Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Sind die Autoren so reich, dass sie ihr Geld verschenken können?

5. September 2016, 16:05

Am kommenden Samstag treffen sich die Mitglieder der Verwertungsgesellschaft Wort im Münchner Hofbräukeller. Es geht um die Rückzahlung der Gelder, die laut Bundesgerichtshof zu Unrecht an die Verlage ausgeschüttet wurden. Die Führung der VG Wort möchte, dass die Autoren zugunsten der Verleger auf das Geld verzichten.

Rund 179.000 Autoren erhielten in diesem Jahr einen Scheck von der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort). Der durchschnittliche Betrag dürfte zwischen 500 und 1000 Euro gelegen haben, manche bekommen weniger, manche mehr. Die Höhe der Ausschüttungssumme hängt davon ab, wie viel die einzelnen Autoren in welcher Form wo publiziert haben.

Das Geld ist der Ausgleich für die so genannte Privatkopie, die im Urheberrecht in den Paragraphen 53 und 54 geregelt ist: Wer Texte „zum privaten Gebrauch“ kopiert, scannt, speichert oder ausdruckt, zahlt für diese Nutzungen einen winzigen Bruchteil an die Verwertungsgesellschaft Wort. Diese schüttet das Geld nach einem ausgetüftelten Verteilungsplan einmal im Jahr an die wahrnehmungsberechtigten Autoren und Verlage aus. Allerdings zahlen die Nutzer die Abgabe für die Privatkopie nicht direkt – sie ist bereits im Kaufpreis für Computer, Scanner, Kopierer, Drucker, Speichersticks, Smartphones, Tablets etc. enthalten. Vom Ladenpreis eines Smartphones gehen derzeit 6,25 Euro an die Verwertungsgesellschaften. 2015 machten solche Geräteabgaben rund 90 Prozent der Einnahmen der VG Wort aus.

Werfen die Autoren schon am Samstag ihr Geld weg?

1000 Euro sind für die meisten Autoren viel Geld. Ein 1000 Euro-Scheck entspricht – gemessen am Durchschnittseinkommen freier Autoren – einem 13. Monatsgehalt. Verlegerinnen wie Liz Mohn oder Friede Springer würden damit schwerlich auskommen. Aber für freie Autoren ist eine Steigerung ihrer Einnahmen aus Tantiemen – bei oft gleichzeitig sinkenden Honoraren – ein Segen.

Seit dem von Martin Vogel am 21. April 2016 erstrittenen Urteil des Bundesgerichtshofs haben Autoren Aussicht auf eine erhebliche Aufstockung ihres Existenzminimums. Der Wert des jährlichen VG Wort-Schecks könnte sich verdoppeln. Könnte! Denn eine Aufstockung erreichen die Autoren nur, wenn sie sich mehr für ihre eigenen Interessen interessieren. Momentan sind sie eher dabei, das Geld, das sie von der VG Wort bekommen könnten, den Verlagen zu schenken. Die VG Wort-Führung bereitet eine solche „Schenkung“ gerade vor. Wenn die 179.000 Autoren nicht aufpassen, ist das Geld, das ihnen laut Bundesgerichtshof (BGH) zusteht, am nächsten Samstag schon wieder weg.

Zwei sehr komplizierte Anträge

Der BGH hatte im April entschieden, dass die von der VG Wort an Autoren und Verlage ausgeschütteten Gelder allein den Autoren zustehen, denn nur Autoren bringen auch eigene Rechte in die Verwertungsgesellschaft ein. Verlage, die das Geld der Autoren in der Vergangenheit zu Unrecht erhalten haben, müssen es nun zurückzahlen, aber…. und jetzt kommt das große ABER dieser Geschichte… fast alle wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, dass die Autoren das ihnen zustehende Geld schnell bekommen (sie verhalten sich also ähnlich wie das hoch verschuldete Irland, das Steuernachzahlungen von Apple großzügig ablehnt).

Die VG Wort-Funktionäre haben extra zwei hochkomplizierte Anträge aufgesetzt, mit denen sie die Autoren am kommenden Samstag von einer schnellen und umfassenden Rückforderung des Geldes abhalten wollen. Auch die großen Koalitionen in Berlin und Brüssel arbeiten daran, die einschlägigen Urteile des BGH und des Europäischen Gerichtshofs durch hastig gestrickte Gesetze wieder auszuhebeln, und selbst die Gewerkschafts-Funktionäre, die doch eigentlich die Interessen der Autoren zu 100 Prozent vertreten müssten, wollen, dass ihre Mitglieder auf einen Teil ihres Einkommens zugunsten der Verleger verzichten. Sie hoffen, dass die Verleger den Autoren dafür beim Urhebervertragsrecht entgegenkommen. Verrückte Welt.

Blanko-Vollmachten zur Mehrheitssicherung

Seit Wochen wird nun gewerkschafts-intern dafür getrommelt, dass bei der entscheidenden Mitgliederversammlung der VG Wort am 10. September alles so unrecht bleibt wie es war: dass die Verleger weiterhin das Geld der Autoren einstreichen und möglichst alles verhindert oder verzögert wird, was den Autoren eine unmittelbare Verbesserung ihrer materiellen Situation bescheren könnte. Bundesweit werden Gewerkschaftsmitglieder auf so genannten Informationsveranstaltungen darüber „informiert“, was die Führung der VG Wort zum Thema zu sagen hat. In unverbindlichen Resolutionen wird zwar gelegentlich der Sorge Ausdruck verliehen, dass die von der VG Wort-Führung vorbereitete Schenkung an die Verlage (= Anspruchsabtretung) nicht ganz gewerkschaftskonform sei, aber konkrete Gegenanträge, die eine solche Schenkung verhindern würden, beschließt man lieber nicht. Man überlässt die Materie den hauseigenen Juristen. Wer als Gewerkschafter Mitglied der VG Wort ist und am 10. September nicht auf eigene Kosten nach München reisen kann, möge seine Stimme per Blanko-Vollmacht an die Bundesverwaltung der Gewerkschaft schicken. Die wird dann dafür sorgen, dass die Blanko-Vollmacht in die richtigen Hände kommt.

Welches Spiel spielen die Gewerkschaften?

Offenbar gibt es die berechtigte Sorge, dass in München einige Autoren tatsächlich aufstehen und ihre Interessen selbstständig vertreten könnten. Es wäre dann gewiss nicht leicht, solche Autoren davon zu überzeugen, dass ein 500-Euro-Scheck (verbunden mit der vagen Aussicht auf Verbesserungen im Urhebervertragsrecht) besser ist als ein 1000-Euro-Scheck. Man wird deshalb versuchen, diese „Störenfriede“ mit allen möglichen Geschäftsordnungsfinessen zu behindern, man wird die betonharte Satzung heranziehen, um jede Veränderung im Sinne der Autoren zu blockieren. Man wird den Autoren Horrorszenarien ausmalen, wenn sie – wider alle Vernunft – 1000 Euro auf ihrem Konto nützlicher finden als 500. Das sei egoistisch, kurzsichtig und gefährlich. Die Gerätehersteller, werden sie unken, würden ohne starke Verleger am Verhandlungstisch mit den schwachen Autoren Schlitten fahren. Und die Verlage würden ohne VG Wort-Gelder schon morgen zusammenbrechen, so wie die gesamte Wirtschaft nach der Einführung des Mindestlohns zusammengebrochen ist. Die Einrichtung eines Solidaritäts-Fonds der Verleger, mit dem die großen Verlage den kleinen unter die Arme greifen könnten (ohne dafür das Geld der Autoren anzutasten), werden die Verlagsvertreter zurückweisen und zur abwegigen Idee erklären.

Das alles wird in München erwartungsgemäß so oder so ähnlich ablaufen. Was mich aber nach 43 Jahren Mitgliedschaft in der Deutschen Journalisten-Union (dju) wirklich umtreibt, ist die Frage, warum die Autoren-Gewerkschaften dieses Spiel mitspielen. Was haben sie davon? Warum vertreten sie nicht die materiellen Interessen ihrer Mitglieder – in der VG Wort und beim Urhebervertragsrecht? Das wäre ihre Aufgabe. Dafür wurden sie gegründet. Und dafür zahlen Gewerkschaftsmitglieder Beiträge. Sie zahlen ihre Beiträge nicht dafür, dass man ihre Rechte zum Gegenstand eines Kuhhandels macht oder Entscheidungen, die zu ihren Lasten gehen, als sinnvoll und vertretbar verkauft.

Übliche Zahlungsfrist: 30 Tage

Die VG Wort-Führung will den Verlagen bei der Rückzahlung der zu Unrecht erhaltenen Gelder nicht nur extrem viel Zeit einräumen, sie will auch die reichen Presseverleger von einer Rückzahlung ausnehmen. Und sie will Musterformulare bereitstellen, mit denen Autoren auf die Rückzahlung des Geldes freiwillig verzichten können. Diese „Abtretungsformulare“ werden die Verleger ihren Autoren vorlegen, und ich möchte die Autoren sehen, die dann – auf sich allein gestellt – mutig vor ihren Verlegern bekennen: Sorry, ich bin jung, ich brauche das Geld.

Es gehört nicht zu den Aufgaben der VG Wort, den Autoren berechtigte Vergütungsansprüche auszureden oder Verzichtsformulare aufzusetzen. Ginge es mit rechten Dingen zu, wäre es die Aufgabe der VG Wort, Irrtümer der Vergangenheit anzuerkennen und das den Verlagen unter Vorbehalt überwiesene Geld im Rahmen der üblichen Zahlungsfristen zurückzufordern. Dieses Vorgehen wäre die VG Wort den 179.000 Autoren schuldig. Stattdessen schlägt sie sich auf die Seite der Verlage und tut alles, um die Rückzahlung an die Autoren so schwer und langwierig wie möglich zu gestalten. Die Rechtsaufsicht der VG Wort, das Deutsche Patentamt, schweigt dazu. Die Oppositionsparteien schweigen. Die Gewerkschaften taktieren. Und die Autoren? Sind sie wirklich so reich, dass sie ihr Geld einfach verschenken können?

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10 Kommentare

  1. DANKE für Ihren engagiertenText! Haben Sie einen konkreten Vorschlag, wie ich mein Stimmrecht am Samstag aus der Ferne wahrnehmen kann? Wem könnte ich eine Vollmacht senden? (Allein die Frage zeigt ja schon, was für Einzelkämpfer wir alle sind.) Besten Gruß aus Berlin, Annette Kilzer

  2. Jedes Mitglied der VG Wort kann maximal zwei Stimmen zusätzlich mitnehmen. Das setzt voraus, dass Sie jemanden kennen, der nach München fährt und dem bzw. der sie ihre Stimme anvertrauen wollen. Die VG Wort hat zwar 179.000 Wahrnehmungsberechtigte, aber nur rund 500 stimmberechtigte Mitglieder.

  3. Ja, warum betreiben die Gewerkschaftsvertreter diesen Irrsinn mit? Ich hatte mich ja schon in meinem Artikel „Nach der letzten Instanz“ in der Konkret vom vergangenen Juli dazu geäußert: http://www.konkret-magazin.de/hefte/id-2016/heft-72016/articles/nach-der-letzten-instanz.html

    Die Antwort von Herrn Schimmel, seines Zeichens langjähriger VS-Justiziar, sprach Bände (zusammen mit meiner Reaktion am Ende des oben verlinkten Artikels). Immer wieder gern weise ich auf den Text „Geliebte Apfelbäume“ von Ilja Braun hin, der etwas ausführlicher darstellt, wie diese seltsame Koalition der Gewerkschaften mit ihren nominellen Gegnern zustande gekommen ist: https://irights.info/wp-content/uploads/fileadmin/texte/material/VG_Wort-63a.pdf

    Das „Infopapier VG Wort“ vom 15.7.2016 aus den Vorständen weist leider genau in die Richtung, die Ihr Text, Herr Michal, hier aufzeigt. Es ist ein Elend.

    Viele Grüße,

    M. Hammerschmitt

  4. @Annette Kilzer, ich fahre nach München und könnte 2 Stimmübertragungen von anderen Mitgliedern mitnehmen.

  5. Hallo Wolfgang, Danke erst mal dafür, dass Du das Problem so zugespitzt auf den Punkt gebracht hast. Ich gehe am Samstag als freischreiber-Mitglied auf die MV. Gestern haben wir uns hier in München mit zwei VG-Wort-Verwaltungsratmitgliedern zusammen gesetzt (leider war ich neben der Münchner freischreiber-Organisatorin der einzige Autor, der zum Vorbereitungstreffen gekommen ist, unglaublich aber wahr). Das Thema ist komplizierter, als Du es in Deinem Beitrag darstellst. Wenn die Verleger überhaupt keine Ausschüttungen mehr bekommen ist die Gefahr groß, dass sie die VG Wort verlassen, eine eigene Verwertungsgesellschaft gründen und dann selbst mit der Geräteindustrie verhandeln. Dann schauen wir Autoren in die Röhre. Also müssen wir uns gut überlegen, ob die Verlage auf Dauer gar nichts mehr bekommen sollen. Die VG Wort ist in 6 Berufsgruppen organisiert, die jeweils getrennt über Anträge abstimmen. Damit ein Beschluss gefasst wird, braucht es die Mehrheit in JEDER Berufsgruppe. Enthaltungen zählen abstruserweise wie Nein-Stimmen. Vertreten sind auf der MV nur Belletristik- und Wissenschafts-Verlage, nicht die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage. Und bei den kleinen Buchverlagen sehen die Interessen nochmal anders aus, als bei Axel Springer, Burda und den anderen großen der Medienbranche. Nun geht es m.E. darum, die gute Position, die uns Autoren das BGH-Urteil vom April gibt, dazu zu nutzen, mit den Verlegern neue Regeln auszuhandeln. Sie sollten, finde ich, noch so viel Geld aus dem VG Wort-Topf bekommen, dass sie aus eigenem Interesse dabei bleiben, aber natürlich nicht mehr so viel, wie sie bisher bekommen haben. Das ist jetzt eine Frage geschickter Verhandlungen. Motto: Gebe ich Dir, gibst Du mir. Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Robert

  6. Danke für Ihre fundierte + engagierte Stellungnahme! Sehr informativ! Wie kann ich mein Stimmrecht am Samstag aus der Ferne wahrnehmen? Wem könnte man eine Vollmacht anvertrauen?
    Gruß aus Berlin-Adlershof
    HPH

    PS. Man merkt, dass das alles dem Herrn Bsirske & Kons. völlig wurscht ist…

  7. Lieber Robert, kann schon sein, dass man in München irgendeinen Deal macht (wenn man dazu gezwungen ist). Ich gebe nur zu bedenken, dass die Verleger seit vielen Jahren auf eine eigene Vergütungsart hinarbeiten, die die Autoren dann außen vor lässt. Der neue Entwurf einer EU-Richtlinie, der auch die Möglichkeit zu einem europaweiten Leistungsschutzrecht enthält (siehe Art.12 des geleakten Entwurfs bei netzpolitik.org), wird eine Beteiligung der Autoren an den Erlösen vermutlich nicht vorsehen. Denn dafür gibt es ein Paradebeispiel. Auch beim deutschen Leistungsschutzrecht hat man anfangs versucht, die Autoren durch das Versprechen zu ködern, dass sie die Hälfte der Erlöse bekommen. Und? Haben sie? Mir ist nichts bekannt. Der VG Media wahrscheinlich auch nicht. Warum also sollte man in der VG Wort dann einen Anteil an die Verlage abtreten? Ist es nicht traurig, dass sich die Autoren und ihre Gewerkschaften so klein und schwach fühlen, dass sie sich alleine keine eigene Vertretung zutrauen?

  8. @Lisa Graf-Riemann: Dürfte ich Ihnen meine Stimmübertragung auch noch mit nach München geben? Herzlichen Dank und Glückauf aus Berlin!

  9. Ich bin jung und brauche das Geld. – Vielen Dank für diesen Artikel!

  10. Sind die VERLAGE (alle) so reich, dass sie ihr Geld verschenken können?

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