Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Null Durchblick in Syrien

23. Oktober 2014, 14:43

Es ist wirklich erstaunlich, was ein ehedem hochrangiger (und intellektueller) CIA-Mann über die ‚durchgeknallte’ Syrien-Politik seines Landes schreibt. Ist das nur die Meinung eines Außenseiters oder deutet sich hier ein außenpolitischer Kurswechsel an?

Graham E. Fuller, in den achtziger Jahren stellvertretender Vorsitzender des „National Intelligence Council“ der CIA (und einst CIA-Chef in Kabul), erinnert ein wenig an die Figur des Saul Berenson in der US-Serie „Homeland“. Auch Saul Berenson könnte nach der Pensionierung als Geschichts-Professor weiterwirken und kluge Bücher über den Islam verfassen – wie Fuller im richtigen Leben (The Future of Political Islam, A World Without Islam).

Jüngst forderte der Nahostkenner Fuller nicht weniger als eine „politische Kehrtwende“ in der westlichen Syrien-Politik. In der deutschen Übersetzung des ipg-journals liest sich das so:

„Es übersteigt die Fähigkeiten der Geheimdienste der USA wie auch aller anderen westlichen Staaten, sich einen umfassenden strategischen und taktischen Überblick zu verschaffen und das nötige intuitive Gefühl zu entwickeln, um den Konflikt in die von uns gewünschten Bahnen zu lenken. Die Auseinandersetzungen sind durchzogen von stark miteinander verwobenen ideologischen, persönlichen, regionalen, religiösen, taktischen und ethnischen Differenzen, die sich der Kontrolle durch Außenstehende völlig entziehen. So wurde Washington auf die groben Instrumente der Bombardierung und der Unterstützung von Angriffen der einen Dschihadisten auf die anderen zurückgeworfen. Den Punktestand dieses Spiels kennt niemand. Und es wird alles noch schlimmer.“

Fuller beginnt also beherzt mit einer Bankrotterklärung der Geheimdienste: Diejenigen, die etwas wissen müssten (weil sie einen Haufen Geld dafür bekommen), wissen gar nichts. Fuller analysiert weiter:

„Assad wird in absehbarer Zukunft nicht fallen. Er ist alles andere als ein idealer Herrscher, doch er denkt rational, führt seit langem einen funktionierenden Staat und hat in Syrien die Unterstützung vieler, die sich zu Recht vor den möglichen neuen Machthabern oder der Anarchie fürchten, die nach seinem Sturz in Syrien herrschen könnten. Ungeachtet des neokonservativen Geschwafels stellt Assad keine echte Bedrohung im Nahen Osten dar. Es ist höchste Zeit: Die USA müssen in den sauren Apfel beißen, das eigene Scheitern einräumen und Assad erlauben – oder ihm dabei helfen –, den Bürgerkrieg in Syrien rasch zu beenden und die Dschihadisten zu vertreiben.“

Wie bitte? Der Westen soll Assads Machtposition sogar festigen? Ja, sagt Fuller, denn die gegenwärtige Nahostpolitik sei schizophren:

„Grob gesagt kämpfen wir in Syrien gemeinsam mit al-Qaida und im Irak gegen al-Qaida.“

Das könne auf keinen Fall gut gehen. Möglichen Einwänden (etwa von Seiten der Grünen) begegnet Fuller mit einem Geständnis:

„Es wäre schön, Syrien die Demokratie zu bringen, aber wir wissen doch nun wirklich aus Erfahrung, dass der gewaltsame Sturz von Diktatoren – zumal, wenn die Gewalt von außen kommt – selten im Frieden und einer spürbar besseren Staatsführung mündet. Ohnehin waren die USA von jeher mehr von ihrem Eifer getrieben, einen Verbündeten des Iran zu zerstören, als von Visionen einer Demokratie in Syrien.“

Das Argument, dass der Sturz eines Diktators nichts bringe, stimmt zwar nicht prinzipiell (siehe Deutschland 1945-1949), aber im Falle des Nahen Ostens scheint es für die letzten fünf Jahre zuzutreffen (siehe Libyen, Ägypten usw.). Fullers Einschätzung macht aber vor allem deutlich, dass für die realpolitische Schule der US-Außenpolitik (Henry Kissinger etc.) immer das als moralisch richtig erscheint, was gerade nützlich ist. So funktioniert der amerikanische Pragmatismus (bzw. Utilitarismus). Wichtiger als ein Sturz Assads sei die Bekämpfung des IS. Dafür werden sogar Giftgasvorwürfe zurückgestellt.

Die Volten der Realpolitik und die Vergesslichkeit der Leser

Auch gegenüber Wladimir Putin könnte sich die US-Außenpolitik schnell wieder ändern. In dem Moment, in dem es nützliche Gemeinsamkeiten im Kampf gegen den Terrorismus gibt (etwa die Zusammenarbeit der Geheimdienste), fallen andere Erwägungen erst mal unter den Tisch. Diktatur ist für einen Realpolitiker immer dann okay, wenn sie unmittelbar nützlich ist. Falsch ist sie, wenn sie den aktuellen Interessen zuwider läuft. Deutsche Leitartikler haben es schwer, diese Volten der Realpolitik mitzumachen, ohne dabei das eigene Gesicht zu verlieren. Also setzen sie auf die Vergesslichkeit der Leser.

„Doch halt“, schreibt Graham E. Fuller am Ende seines Aufsatzes und treibt damit die Provokation der westlichen Moralwächter auf die Spitze: Würden von einer westlichen Kehrtwende gegenüber dem Assad-Regime nicht vor allem Russland und der Iran profitieren? Würde eine Kehrtwende nicht zuallererst den Schurkenstaaten nützen? Auch darauf weiß Fuller, wie es sich für einen realpolitischen Zyniker gehört, eine freimütige Antwort. Sie lautet: Na und!

„Sollen wir stattdessen für eine nutzlose Militärkampagne zum Sturz Assads weiter und weiter draufzahlen? Sollen wir weiter Bombenangriffe fliegen und Ausschau halten nach der am wenigsten schlimmen Dschihadistengruppe, die unseren hohen Ansprüchen genügt, die also sowohl den Islamischen Staat als auch Assad hasst – und uns liebt?“

Eine Antwort auf diese Fragen dürfte – nach 30 Jahren westlicher Politik in und mit Afghanistan – schwer fallen. Deshalb sollten die deutschen Politiker erst nachdenken, bevor sie sich mal wieder ziel- und planlos engagieren.

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