Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Muddis Pudding

24. August 2014, 11:55

Der Spiegel, der Suhrkamp Verlag und die SPD standen einmal für das Projekt Aufklärung. Nun sind sie in einer tiefen Krise. Warum?

Machtkämpfe gibt es überall. Bemerkenswert ist aber, dass die qualvollsten Machtkämpfe in so genannten Traditions-Unternehmen stattfinden. In Unternehmen, die man immer für unverrückbare moralische Instanzen hielt; für Leuchttürme des Fortschritts und der schieren Vernunft.

Zu dieser Sorte Traditionsunternehmen zählen der Spiegel, der Suhrkamp Verlag und die SPD. Nun würde man diese drei nicht auf Anhieb miteinander vergleichen wollen, aber die Machtkämpfe in ihnen weisen doch erstaunliche Parallelen auf: Es geht in allen drei Fällen um das Erbe eines übermächtigen Mannes.

– Seit dem Tod Willy Brandts im Herbst 1992 ging es in der SPD-Führung drunter und drüber. Die Partei hat in den letzten 20 Jahren elf Vorsitzende verschlissen und liegt in Umfragen bei 25 Prozent.
– Im Suhrkamp Verlag herrscht seit dem Abgang Siegfried Unselds ein zäher Kleinkrieg der Gesellschafter.
– Und den Spiegel plagen nach Augsteins Tod immer neue Diadochenkämpfe.

Die Erben der großen Drei sind ratlos. Ist das die Schuld der Überväter, die ihre Traditions-Unternehmen (zu) lange paternalistisch geprägt haben? Oder liegt es eher an den Nachfolgern?

Aufklärungsunternehmen sind keine normalen Betriebe

Machtkämpfe in Betrieben und Organisationen enden oft mit deren Zerfall – oder mit einer vollständigen Metamorphose. Das heißt, das Unternehmen geht entweder unter oder es findet den Mut, sich völlig neu „aufzustellen“. Während Preussag und Mannesmann zu anderen Firmen wurden, gingen Grundig und AEG zugrunde. Das heißt, das Change Management gelingt – oder es gelingt nicht. Bei normalen Betrieben würde man diesen dynamischen Prozess mit Bezug auf den Wirtschaftswissenschaftler Joseph A. Schumpeter „schöpferische Zerstörung“ nennen.

Traditionsunternehmen wie der Spiegel, der Suhrkamp Verlag oder die SPD sind aber keine normalen Betriebe. Sie fungieren als parteiische Anwälte, ja als treibende Kräfte des kulturellen und politischen Modernisierungswandels. Sie stehen für das, was Philosophen „das Projekt der Moderne“ nennen. Es sind Tendenzbetriebe der Aufklärung.

Der Literaturwissenschaftler Manfred Geier hat Aufklärung in einem lesenswerten und leicht lesbaren Einführungsband so definiert:

„Aufklärung ist eine vernunftorientierte Kampfidee gegen ‚dunkle’ Vorstellungen, die alles wie in einem Nebel oder Schattenreich verschwimmen lassen. Sie richtet sich gegen Aberglaube und Schwärmerei, Vorurteile und Fanatismus, Borniertheit und Phantasterei. Sie ist zugleich eine positive Programmidee für den richtigen Gebrauch des eigenen Verstandes. Sie favorisiert das Selbstdenken mündiger Menschen. Das erklärt ihr emanzipatorisches Erkenntnisinteresse. Aufklärung bekämpft alle autoritären Mächte, die den selbständigen Verstandesgebrauch der Menschen blockieren wollen.“

SPD, Suhrkamp und Spiegel haben sich stets in dieser Tradition gesehen, wurden aber darüber selbst zu Autoritäten: zu ‚Lordsiegel-Bewahrern’ einer liberalen, im Zweifel linksliberalen Demokratie.

Ihre beste Zeit hatten die drei Institutionen in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Nach Nazi-Diktatur und Weltkrieg ging es darum, die Fundamente einer westlich-demokratischen Gesellschaft zu legen. Was wir „politische Kultur“ nennen, haben diese drei maßgeblich geprägt.

Doch schon in den achtziger Jahren begann ihre Krise. Die einsetzende geistige Wende brachte Reagan, Thatcher und den Neoliberalismus an die Macht, sie brachte aber auch die Umwelt-, die Frauen- und die Friedensbewegung hervor. Die Fassaden von Suhrkamp, Spiegel und SPD schienen zwar noch in Ordnung, aber hinter den Fassaden krachte bereits das Gebälk. Die politische Transformation, die wir uns angewöhnt haben „Postmoderne“ oder „Postdemokratie“ zu nennen, arbeitete an der Überwindung der Suhrkamp-, SPD– und Spiegel-Kultur.

Ratlos in den Zeiten der Postdemokratie

Leider überdeckten die drei Vaterfiguren der westdeutschen Aufklärung – Unseld, Brandt und Augstein – diese Transformation. Die müden Alten sahen keinen Handlungsbedarf mehr und ließen die Dinge schleifen. Brandt ließ den aufkommenden Grünen viel Raum, Augstein dem Konkurrenzblatt Focus, Unseld der Esoterik. Und die Nachfolger der drei verhielten sich zur „vernunftorientierten Kampfidee“ der Vor-Väter indifferent.

Einerseits passten sie sich dem Zeitgeist an, andererseits versuchten sie, den Traditionen der Aufklärung zu genügen und „Aberglauben, Schwärmerei, Vorurteile, Fanatismus, Borniertheit und Phantasterei“ zu bekämpfen. Aber immer öfter erschien die gute alte Aufklärung nicht mehr als mutiges Voranschreiten in dunkler Zeit, sondern als „Besitzstand wahrender“ Abwehrkampf etablierter Institutionen gegenüber dem Neuen.

Das hieraus resultierende Klima aus Gereiztheit und Verunsicherung bestimmte fortan das Innenleben der drei Traditions-Unternehmen. Die Jungen mussten sich anhören, dass früher alles besser war: Damals, als die Edition Suhrkamp noch Furore im Kulturbetrieb machte! Als der Spiegel noch ein Sturmgeschütz der Demokratie war! Als Willy wählen jeden Linksliberalen glücklich machte! Bald sahen sich die Alten – zu Unrecht – als ‚altlinke Spießer‘ und ‚Besserwisser‘ verunglimpft. Die Distanz zwischen den Verfechtern der Aufklärung und jenen, die das Aufklärungsgerede als Machtmittel der Besitzstandswahrung entlarvten, wuchs.

Die SPD verlor die Hälfte ihrer Mitglieder, der Suhrkamp Verlag zahlreiche engagierte Mitarbeiter, der Spiegel exzellente Journalisten. Während sich die Gesellschaft ‚draußen’ veränderte, beschäftigte man sich drinnen vor allem mit sich selbst. Wie groß die Entfremdung geworden war, konnte man zuletzt an Kleinigkeiten ablesen. Als der Machtkampf bei Suhrkamp eskalierte, diskutierten die Reste der deutschen Vernunftmedien den Konflikt in großen Aufmachern, Leitartikeln und Seite-3-Reportagen, doch in der Netzöffentlichkeit interessierte die Suhrkamp-Krise niemanden mehr. Auch die SPD ist dort nur noch als bessere CDU gespeichert, und der Spiegel gilt längst als „ehemaliges Nachrichtenmagazin“.

In der Defensive

Die drei großen S haben den Wandel des Zeitgeists defensiv erlitten – anstatt ihm eine Alternative entgegenzusetzen. Sie engagierten sich nicht offen für die Ausweitung der Demokratie, sondern passten sich dem Pudding an, den man nicht an die Wand nageln kann. Sie dealen mit Muddis marktkonformer Demokratie anstatt den demokratiekonformen Markt einzufordern. Sie liebäugeln mit der Religion, der großen Koalition und dem Boulevard. Das heißt, sie weichen der eigenen Richtungsentscheidung aus.

Unterdessen erstarken, auch in Europa, rechte, antidemokratische Ideen. Immer mehr Parteien mit wunderlichen Namen machen sich breit, von den wahren Finnen über die goldene Morgenröte bis zum Rechten Sektor. Der Ausnahmezustand wird normal. Und von den Schriftstellern bis zu den Talkshows verschieben sich Diskurse nach rechts.

Was für eine gewaltige Aufgabe, gerade jetzt mit einer „vernunftorientierten Kampfidee“ gegenzusteuern, Position zu beziehen – auch wenn Muddis Pudding zunächst übermächtig und undurchdringlich erscheinen mag.

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7 Kommentare

  1. Sehr viel Mythos und Gesinnungsschwelgerei schwingt da mit. Der Spiegel bestand in den 60er-Jahren noch bewusst aus vielen Nazis, deren aufklärerisches Potential sich in Grenzen hielt. Die sozial-liberale Koalition hörte praktisch schon 1974 auf; Schmidt als Kanzler wurde nur noch gewählt, um bestimmte Auswüchse antiliberaler Politiker zu verhindern (bspw. 1980 F. J. Strauß). Das Kohl-Bashing des Spiegel war dann schon derart primitiv, dass das nur noch Journalisten toll fanden. Suhrkamp lebte von Unselds Berserkertum und Gespür. Dass es heute kaum noch Intellektuelle dieses Formats gibt, ist nicht dem Verlag alleine anzulasten. Es zeigt sich im übrigen im Gerede von „Postdemokratie“, einem Bullshit-Begriff allererster Sahne.

  2. Ich finde die Bandbreite der Traditionsunternehmen hier ganz interessant, weil sie sich durch 2 Merkmale hervorheben. 1. Eine Weile wird deren Geschäftsmodell noch gut gehen, weil natuerlich auch bei der nächste Wahl SPD gewählt wird, buchpreisgebundene Buecher gekauft werden und dem SPIEGEL alle paar Monate eine Titelgeschichte gelingt fuer die journalistische Arbeit notwendig ist. Aber: Innovation findet halt anderswo statt und Agenden werden woanders gesetzt. 2. Die Unternehmen hoffen irgendwie, dass der digitale Wandel nur eine Zwischenphase ist und dann die Menschen wieder ‚wie frueher‘ lesen, kaufen und wählen. Die ca. unter-40-jährigen werden sich jetzt lachend vom Bildschirm wedrehen und zu den 80% der WahlBERECHTIGTEN gehören, die nicht SPD wählen, ebooks lesen und neben SPON noch 4 andere Webseiten besuchen…

  3. Wieviele Jahrzehnte ist es her, als die drei Genannten verstarben und schon zuvor ihre Macht verloren? Daraus HEUTE etwas zu fabrizieren, nein, da bin ich auf Herrn Keuschnigs Linie: weit hergeholtes Mythenaufwärmen.

  4. Kann mich nur dem allgemeinen Bedauern anschließen: Aufklärung, als genügend definiertes und selbstmotivierendes Projekt, wirksam nach „innen und außen“ war gestern. Die Idee war soz. immer schon von gestern.
    je mehr man daran glaubt, ja glaubt, desto unwahrscheinlicher kommt einem die Möglichkeit des vergehens vor. Aber überlegt man genau, so ist weder die WIssenschaft noch die Kunst vergangen, sondern nur ein „Klon des Bürgerlichen“, eine Möglichkeit der politischen und weltanschualichen Orientierung.
    Dass Unternehmen dann Schwierigkeiten kriegen, ist klar. Was hielte diese Organisationen noch im Innersten zusammen?!
    Väter?! Söhne?! Generation?! – Nee, nur die unbarmherzige Zeit, und eine Welt, die solch ephemeren Abenteuern spottet.

  5. @Gregor Keuschnig: „Der Spiegel bestand in den 60er-Jahren noch bewusst aus vielen Nazis…“ Das ist dummes Zeug. Ja, es gab einige Nazis an führender Stelle, aber Ende der 50er/Anfang der 60er ging das zu Ende. Lesen Sie nach bei Lutz Hachmeister. Ich spreche hier von der Hochzeit der 60er und 70er Jahre und der Zeit nach dem Tod des Gründers.

    Dass Postdemokratie ein Bullshit-Begriff sei, das mag Ihre Meinung sein, aber so dumm ist der Begriff nicht (siehe Crouch u.a.).

    Dass in der Selbstzuschreibung, im Dienste der Aufklärung zu stehen, auch viel Mythos enthalten ist, ja, da haben Sie Recht. Das kommt in der Kritik ja deutlich zum Ausdruck.

    @kdm: Man hätte natürlich den NevenDuMont Verlag miteinbeziehen können 😉

  6. Es stimmt, ab und an glänzt der Spiegel noch mit einer extraordinären Geschichte. Und dann kommt er mit -z. B. – unanständigen Polemiken wie die gegen Xavier Naidoo. Was bleibt in Erinnerung?
    PS: Die FAZ ist keinen Deut besser, wie der geschwurbelte Text über Blogger und Vice neulich zeigte. Muss der Verlust an eigener Deutungshoheit immer mit Kollegenschelte einher gehen?

  7. Wolfgang Michal beschreibt zu Recht die Parallelen, die letztlich für alle etablierten Linken gelten, auch für die Grünen, insbesondere in der Joschka Fischer-Schröder-Zeit. Der Autor erwähnt zwar den Siegeszug des Zeitgeistes der Globalen Neoliberalismus mit Reagan, Thatcher usw.. Aber es ist faktisch falsch, dass ausgerechnet dieser die Friedens- Frauen- und Umwelt-Bewegung hervorgebracht hätten! Alle hatten sich schon längst vorher entwickelt, insbesondere in der 68-er Bewegung!
    Der entscheidende Punkt ist die zunehmende Spaltung zwischen Reich und Arm, die Machtergreifung der oberen 10% seit spätestens 1989, die mit entsprechenden Gesetzen zur „Deregulierung“ usw. ganz bewusst betrieben wurde, in Deutschland von Kohl und vor allem von der opportunistischen Schröder-SPD einschl. Grüne.
    Sicher war die Reform der Sozialausgaben zum Teil notwendig, aber warum wurden die Steuern für die oberen 10% auch noch gesenkt, statt gerecht erhöht?!
    Lafontaine war der Einzige, der dies rechtzeitig erkannte, die Konsequenzen zog und schließlich versuchte, eine neue Linke zu gründen. Aber leider kann diese auch keine neue linke Theorie entwickeln, zumal sie noch nicht einmal die grundsätzlichen Fehler des realen Sozialismus = Staats-Imperialismus selbstkritisch aufgearbeitet hat.
    Entsprechend war auch der Spiegel nicht fähig dazu, sich dem neoliberalen Zeitgeist kritisch zu widersetzen. Insbesondere seine „rationalistisch-aufklärerische“ Polemik gegen die Psychoanalyse macht die Schattenseiten einer Aufklärung deutlich, die das kognitive Denken = Intellektualismus überidealisiert und fälschlicherweise mit der Vernunft gleichsetzt, zu der auch die Gefühle und Körperempfindungen (z.B. die sexuellen) gehören. Insofern fehlt ihm eine lustvolle Sinnlichkeit, aber auch das Verständnis für die tiefenpsychologische Macht-Dynamik des Neo-Liberalismus, konkret für die Ängste der Mittel- und Unterschicht, die zunehmend von den oberen 10-1% in einen chancenlosen Überlebenskampf getrieben wird. Siehe „Die Abwicklung“ von Parker in den USA, aber auch in der Ex-DDR.
    Damit komme ich auch zur Esoterik-Problematik unserer Zeit einschl. der Suhrkamp-Verlegerin: da mangels einer zeitgemäßen linken Theorie keine vernünftigen weltanschaulichen Lösungen angeboten werden, die existenziellen Bedrohungen einschl. Ängste immer mehr zunehmen, werden entweder Lösungen im in der spirituellen echten Re-ligio gesucht (die wie wissenschaftliche Meditation sicher von dem entfremdeten westlichen Menschen dringend gebraucht wird). Nicht zu vergessen der Kulturkreis des Islam, der sich mangels Aufklärung und Wissen an einen fundamentalistischen patriarchalen allmächtig-allwisssenden Gott-Glauben klammern muss – angesichts seiner völligen ökonomischen- politischen- gesellschaftlichen-kulturellen Ohnmacht. (Im Westen bietet sich entsprechend für die ohnmächtige Mittel- und Unterschicht die Regression in die natonalistische Gemeinschaft gegen das Fremde an.)
    Jens Christian

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