Die Enthüllungsplattform WikiLeaks ist zurück. Doch die investigative Presse reagiert pikiert und will die konkurrierende Plattform ins Abseits reden.
Es ist noch gar nicht so lange her, da schmückten sich bekannte Medienmarken mit den Enthüllungen von WikiLeaks als wären es hawaiianische Blumenkränze, und das investigative Personal balgte sich darum, wer als erster mit Julian Assange aufs Foto darf.
Und heute?
Mit eifersüchtiger Beißwut reagieren die Leitmedien, wenn WikiLeaks mal wieder beweist, dass es nicht so tot ist, wie behauptet wird. Dann wird der einstige Shooting-Star der Medienszene als „Lächerleaks“ verspottet (Die Zeit) und „die sogenannte Enthüllungsplattform“ (FAZ) zum privaten Spielzeug eines manischen Narzissten heruntergeredet. Die erfolgreiche Dekonstruktion des WikiLeaks-Gründers Julian Assange scheint das Wegbeißen der Konkurrenz inzwischen leichter zu machen. Denn im Netz ist mit Solidarität kaum noch zu rechnen. Das Gift der Vorverurteilung wirkt.
Der Kalte Krieg der Enthüller
Die Leitmedien konnten also in die Vollen gehen, als WikiLeaks im April dieses Jahres die gehackten Mails des Unterhaltungskonzerns Sony ins Netz stellte, um die Lobby-Strategien der Firma zu dokumentieren. Zeit, FAZ und SZ schäumten unisono über diese niederträchtige Enthüllungstat: Die Zeit nannte sie „unredlich“ und „unverantwortlich“, die Süddeutsche unkte, WikiLeaks schaffe sich mit der Veröffentlichung von Hollywood-Klatschgeschichten selbst ab und die FAZ vermutete, Julian Assange spiele mal wieder narzisstische Spielchen, um sich und seine sinkende Plattform im Gespräch zu halten.
Der Hauptvorwurf der Presse (wenn man die Häme einmal großzügig abzieht) richtet sich – erneut – gegen das ungefilterte Veröffentlichen von gehacktem Material:
„Wikileaks filtert nicht (zumindest nicht nachvollziehbar), macht keine Unterschiede und damit denjenigen, die sich bei Enthüllungen genau überlegen, was an die Öffentlichkeit gehört und was nicht, das Leben schwer. Durch dieses Vorgehen hat Julian Assange seine früheren Verbündeten in den Medien nach und nach allesamt verloren.“ (FAZ)
„Nun ist WikiLeaks seiner üblichen Arbeitsweise treu geblieben und hat alle Dokumente ohne Schwärzungen und Kürzungen veröffentlicht. Die Plattformbetreiber haben immer argumentiert, dass wahrhaft transparenter Journalismus nicht darauf beruhen kann, dass einige wenige Journalisten Zugang zu allen Dokumenten haben und nur jenen Teil davon veröffentlichen, der ihnen nutzt. Im Fall SPE gefährdet die Veröffentlichung wohl auch keine Menschenleben, wie es WikiLeaks einst vorgeworfen wurde, nachdem Tausende unredigierte diplomatische Depeschen ins Netz gelangt waren. Dennoch dürfen SPE-Mitarbeiter und ihre Kontakte nicht dafür bestraft werden, dass das Unternehmen gehackt wurde. Ihre Kontaktdaten und Privatgespräche gehen die Öffentlichkeit schlicht nichts an.“ (Die Zeit)
„Im Rückblick waren der Sony Hack und die internationalen Spannungen rund um „The Interview“ eine Farce. Die Aufmerksamkeit für die nun präsentierten Dokumente ist zwar groß. Ihr aufklärerischer Wert ist aber eher dürftig. Wikileaks begibt sich damit auf ein Gebiet, das von Klatschwebseiten wie TMZ und Gawker dominiert wird. Damit tut Wikileaks einen weiteren Schritt in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit.“ (SZ)
Aber stimmt es wirklich, dass sich WikiLeaks mit der Sony-Veröffentlichung in den „Abgrund der Bedeutungslosigkeit“ stürzt? Oder handelt es sich hier um einen verdeckten Konkurrenzkonflikt? Um einen Kalten Krieg der Enthüller, den die Leitpresse mit der wieder auferstandenen Enthüllungsplattform austrägt? Zumindest in der Zeit wird das angedeutet:
„WikiLeaks erscheint nun mehr denn je als Plattform, die sich um jeden Preis im Gespräch halten will. Mehr oder weniger verständlich, wenn man bedenkt, dass viele der vergangenen großen Leaks über andere Kanäle liefen: die Snowden-Dokumente über Glenn Greenwald und Laura Poitras (auch wenn alle Beteiligten sagen, dass WikiLeaks eine wichtige Rolle dabei gespielt hat), die Offshore-Leaks und die Swiss-Leaks über das Journalisten-Netzwerk ICIJ. Einzelne Medienhäuser und Journalisten haben sich zudem sichere elektronische Briefkästen eingerichtet, damit Informanten ihnen Unterlagen zusenden können. Das garantiert zwar keine vollständige Veröffentlichung, wie sie auf WikiLeaks üblich ist, stellt aber trotzdem eine neue Konkurrenz dar.“
WikiLeaks will sich also um jeden Preis im Gespräch halten, die Presse dagegen handelt von jeher als uneigennütziger Aufklärer: So einseitig kann man den Konflikt zweifellos darstellen.
Die vierte Gewalt sieht nicht besonders gut aus
Aus der Sicht der Enthüllungs-Plattform WikiLeaks sieht die Sache freilich etwas anders aus. WikiLeaks will nicht nur aufklären, sondern Veränderung auslösen. Und in diesem Punkt müsste die Presse wohl eingestehen, dass ihre großen („wikileaksfreien“) Leaks trotz oder gerade wegen der journalistischen Filterung der Dokumente so gut wie nichts bewirkt haben. Die Übergabe der Dokumente an professionelle Journalisten großer Zeitungen sorgt zwar stets für enormen Medienrummel, führt aber weder im Fall Edward Snowden noch in den Fällen Offshore- oder Swiss-Leaks zu einschneidenden politischen Veränderungen. In dieser Hinsicht sieht die Erfolgsstatistik der „vierten Gewalt“ nicht besonders gut aus.
WikiLeaks hält es für das Kardinalproblem der investigativen Presse, dass einige auserwählte Journalisten im Verbund mit der jeweiligen Verlagshierarchie darüber entscheiden, was die Öffentlichkeit über einen Geheimnisverrat wissen darf und was nicht, ja dass die jeweiligen Redaktions- und Verlagsinteressen eigenmächtig darüber bestimmen, in wie vielen Portionen die Öffentlichkeit wie stark gefiltert und zu welchem Zeitpunkt brisante Zeitdokumente kennenlernen darf. Die scheibchenweise Veröffentlichung der Snowden-Dokumente erstreckt sich mittlerweile über zwei Jahre – zwei Jahre, die auch die betroffenen Geheimdienste für die Schadensbegrenzung nutzen konnten. Bei manchen Steuer-Leaks lagen acht Jahre zwischen dem Abgreifen der Bank-Daten und den Presse-Veröffentlichungen. Es ist auch ein Ärgernis, dass die Medien ihre mittlerweile etablierte, zum Teil sogar institutionalisierte Enthüllungs-Konkurrenz (ICIJ, NDR-WDR-SZ) jeder kritischen Diskussion entziehen, dass sie Proteste gegen ihre Veröffentlichungs-Praxis geflissentlich überhören und stattdessen versuchen, die Konkurrenz in den eigenen Medien niederzumachen – natürlich immer mit dem Argument der großen journalistischen Verantwortung und der professionellen Aufbereitung.
Wie einseitig und missgünstig die Medien inzwischen gegenüber WikiLeaks auftreten, zeigt sich z.B. an der dramatisch veränderten Haltung zu vergleichbaren Enthüllungen. Als WikiLeaks in seiner Frühzeit den internen Schriftverkehr der Schweizer Privatbank Julius Bär enthüllte, bewunderten die Medien die mutige Tat der neuen Enthüllungsplattform (CBS: „Freedom of Speech has a Number – WikiLeaks“) – sieben Jahre später werden die gleichen Methoden verächtlich gemacht.
Aber nicht nur die Sony-Veröffentlichung, auch die Publikation der Protokolle des deutschen NSA-Untersuchungsausschusses durch WikiLeaks wird plötzlich sehr kritisch gesehen. Die Sitzungen des Ausschusses seien doch öffentlich gewesen, wozu brauche es da noch eine extra „Enthüllung“? Das provoziert natürlich die Gegenfrage: Warum hat keine führende deutsche Zeitung die Protokolle selbst veröffentlicht? Das Thema ist ihnen doch angeblich sehr wichtig. Ähnliches könnte man über die Publizierung der Geheimprotokolle des geplanten trans-pazifischen Freihandelsabkommens (TTP) sagen oder über die WikiLeaks-Veröffentlichungen zum heimlichen Verkauf deutscher Staatstrojaner-Spähsoftware an autoritäre Regime.
Das alles wurde von der deutschen Presse – wenn überhaupt – bei WikiLeaks abgeschrieben. Denn die ursprüngliche Zusammenarbeit der Plattform mit den „exklusiven Medien-Partnern“ endete 2011. Über die Gründe des Zerwürfnisses hört man immer nur die eine Seite, die andere wird totgeschwiegen oder lächerlich gemacht. Dabei gibt es auf Seiten von WikiLeaks durchaus gute Gründe.
Ein Verdrängungswettbewerb ungleicher Konkurrenten
Im Unterschied zur investigativen Presse betreibt WikiLeaks keine Pseudo-Enthüllungen. Bei WikiLeaks werden Ross und Reiter genannt. Diese rücksichtslose Praxis des Anprangerns kann man aus ethischen und journalistischen Gründen ablehnen, doch dann sollte man auch so konsequent sein und selbst auf halbgare Enthüllungsgeschichten verzichten anstatt sie gefiltert und aufgeschäumt als grandiose Presse-Scoops anzupreisen oder Daten-Reste aus dritter Hand zu journalistischen Sensationen aufzublasen.
Die pressetypische Umsetzung von Leaks gleicht heute in ihrer seriellen Herstellung in verblüffender Weise der Zurückhaltung staatlicher Behörden gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen: Immer wenn es konkret wird, sind die Dokumente ‚geschwärzt’. So heißt es in der groß aufgemachten „Swiss Leaks“-Story der SZ über Steuerhinterzieher aus dem Hochadel, dem Sportbusiness und dem Rotlichtmilieu: „Die Süddeutsche Zeitung wird deren Namen nicht nennen“. Man möchte zwar den Pelz waschen, aber er soll nicht nass werden. Also wird das geleakte Material pressetypisch entschärft. Das entspricht dem Berufskodex, aber es nimmt den Enthüllungen auch die Spitze. Hier klar zu unterscheiden, was sorgfältige Absicherung und was ängstlicher Opportunismus ist, dürfte nicht leicht sein. Man lese etwa Glenn Greenwalds aufschlussreiches Kapitel über „Die vierte Gewalt“ in seinem Buch „Die globale Überwachung“. Weder für die New York Times noch für Politico ist Greenwalds Bericht aus dem Nähkästchen besonders schmeichelhaft.
Natürlich unterscheiden sich die Begründungen für das Vorfiltern und Entschärfen geleakter Informationen in einem wesentlichen Punkt: Während bei den staatlichen Behörden das „Staatswohl“ die Filterung der Informationen rechtfertigt, ist es bei Medien meist die Privatsphäre, also das persönliche Wohl der Betroffenen. Dieses Wohl kann man weit oder eng auslegen, je nachdem, wie der Zeitgeist und die Gerichte das überragende Interesse der Öffentlichkeit gerade definieren. Die Enthüllungs-Plattform WikiLeaks hat sich entschlossen, hier nicht zu differenzieren und immer ein überragendes Interesse der Öffentlichkeit vorauszusetzen. Sie erkennt deshalb die Selbstbegrenzung der Berichterstattung nicht an. Rein wettbewerbsmäßig ist WikiLeaks dadurch gegenüber Presse-Enthüllern im Vorteil. Aber die Enthüllungs-Plattform zahlt dafür einen hohen Preis, denn sie steht immer mit einem Bein im Gefängnis.
In der Selbstbegrenzung der Medien liegt auch ein Grund, warum sie durch ihre Leaks so wenig bewirken. Sie kratzen bestenfalls am Lack. Während die Betreiber von WikiLeaks bekämpft werden (ein starkes Indiz für ihre Wirkung), wollen die Medien im Grunde keinen Ärger mit den Eliten. Sie gehören heute, wie Glenn Greenwald schreibt, dazu:
„Früher galten echte Journalisten als die Außenseiter schlechthin. Viele, die diesen Beruf ergriffen, wollten sich eher den Mächtigen widersetzen als ihnen dienen, und nicht nur auf theoretischer Ebene, sondern auch mit ihrer ganzen Person. Die Wahl des Journalistenberufs war praktisch eine Garantie dafür, das Dasein eines Außenseiters zu führen: Reporter verdienten wenig, hatten kein hohes gesellschaftliches Ansehen und galten meist als zwielichtig.
Das ist heute ganz anders. Mit dem Aufkauf von Medienunternehmen durch die größten Konzerne der Welt wurden die meisten Medienstars zu hochbezahlten Angestellten, die sich nicht von anderen Mitarbeitern gleichen Ranges unterscheiden. Sie offerieren der Öffentlichkeit Medienerzeugnisse im Namen ihres Unternehmens, als handelte es sich um Bankdienstleistungen oder Finanzprodukte. Ihre berufliche Laufbahn wird von den Parametern bestimmt, die nun einmal in einem solchen Umfeld zum Erfolg führen, also davon, inwiefern sie die Konzernchefs zufriedenstellen und den Interessen des Unternehmens dienen.“
(Glenn Greenwald, Die globale Überwachung, S.330)
Wir haben es daher – jenseits der ethischen Dimension, die man auf Kongressen gern diskutiert – mit einem knallharten Verdrängungswettbewerb zu tun: hier die Enthüllungs-Medien, die exklusiven Geheimnisverrat brauchen, aber nicht alles tun dürfen und die Verhältnisse nicht grundlegend ändern wollen, dort die Enthüllungs-Plattform WikiLeaks, die sich nichts vorschreiben lässt und aufs Ganze geht, aber zur Strafe exkommuniziert wird. Die Kooperation zwischen beiden ist 2011 gescheitert. Sie musste scheitern, weil keine Seite ihre Position aufgeben konnte oder wollte.
ich habe in meinem neujahresrant 2013-14 diesen artikel in der „zeit“ als „kriegserklärung“ benannt
http://www.zeit.de/digital/internet/2013-12/30c3-keynote-glenn-greenwald
bei meinem diesjährigen habe ich darauf verzichtet, noch lang und breit darüber zu jammern, daß es immer jahre dauert, bis mal irgendjemand bemerkt, was die uhr geschlagen hat, alle sind so verliebt in ihr jeweiliges kleines spielzeug …
ir sind der frosch in dem topf unter dem das feuer langsam hochgedreht wird. alles noch soweit „im grünen bereich“, wird schon werden …
http://www.youtube.com/watch?v=d5oHT6ojvIs
.~.
Wenn jemand etwas über die Funktionsweise der Presse in Deutschland wissen will, muss er sich eines vor Augen führen:
„Im Fall SPE gefährdet die Veröffentlichung wohl auch keine Menschenleben, wie es WikiLeaks einst vorgeworfen wurde, nachdem Tausende unredigierte diplomatische Depeschen ins Netz gelangt waren.“
Die Depeschen wurden veröffentlicht, es sind Jahre vergangen – hat sich irgendein Medium die Mühe gemacht zu überprüfen, ob diese Veröffentlichung tatsächlich eine Gefahr für real existierende Personen war oder gar ob Menschen deshalb getötet wurden?
Es wäre ja nun ganz einfach zu überprüfen – entweder leben die Personen, oder sie leben nicht. Leben sie nicht, was ergaben die polizeilichen Ermittlungen bezüglich der Todesursache? Das ist nichts Anspruchsvolles, das ist reine Fleißarbeit.
Natürlich ist das keine wichtige Frage. Es ist keine wesentliche Frage. Was es ist: Ein Symbol für eine speichelleckerische Haltung der Journaille, einer Gleichrichtung aus freien Stücken mit unreflektiertem Nachplappern ganz im Sinne des Copy&Paste-Journalismus.
Insofern ist die Bezeichnung „vierte Gewalt“ tatsächlich sehr treffend für die Presse, denn die drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative sind staatlichen Gewalten, die einander nicht korrigieren, sondern ineinander greifen, zum Wohle des Staatsbetriebs. (Und nicht ganz zu Unrecht kann man die Frage, ob das Wohl des Staatsbetriebs identisch ist mit dem Wohl des Staates bzw. der Bürger nicht zwingend mit „Ja“ beantworten.) Die deutsche Presselandschaft fügt sich da nahtlos ein.