Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Die Hofnarren des Medienbetriebs

5. März 2020, 15:33

Mit der Medienkritik steht es nicht zum Besten. Sie arbeitet sich an Nebensächlichkeiten ab und zweifelt an ihrer Bedeutung. Das müsste nicht sein.

Illustration: Jakob Michal, unter Verwendung eines Motivs von Jan Matejko.

Im Sommer 2019 gerieten die politischen Fernseh-Talkshows – wieder einmal – in die Kritik. Der Regierungspräsident von Kassel, Walter Lübcke, war am 2. Juni von einem Neonazi ermordet worden und Fernsehmoderator Frank Plasberg hatte nichts Eiligeres zu tun als den AfD-Abgeordneten Uwe Junge in seine Sendung einzuladen. Thema: „Wie gefährlich ist rechter Haß?“ 

Dann geschah, was geschehen musste. Alle Gäste der Talkshow redeten auf Junge ein, was diesem die Gelegenheit verschaffte, seine Meinung in aller Ausführlichkeit darzulegen. Die anschließende Auswertung per Stoppuhr zeigte: Plasberg hatte dem AfD-Mann bereitwillig die Bühne bereitet. 

Der Medienforscher Lutz Hachmeister sagte daraufhin im Deutschlandfunk: „Man müsste diesen Talkshow-Sumpf trockenlegen. Und das gelingt nur, indem man ihm insgesamt weniger Beachtung schenkt.“ Zwei Tage später legte der Medienkritiker Matthias Dell in der Hörfunksendung „Breitband“ nach und bekannte, dass die Medienkritik hier leider komplett versage: „Das ist ein Dilemma von Medienkritik… Indem man sich kritisch mit Gegenständen auseinandersetzt, billigt man ihnen natürlich Bedeutsamkeit zu. Da kommen wir (Medienkritiker) nicht raus.“

Die Folgen des Dilemmas sind bekannt: Obwohl die Kritiker die „Maul- und Plauderseuche“ der Polit-Talkshows seit 30 Jahren in Grund und Boden verdammen, wird das Format von den Programmverantwortlichen immer häufiger eingesetzt. Da können Kritiker noch so viele „saure Gurken“ und „goldene Kartoffeln“ verleihen, ihre Medienkritik erreicht nichts, ja sie macht alles noch schlimmer. Talkshows werden inzwischen rezensiert wie Theaterpremieren und in sozialen Medien durch Empörung ‚beworben’. Den Kritikern der Bildzeitung ergeht es nicht anders. 50 Jahre nach den Protesten gegen den Springer-Verlag und 15 Jahre nach Gründung des „Bildblogs“ macht Bild-Chef Julian Reichelt die Zeitung umso trotziger zum Revolverblatt.

Die Unempfindlichkeit der Medien gegenüber der Kritik ist auch der Grund, warum Medienjournalisten immer wieder in tiefe Resignation verfallen. 2015 klagte Stefan Niggemeier über das „folgenlose“ Schaulaufen seiner Zunft im medialen Hamsterrädchen: Da wäre „als Erstes das zwischen Müdigkeit und Verzweiflung schwankende Gefühl eines Medienkritikers, wie sinnlos sein Tun ist…, wie jeder Appell zur Zurückhaltung, zur Vorsicht, scheinbar wirkungslos verhallt… Hinzu kommt der Eindruck, selbst Teil eines Rituals zu sein: So wie zu jeder Katastrophe das Ausschlachten des Opferleids durch die Bildzeitung gehört, so gehört auch die Empörung darüber durch Medienkritiker dazu. Man ist Teil des ganzen Erregungs- und Empörungszyklus, spielt seine Rolle, berechenbar, erwartbar, womöglich entbehrlich…“

Der Münchner Professor für Medienethik, Alexander Filipović, bringt diese fatale Rollenverteilung auf den Punkt: „Die Entrüstung über journalistische Fehlleistungen wird Teil der Aufführung“. Medienkritik lässt sich bequem als unterhaltendes Element in die Medienwelt integrieren. Das heißt, die Medienkritiker von heute kommen über das Stadium des Hofnarren selten hinaus.

Der Ast, auf dem die Medienkritiker sitzen

Es wäre daher überfällig, die Medienkritik aus ihrer Nischenexistenz zu befreien und zur großen Gesellschaftskritik zu machen. Doch ohne bewusste Anknüpfung an die historische Tradition der Kritik und ohne selbstkritische Betrachtung der eigenen Profession wird das nicht gelingen.     

In der Geschichte der Medienkritik gab und gibt es herausragende Figuren, von Karl Kraus bis Heinrich Böll, von Noam Chomsky bis Neil Postman, von Oliver Kalkofe bis Jan Böhmermann. Die Mehrzahl der Medienkritiker aber besteht aus freien Journalisten, die von der Branche leben müssen, die sie kritisieren. Ihre moralische Sonderposition als „selbst ernannte Wächter und Richter“ der Medienwelt macht sie bei vielen Kollegen suspekt. Denn Medienkritiker finden sich in einer ähnlichen Doppelrolle wie Whistleblower: Sie ‚verraten’ ihre Kollegen und pochen zugleich auf hohe ethische Standards. 

Ihre prekäre Außenseiterposition verleitet Medienkritiker zudem zu Kompromissen, die für Hofnarren, die überleben wollen, charakteristisch sind. Sie entwickeln individuelle Kosten-Nutzen-Rechnungen: Mit wem verdirbt man es sich besser nicht, wem möchte man gefallen oder einen Gefallen tun? Der Übergang von der journalistischen Sorgfalt zur Sorge um die eigene Existenz ist fließend und für Leser und Zuschauer kaum durchschaubar. So kritisieren Medienkritiker Medien, in denen sie selbst veröffentlichen (wollen), in der Regel nicht. Ein Ausweg könnte sein, die Medienkritik an branchenferne Berufe zu delegieren oder an „Outsider“ wie den Youtuber Rezo. Doch selbst wenn die Medienkritik vom eigenen Gewerbe völlig unabhängig wäre, bliebe die Frage: Wo veröffentlichen? 

Im beginnenden Zeitalter der Aufklärung war das kein Problem. Das von der Kritik genutzte Medium verkörperte die Kritik, ja es war buchstäblich ihr Ausdruck. Denn Bücher, Druckereien, Flugblätter zählten zu jenem neumodischen Teufelswerk, das die Kirche, um ihre Macht zu sichern, verhindern wollte. Kritiker der Kirche nutzten also gerade nicht die Kirchenkanzel für ihre Kritik, sondern etwas Neues. Medienkritik bräuchte daher ein Transportmittel, das sich von herkömmlichen Medien unterscheidet. 

Bis vor wenigen Jahren glaubte man, dieses Gegenmittel sei das Internet. Doch von der anfänglichen Hoffnung ist wenig geblieben. Das World Wide Web wird heute von Internet-Konzernen und klassischen Medien dominiert. Die idealistischen Watchblogger der Frühzeit sind müde oder mit dem schieren Überleben beschäftigt. Dazu kommt, dass die Internet-Konzerne mit den Altmedien verschmelzen. Die Übernahme der Washington Post durch Amazon-Gründer Jeff Bezos war nur das Vorspiel. Die Räume für unabhängige Medienkritik werden auch im Internet enger.

Wettlauf zwischen Hase und Igel

Hinzu kommt das Problem des Agenda-Settings. Kaum ein Medienkritiker setzt eigene Themen, die meisten hecheln den Themen hinterher, die von den Medien gesetzt werden. Das führt zu der absurden Situation, dass genau in dem Moment, in dem die Kritiker mit tiefer gehenden Qualitätsanalysen beginnen, das Thema schon wieder „durch“ ist. Man eilt von Katastrophe zu Skandal, von Enthüllung zu Unglück, von Terroranschlag zu Fehlverhalten. Medienkritik, die hier am Ball bleiben will, hat es schwer. De facto verfällt sie dem gleichen Herdentrieb wie die lauthals Kritisierten. Denn nichts ist so alt wie die Medienkritik von gestern. 

Der ewige Wettlauf zwischen Medien und Medienkritik ist von letzterer nicht zu gewinnen. Die Frustration über diesen Zustand äußert sich dann in kleinlicher Nörgelei und Pedanterie, in moralischer Schelte und sarkastischer Schmähkritik – selten in „ausgeruhter“ Analyse oder fundierter Untersuchung. Wie unter Hypnose folgt die Medienkritik jenen an- und abschwellenden Empörungszyklen, die sie eigentlich hasst.

Von der Kraftlosigkeit positiven Denkens

Weil Medienkritiker das erkannt haben, konzentrieren sie sich seit geraumer Zeit auf die Etablierung funktionierender Geschäftsmodelle für Medienkritik. Bei den in der Branche beliebten Debatten über „die Zukunft des Journalismus“ kann man die Beobachtung machen, dass Medienkritiker oft „geschäftstüchtiger“ denken als Medienmacher. Besonders wichtig ist ihnen z.B., wie „snackable“ ihre Kritiken sind. Unterhaltsame, leicht konsumierbare Beiträge werden bevorzugt. So ergibt sich die paradoxe Situation, dass unabhängige Medienkritiker, die im eigenen Medium produzieren, nicht nur zunehmend in Kategorien von Marketingfachleuten denken, sie nutzen auch deren Verkäufer-Vokabular und geraten dabei in die Falle des ‚constructive criticism’: Sie kritisieren die „Produkte“ der Medien zu dem Zweck, sie „etwas besser zu machen“. Sie fungieren als Berater.

„Nur der ist zur Kritik berechtigt, der eine Aufgabe besser lösen kann.“ Das ist ein Satz , der aus dem technikbesessenen Silicon Valley stammen könnte. Tatsächlich hat ihn Adolf Hitler gesagtals er sich 1934 anschickte, seine innerparteilichen Kritiker brutal zu beseitigen. Die Vorliebe für „konstruktive Kritik“ ist aber keineswegs nur Diktatoren eigen. Auch christliche Denker wie Norman Vincent Peale, Autor des Bestsellers „Die Kraft des positiven Denkens“, distanzieren sich vom zersetzenden Negativen:„Wir müssen immer zwei Arten von Kritik unterscheiden“, schreibt Peale, „die wohlwollende, aufbauende, taktvolle und die schroffe, ätzende, gehässige.“

Dass die Medienkritik heute gern auf Positives setzt, hängt mit dem Aufkommen des unternehmerischen Denkens zusammen, das vor allem unter „freien“ Autoren grassiert. Mit Hilfe des „entrepreneurial journalism“ träumen sie davon, eines Tages vom journalistischen Tellerwäscher zum Inhaber eines kleinen Medienbetriebs aufzusteigen. Doch ein eigener Betrieb ändert notgedrungen den Blick auf die Sachzwänge der eigenen Branche: Plötzlich akzeptiert man die Notwendigkeit, zu übertreiben, um Aufmerksamkeit zu erregen und die Fans bei der Stange zu halten. Plötzlich wird „die Verkaufe“ besonders wichtig. So entflieht der Medienkritiker dem Status des Hofnarren, um als blitzsauberer Held des Medien-Beratungsgeschäfts auf die Bühne zurückzukehren.

Für einen Perspektivenwechsel

Um den genannten Dilemmata zu entgehen, müssten die Medienkritiker erst einmal einen Schritt zurücktreten. Nur so ließe sich ein größerer Zeitraum überblicken, nur so würde man Traditionen entdecken, an die man heute anknüpfen könnte. 

Kritik als rationale Form der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit ist ja als eigenständige Disziplin erst entstanden, als Wissenschaft und Religion, die lange als Einheit fungierten, Ende des 17. Jahrhunderts durch die Arbeit der Aufklärung getrennt wurden. Die Herausbildung des Instruments Kritik als neuartiger Untersuchungs- und Beurteilungsmethode der Wirklichkeit war das Resultat einer harten Auseinandersetzung mit der Kirche, die das Denken und Fühlen der Gesellschaften bis dahin bestimmt hatte. 

Was die Kritik der Religion für das Zeitalter der Aufklärung bedeutete („Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“) könnte die Medienkritik für die Mediokratie der Postmoderne sein. Denn heute sind es die Medien, nicht die Kirchen, welche die „Glaubensbekenntnisse“ (die Meinungen!) der säkularen Gesellschaften verbreiten, verhandeln und formen. Der Leitartikel ersetzt die Kirchenkanzel. Und die Unglücks-, Katastrophen- und Terror-Nachrichten sichern die Ruhigstellung der Menschen durch die Erzeugung von Ängsten (früher benötigte man dafür die Hölle).    

Eine Medienkritik, die sich dieser Traditionslinien bewusst wäre, müsste die Medienindustrie und ihre Hervorbringungen als spezifisches Charakteristikum postdemokratischer Herrschaftbegreifen anstatt naiv an die verklärende Erzählung zu glauben, die Medien seien dazu da, die Mächtigen zu kontrollieren. Das mag in den Anfängen durchaus ein Motiv gewesen sein. Aber so wie die Kirche im Laufe der Jahrhunderte von einer verfolgten Außenseiter-Gemeinde zu einem tragenden Pfeiler der „Allianz aus Thron und Altar“ wurde, so entwickelten sich die Medienkonzerne zu tragenden Pfeilern der Postdemokratien. Man muss nur die vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik herausgegebene Liste der 50 weltgrößten Medienunternehmen zur Kenntnis nehmen. Mit einem Umsatz von 946 Milliarden Euro im Jahr 2018 bilden diese 50 Konzerne eine Markt- und Meinungsmacht, die derjenigen der katholischen Kirche im Mittelalter durchaus nahe kommt. 

Eine Medienkritik, die über das kleinkrämerische Bekritteln falscher Bildunterschriften in der „Gelben Post“ hinausgeht, müsste also zuallererst an dieser veränderten Realität ansetzen. Denn nur durch die Kritik der Macht, die in den Internetmonopolen besonders sichtbar wird, lassen sich demokratische Vielfalt und demokratische Wahlmöglichkeiten gegen postdemokratische Demokratieverächter verteidigen. Medienkritik muss sich deshalb stärker auf die Entscheider konzentrieren, die die „Vermachtung“ der Medien betreiben. Sie muss sich mit Unternehmen und Wirtschaft beschäftigen.

Der US-Journalist Glenn Greenwald begründet diesen Wechsel der Perspektive in seinem Buch „Die globale Überwachung“ so: „Früher galten echte Journalisten als die Außenseiter schlechthin. Viele, die diesen Beruf ergriffen, wollten sich eher den Mächtigen widersetzen als ihnen dienen, und nicht nur auf theoretischer Ebene, sondern auch mit ihrer ganzen Person. Die Wahl des Journalistenberufs war praktisch eine Garantie dafür, das Dasein eines Außenseiters zu führen: Reporter verdienten wenig, hatten kein hohes gesellschaftliches Ansehen und galten meist als zwielichtig. Das ist heute ganz anders. Mit dem Aufkauf von Medienunternehmen durch die größten Konzerne der Welt wurden die meisten Medienstars zu hoch bezahlten Angestellten… Sie offerieren der Öffentlichkeit Medienerzeugnisse…, als handele es sich um Bankdienstleistungen oder Finanzprodukte.“ 

Eine Medienkritik, die diese Veränderungen ausblendet, wird in der Hofnarren-Rolle gefangen bleiben oder bestenfalls nützliche Beraterdienste für Medienkonzerne leisten.

Dieser Beitrag erschien im Dezember 2019 in der zwölften und letzten Ausgabe des Dresdner Medienmagazins „Funkturm“.

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