Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Die neue Pest: AGB

7. Juni 2011, 11:19

Es gibt eine neue Pest, die sich analog und digital schnell verbreitet. Man nennt sie „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ (AGB).

AGB ähneln den Beipackzetteln von Medikamenten. Wer sie liest, wird blass und nimmt das Medikament auf keinen Fall ein.

Also liest sie auch keiner. Egal, was man heutzutage tun muss – eine Software downloaden oder eine Versicherung abschließen – zunächst wird man genötigt, 30 winzig klein gedruckte Seiten AGB-Bestimmungen zu akzeptieren. Schon das Lesen solcher Bleiwüsten wäre ein Fulltimejob.

Die neue Pest hat auch die Vertragsbeziehungen zwischen den Autoren und den Verlagen (also zwischen Urhebern und Verwertern) vergiftet. Reichte früher eine mündliche Vereinbarung am Telefon, so ist man heute gezwungen, ziegelsteindicke Kataloge zu unterschreiben – sonst bekommt man keinen Marktzutritt oder das vereinbarte Honorar wird bis zur Unterschrift zurückgehalten. Wildwest-Manieren.

Deutschlands Medienpolitiker verschließen vor dieser Entwicklung die Augen. Sie glauben, das Urheberrecht sei dazu da, die Urheber zu schützen. Selten so gelacht. Die Vertragswirklichkeit hat das Urheberrecht in eine Kapitulationserklärung verwandelt. Die Verwerter rauben den Urhebern alle Rechte. Gäbe es richtige Verträge, so könnten beide Seiten ihre Interessen einbringen, und keine Seite wäre „unangemessen benachteiligt“. Bei den AGB aber diktiert eine Seite die Bedingungen ganz allein.

Die AGB der Verlage nennen sich meist „Rahmenverträge“. In den vergangenen Jahren haben alle großen Verlage damit begonnen, freien Autoren solche „Rahmenverträge“ unter die Nase zu halten.

Ausgebuffte Profis gehen natürlich ungeheuer souverän damit um. Sie behandeln die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ wie Medikamenten-Beipackzettel: Sie nehmen ihren Inhalt nicht zur Kenntnis. Wird schon nichts passieren. Sie wollen kein Gezerre um Paragraphen und keine Korinthenkackerei. Sie wollen „gute Geschichten schreiben“. Dass sich ihre Vertragsposition durch solche „Rahmenbedingungen“ immer weiter verschlechtert, merken sie nicht – bis sie eines Tages ein Problem haben. Aber dann ist es zu spät.

Um den Lesern eine Vorstellung zu vermitteln, wie ein solcher „Rahmenvertrag“ aussieht, zitiere ich nachfolgend einen Auszug aus den AGB, die der Verlag Gruner & Jahr an die freien Mitarbeiter seiner Wirtschaftsmedien (Capital, Impulse, FTD usw.) verschickt. Es handelt sich um „ganz normale“ AGB, nicht um blanke Unverschämtheiten, wie sie etwa das Nordost-Mediahouse vor einiger Zeit durchsetzen wollte.

Zwar scheitern allzu unverschämte AGB meist vor den Gerichten, aber die Verlage probieren es immer wieder. Denn die Gerichte kassieren in der Regel nur einzelne Bestimmungen, der Rest bleibt unbeanstandet. So basteln sich die Verlagsjuristen mit Hilfe der Gerichte Schritt für Schritt gerichtsfeste „Rahmenverträge“ zusammen, die nach außen „völlig normal“ aussehen, den Urhebern aber praktisch alle Rechte nehmen (= total buy out):

„(2.1.) Der Vertragspartner (sic!) räumt den G+J Wirtschaftsmedien das räumlich, zeitlich und inhaltlich unbeschränkte Recht ein, die Beiträge im In- und Ausland auf sämtliche – auch im Zeitpunkt des Auftrags unbekannte – Nutzungsarten für sämtliche Zwecke zu nutzen. Die G+J Wirtschaftsmedien haben insbesondere das Recht, die Beiträge beliebig oft für redaktionelle, werbliche und gewerbliche Zwecke in Printmedien (insbesondere Zeitungen, Zeitschriften, Sonderausgaben und Sonderdrucken der Beiträge, Zeitungen und Zeitschriften, Büchern und Kalendern), in (Lizenz- und Merchandising-)Produkten der G+J Wirtschaftsmedien, in Rundfunk, Film, Fernsehen, im Internet, in Mobilfunknetzen, anderen Datennetzen, auf Datenträgern und in jeglicher sonstiger digitaler Form (alle Speicher-, Träger- und Übertragungstechniken und -geräte, z.B. als e-Paper, e-Magazine oder mobile Applikation) zu nutzen, die Beiträge in Datenbanken zur Recherche und zum Download bereitzuhalten, zu digitalisieren, zu archivieren und in Pressespiegeln sowie in der Öffentlichkeitsarbeit und Eigenwerbung für die Medien und Produkte der G+J Wirtschaftsmedien zu nutzen. Die G+J Wirtschaftsmedien dürfen die Nutzungsrechte auf Dritte übertragen…

(3.1.) Mit der Zahlung des vereinbarten Honorars ist die beliebig häufige Nutzung der Beiträge im Sinne der Ziffer 2.1 für Publikationen, Internetauftritte und alle sonstigen (Lizenz- und Merchandising-)Produkte der G+J Wirtschaftsmedien im In- und Ausland, gleichgültig in welchen Medien sie erscheinen, die Öffentlichkeitsarbeit und Werbung für diese Medien und Produkte der G+J Wirtschaftsmedien, insbesondere im Handel und in allen Medien, die Nutzung durch Werbeagenturen und andere Dritte, die in diesem Zusammenhang für die G+J Wirtschaftsmedien tätig sind, sowie die (dauerhafte) Nutzung in Archiven und in Pressespiegeln, die durch die G+J Wirtschaftsmedien oder in ihrem Auftrag von Dritten geführt werden, abgegolten…“

Dieser Vertragstext geht natürlich noch ellenlang so weiter. Denn Verlagsjuristen sind bei „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ mit Paragraphen äußerst spendabel. Sie besagen: Du kleiner Piesepampel, du bist uns mit Haut und Haaren ausgeliefert. Friss oder stirb!

Hier geht’s zur Trilogie des Urheberrechts: Gold, Pest & Parmesan

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3 Kommentare

  1. Du wolltest absehbar nicht bei G+J veröffentlichen, sagtest du?

    Das oder ein ähnliches Ding sollte man den politischen Entscheidern in Leseabstand vor die Augen binden und ihre Zimmerwände damit tapezieren. Wie ist eigentlich die Auslegung für sittenwidrig‘?

  2. Liebe Vera,
    gesagt habe ich so etwas natürlich nicht, deshalb nehme ich an, du folgerst das aus der Veröffentlichung des obigen Textes. Ich sehe das gelassen. Vernünftige Leute in der Branche erkennen längst, dass solche „Rahmenverträge“ keine nachhaltige Geschäftsgrundlage sind.

    Dass Verlage und andere Verwerter die Beiträge von Autoren und anderen Urhebern möglichst oft und vielfältig verwerten wollen, ist nicht zu kritisieren, es ist sogar zu begrüßen. Was ich kritisiere ist, dass die Urheber bei solchen „Verträgen“ kein Wort mitzureden haben und auch keinerlei Einfluss nehmen können. Hier macht sich eine Tendenz breit, die die Beziehungen zwischen Urhebern und Verwertern vergiftet.

    Verträge dürfen keine Diktate sein. Selbst bei AGB geht der Gesetzgeber davon aus, dass keine Seite „unangemessen benachteiligt“ werden darf (BGB §305ff.). Es ist deshalb der helle Wahnsinn, dass derzeit alle diese Diktate vor Gerichten landen. Aber auf unfairen „Geschäftsbeziehungen“ ruht kein Segen.

  3. Bei solchen Bedingungen sollte es auch für die Staatsanwaltschaft möglich sein ein Verfahren einzuleiten, anstatt dies nur den Vertragspartnern zu überlassen (unlauterer Wettbewerb, sittenwidriger Vertrag). Zur Zeit sind freie Journalisten (und viele andere quasi Selbstständige) der Willkür der Verlage fast machtlos ausgesetzt. Eine Einzelklage bedroht sowohl finanziell als auch was das Ansehen bei möglichen Arbeitgebern angeht die eigene Existenz.

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