufgabe war es, die „ukraina“ – die Ostgrenze des Königreichs Polen-Litauen – vor einfallenden Tataren zu schützen. Sie wurden mit Privilegien belohnt, mussten dafür aber verschärfte Kontrollen ertragen: als „Register-Kosaken“ wurden sie in die polnisch-litauische Armee integriert.

Als die polnischen Großgrundbesitzer ihre Ländereien immer weiter nach Osten ausdehnten, die Bauern versklavten und sich auch in die Angelegenheiten der freien Kosaken einmischten, kam es zu Protesten und regelrechten Aufständen. 1648 besiegte der Kosakenführer Bogdan Chmelnitzki die polnischen Truppen und gründete beidseits des Dnjepr das Hetmanat der Zaporoger Kosaken, das viele ukrainische Historiker (auch der ehemalige Staatspräsident Viktor Juschtschenko) als Urform der unabhängigen Ukraine betrachten.

Drei Jahre später schlugen die Polen zurück, und Chmelnitzki brauchte dringend Bündnispartner gegen die feindliche Übermacht. Er fand sie im Großfürstentum Moskau. Mehrere Kosaken-Delegationen machten dem Zaren ihre Aufwartung, bis dieser, nach anfänglichem Zögern, den Schutz im Vertrag von Perejaslaw gnädig gewährte.

Russland verpflichtete sich dabei zu nichts. Die Kosaken aber verloren die Souveränität über ihre Außenpolitik und wurden Vasallen. Zug um Zug engte Moskau ihren Spielraum ein, stationierte eigene Truppen am Dnjepr und koordinierte die ukrainischen Angelegenheiten mit Hilfe der Kleinrussischen Kanzlei. 1667 teilten Polen-Litauen und Russland das Kosaken-Hetmanat unter sich auf.

Heute diskutieren ukrainische Historiker, warum sich das Kosaken-Hetmanat nicht zu einem unabhängigen Staatswesen entwickeln konnte, wie es etwa zur selben Zeit der Niederlande, der Schweiz oder Brandenburg-Preußen gelang. Die Großmächte in West und Ost, sagen die Historiker, hätten ihren Kampf um die Vorherrschaft auf dem Rücken des Hetmanats ausgetragen. Und die Führer des Hetmanats seien – ähnlich wie heute die Oligarchen – mehr an der Erhaltung ihrer Privilegien als an der Entwicklung eines funktionierenden Staatsgebildes interessiert gewesen.

P.S. Ich war vor einigen Jahren für eine Geo-Reportage bei den Stahlarbeitern von Krivij Rih, auf den Spuren von Julia Timoschenko in Dnipropetrowsk, in der Kohlegrube Zasjadko in Donezk, im Kiewer Parlament, bei der Internetzeitung Ukrainska Prawda, beim Schriftsteller Andrej Kurkow und in den Antonov-Flugzeugwerken von Kiew. 

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