Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Wie das „Kuratieren“ den Journalismus verändert

2. Februar 2015, 15:15

Immer häufiger wird in der Medienbranche vom „Kuratieren“ gesprochen. Ist die Verwendung dieses Wortes nur eine Modeerscheinung oder steckt mehr dahinter?

Das Verb „kuratieren“ wurde früher vor allem für eine ganz bestimmte Tätigkeit verwendet, nämlich: „eine Ausstellung organisieren“. Die Kuratorin bzw. der Kurator kümmerte sich um die Auswahl und die Platzierung der künstlerischen Werke und das nötige Drumherum.

Als dann zunehmend Leute ins „Medienbusiness“ drängten, die keine Journalisten waren, sondern im weitesten Sinne „Kreative“, machte sich das „Kuratieren von Inhalten“ auch im Journalismus breit, denn das Netz bot die Möglichkeit, eigene und fremde Inhalte auch außerhalb der traditionellen (Presse-)Verlage anzubieten oder auf diese Inhalte hinzuweisen. Ralf Schlüter schrieb 2013 im Kunstmagazin art: 

„Seit die Teilnehmer von sozialen Netzwerken ihre Informationen nicht mehr zusammenstellen, sondern „kuratieren“, ist der Kunstszene ein zentraler Begriff abhanden gekommen.“

Kuratieren klingt besser als Gatekeeping

Aber was bedeutet das für den Journalismus? Was verändert sich, wenn nun auch Texte ständig „kuratiert“ werden? Wieso reicht das Wort „Redaktionsarbeit“ für solche Tätigkeiten nicht aus? Auswählen, sortieren, aufbereiten, informieren – das ist ja nichts anderes als Redaktionsarbeit. Ist die Umbenennung also rein kosmetisch? Soll „Kuratieren“ nur werthaltiger, gebildeter und relevanter klingen als „Arbeit“? Oder hat sich da ein zusätzlicher Markt gebildet, einer, der dem Journalismus nachgelagert ist und diesen im Kern nicht beeinflusst?

Zugegeben, das Wort Kuratieren sieht auf den ersten Blick wie eine kosmetische Aufhübschung aus. Journalismus wird „kuratiert“, seit jüngere Verlagsmanager, die nicht aus dem ‚reinen‘ Journalismus, sondern aus der Content-Verarbeitung kommen, den Veredelungscharakter des Wortes „kuratieren“ schätzen gelernt haben. Das Verb Kuratieren überdeckt den gravierenden Bedeutungsverlust des Schreibens und lädt das, was kompetente Presseausschnitt-Dienste, Empfehlungslisten, Aggregatoren und ähnliche Serviceagenturen leisten, mit neuer, schöpferischer Bedeutung auf. Wegen der lateinischen Wurzel des Verbs („curare“) dürfen Kuratoren ihre Tätigkeit sogar als Pflege und Sorge verstehen, und müssen sich nicht mehr, wie in den Anfangszeiten des Internets üblich, als böse Gatekeeper beschimpfen lassen. Der medizinisch angehauchte Terminus vermittelt ihnen eine Aura von Menschenfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Wie die Hebamme dem Kind, so hilft der Kurator dem journalistischen Werk uneigennützig ans Licht.

Es ist auch richtig, dass der häufige Gebrauch des Wortes „kuratieren“ auf das Entstehen eines zusätzlichen Markts verweist. Das, was Journalisten recherchieren und schreiben, wird durch immer mehr Kuratoren gesammelt, gesichtet, sortiert und intelligent verteilt. Experten, die auf bestimmten Gebieten besonders kompetent sind, teilen ihren Kunden mit, was diese lesen sollen. Die Filter- und Orientierungsfunktion in einer mit Nachrichten überfluteten Welt wird allgemein als wichtige Aufgabe erachtet, die neue Berufsfelder erzeugt oder ältere mit klangvolleren Namen versieht.

Doch kosmetische Aufhübschung und Zusatzmärkte erklären die Veränderungen nur oberflächlich. Im Gebrauch des Wortes Kuratieren steckt noch viel mehr: Die Organisations-Strukturen, in denen sich der Journalismus bewegt, werden durch das Kuratieren verändert, und diese Veränderungen wirken ihrerseits auf den Journalismus zurück. Im Zeitalter des Kuratierens steht nämlich nicht mehr der Redakteur im Zentrum des Journalismus, sondern der – zwischen Redaktion und Verlag verortete – Herausgeber.

Die Entmachtung der Redaktionen

Die Position des Herausgebers führte im Journalismus (Ausnahme: FAZ) lange ein Schattendasein und war für die tägliche Arbeit ungefähr so wichtig wie das Amt des Bundespräsidenten für die Regierungspolitik. Die Herausgeber – es handelte sich häufig um Autoritäten, die nicht direkt aus dem Journalismus kamen – wachten, ähnlich einem Aufsichtsrat, über das große Ganze, mischten sich ansonsten aber nicht in den laufenden Betrieb ein. Erst durch die Herausbildung von „Portalen“ und „Plattformen“ im Netz bekam das Amt des Herausgebers eine neue Bedeutung – und dies dürfte mit dem Aufstieg des Wortes „Kuratieren“ zu tun haben.

Internet-Plattformen sind große Spielwiesen für die unterschiedlichsten Talente. Diese Talente (die Autoren) müssen sich frei bewegen können, um ein lebendiges Forum zu schaffen. Es wäre kontraproduktiv, sie auf eine gemeinsame Linie oder Idee zu verpflichten, wie das in Redaktionen (per Chefredakteur) üblich ist. Plattform-Autoren benötigen zwar eine Aufsicht, aber eben keine sichtbaren Vorturner. Die Mechanismen der Steuerung erfolgen auf viel subtilere Weise, durch winzige Änderungen im Code oder in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Ein Aufsichtsrat bzw. ein Herausgebergremium als Kontrollinstanz genügt. Durch nachgelagertes Kuratieren können Beiträge, die dem Haus besonders wichtig sind, gepusht werden, während man jene, die nicht gefallen, erst gar nicht kuratiert. Die Vorteile dieser Steuerungsform durch außer-redaktionelle Instanzen hat inzwischen auch das Verlagsmanagement erkannt.

Die Kehrseite der Entwicklung besteht in der Entmachtung der Redaktionen. Sie werden nicht nur personell ausgedünnt, sie werden zunehmend auf Dienstleistungs- und Putzarbeiten an den Inhalten beschränkt, während die konzeptionellen Entscheidungen (eben das Kuratieren) von journalismus-ferneren Funktionsträgern, etwa von Verlagsgeschäftsführern oder Herausgebern getroffen werden. Man muss sich nur die Impressen vieler Medien anschauen. Während die Indianer (also die Redakteure) immer weniger werden, nimmt die Zahl der Häuptlinge (der geschäftsführenden Chefs) dramatisch zu. Manche Redaktionen bestehen nur noch aus einer Person, während sich darüber eine Unzahl von überflüssigen Titel-Inhabern türmt.

Plattformen und Refeudalisierung

Das Organisationsprinzip der Plattform löst das althergebrachte Redaktionsprinzip auf, indem es unter dem emanzipatorischen Leitspruch „Freiheit für die Künstler“ auf das unmittelbare Bündnis zwischen Autor und Herausgeber (Kurator, Geschäftsführer etc.) setzt – unter bewusster Umgehung der lästigen und teilweise überflüssig gewordenen Redaktion. Das so genannte Morning-Briefing, das manche Verlagsgeschäftsführer inzwischen mit Leidenschaft betreiben, ist ein Symptom dieser Machtverschiebung. Noch bevor die Redakteure in ihren Redaktionen eintreffen, hat der Verlagsmanager schon gepostet (also kuratiert), was heute gelesen werden sollte, was wichtig wird, was Furore machen könnte. Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatts, hat dies als einer der ersten begriffen.

Die Verlagsmanager, Herausgeber und Geschäftsführer imitieren auf diese Weise, was per Twitter und Facebook längst geschieht, und was die taz jüngst zu dem Eingeständnis veranlasste, dass nicht mehr die taz-Chefredaktion bestimmt, was heute wichtig ist, sondern die Community der Whats-App-, storify-, Twitter– und Facebook-Nutzer, die durch Empfehlung und Kritik die Inhalte der taz „kuratieren“. Die redaktionelle Bedeutung der Aufmacher-Seiten in den Netz- und Printmedien geht deshalb überall zurück.

Begünstigt wird der Entmachtungs-Prozess der Redaktionen noch durch die phlegmatische Haltung der Redaktionen selbst, die ihre ureigensten Aufgaben nicht mehr erfüllen und die aktive Autorenpflege bzw. das Auswählen und Ausprobieren neuer Autoren vernachlässigen. Zug um Zug lassen sich die Redaktionen Entscheidungs-Kompetenzen abnehmen, bis ihnen am Ende der Status einer besseren (Text-)Putzkraft bleibt oder sie – im besten Falle – in festangestellte Autorenpools umgewandelt werden.

Der neu entstehende Bund zwischen Kuratoren und Autoren (unter Ausschaltung des Mittelbaus Redaktion) sorgt zunächst für einen überaus positiven Effekt: Er führt zu einer Auflockerung der Inhalte, zu mutigen Experimenten, steilen Autorenkarrieren und einer überfälligen Kaltstellung bremsender Redaktionsbeamter. Allerdings führt er auch zu einer die Leser verwirrenden Konzeptionslosigkeit und einer redaktionellen Verwaschenheit, die Autoren-Plattformen und ihre entkernten Redaktionen oft so beliebig, gesichtslos und überfordert erscheinen lassen (ein Problem, das möglicherweise auch die Krautreporter haben).

Das Kuratieren von Texten mag also kurzfristig frischen Wind in die Redaktionsstuben pusten und eine vorübergehende Aufwertung freier Autoren zur Folge haben. Unter dem Deckmantel des Kuratierens findet aber zugleich eine Re-Feudalisierung hierarchischer Strukturen statt, die am Ende dazu führen könnte, dass weder Autoren noch Redaktionen viel zu sagen haben, weil sie den „Konzeptjournalismus“ umsetzen müssen, den herausgebende oder geschäftsführende Kuratoren am grünen Tisch für sie entwickeln.

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7 Kommentare

  1. Joah, nur weiter so. Je schneller sich die Reste des selbsternannten Qualitätsjournalismus in den Orkus der Irrelevanz spülen, desto besser für uns alle.

  2. So neu ist „Kuratieren“ eigentlich nicht im Journalismus: Jede Nachrichtenredaktion macht das, wenn sie aus einer Vielzahl von Agenturen und Nachrichten das auswählt, was das Beste für die Leser sein soll. Neu ist für mich eher, dass das Kuratieren online jedenfalls oft automatisiert erfolgt – und dass die Urheber meist keinen Cent dafür sehen. Während Nachrichtenredaktionen natürlich für dpa, Reuters und Co. zahlen müssen, weigern sich Google News und andere, die Nutzung zu vergüten. Die steilste Autorenkarriere nutzt leider nichts, wenn die Einnahmen fehlen. Das ist wie mit dem Kunstmaler: Allein vom Ruhm kann er nicht leben, er muss ab und zu auch ein Bild verkaufen.

  3. @Andreas Kunze: Neu ist, dass in den Verlagen nicht nur Redaktionen „kuratieren“. Aus Reuters und dpa wählt die Redaktion aus, beim Morning-Briefing oder sonstiger Aggregation übernehmen das andere.

  4. Kurz folgende Anmerkungen:
    1. Ich glaube die breitere Verwendung von kuratieren hat auch viel mit der Rückübersetzung von curate zu tun, das auch schon vor der content curation schon breiter als im deutschen eingesetzt wurde
    2. Wenn man als Nicht-Redakteur/ Nicht- Redaktion Inhalte auswählt / filtert / zusammenstellt, dann braucht man dafür ein Wort. Wenn man das ganze aus Respekt vor den darüber hinausgehenden Tätigkeiten einer Redaktion nicht Redaktion nennen wollte resp. sich von einer Redaktion sich nicht Anmaßung vorwerfen lassen wollte, landete man fast zwangsläufig beim curate und damit beim kuratieren

  5. Das Problem ist ja nicht das Auswählen und Zusammenstellen von Inhalten – sondern der mittlerweile dogmatische Glaube vielerorts, dass sich qualitativ hochwertige Inhalte beliebig „absaugen“ und nach Algorythmen und Schlagwörtern kosteneffizient aufbereiten und anbieten lassen. Dabei verkommt nicht nur das journalistische Handwerk für den Einzelnen zur brotlosen Kunst. Vielmehr entwertet sich der Journalismus insgesamt, und das geht nicht nur zulasten der Schreiberlinge, sondern auch der „Konsumenten“. Denn je weniger ertragreich gründliche Recherchen und Schreiben werden, desto dünner wird die Auswahl guter Inhalte. Das ist nicht allein die Schuld des Kuratierens, aber es verstärkt rein ökonomisch motivierte Tendenzen – Kuratieren ist effizienter als selbst schreiben (lassen) – in den Etagen der Macher und Entscheider.

  6. Ich verstehe das „Kuratieren“ nicht so sehr nur als Zusammenstellung der Inhalte. Es geht im Grunde darum, ein unique Band zu schaffen. Das geht einher mit den Interessen der Leser/Zuschauer. Die Auswahl der Medien, die konsumiert werden, orientiert sich nicht nur an den Inhalten, sondern auch an Image, Design, Wahrnehmung des Mediums. Es wird als Produkt verstanden, das zum eigenen kuratierten Leben passen muss. Zeit-Online hat dies mal thematisiert:
    http://www.zeit.de/zeit-magazin/2014/39/design-stil-geschmack

  7. „Kuratieren“ ist so eine Mißbildung wie in der Musik zB das Dirigat. Jedem Lateiner sträubt sich das Haar. Verbbildung zum „Kurator“, der ein Buch einrichtet oder betreut. Redigieren ist für die Arbeit einer Redaktion das richtige Wort. Aber es muß ja immer alles gebildet und etwas fremdsprachlich wirken. Wirkt aber nur umso ungebildeter. Was soll’s, das Sprachgefühl ist sowieso ins Schleudern geraten, wo alles anglisierend „blogt“ und jeder sich an unverständliche englische Abkürzungen wie TTIP-Abkommen gewöhnen soll

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