Wolfgang Michal
Umbrüche & Entwicklungen

Das Urheberrecht ist die Goldgrube des 21. Jahrhunderts

14. Juni 2011, 11:11

Apple ist mittlerweile fast so wertvoll wie der Ölmulti ExxonMobil. Google und Facebook sind weltumspannende Konzerne, die allein mit Wissen und Gossip Milliarden umsetzen. Nicht mehr lang, und die globale Kreativwirtschaft wird mit den Rechten am geistigen Eigentum anderer mehr erlösen als die Automobilindustrie.

Das Urheberrecht ist veraltet, tönt es von allen Seiten. Es sei für analoge Verhältnisse geschaffen und passe nicht zur Digitalisierung. Man müsse es neu gestalten.

Vor allem die Lobby-Organisationen der Verwerter und der Nutzer spielen diese Melodie. Sie spielen sie so laut und so steinerweichend, dass die eigentlichen Schöpfer der Werke, die Urheber, kaum hörbar sind in diesem Konzert. Doch keine Sorge: Der Streit um die künftige Verteilung der Rechte am „geistigen Eigentum“ entwickelt sich auch ohne die Mitwirkung der Urheber zu einem Mega-Thema der Politik.

Im Februar lud US-Präsident Barack Obama die Giganten des Internets – Steve Jobs (Apple), Eric Schmidt (Google) und Mark Zuckerberg (Facebook) – zu einem Gipfeltreffen ins Weiße Haus, um mit ihnen einen digitalen Ausweg aus der amerikanischen Jobkrise zu finden. In Brüssel arbeitet die EU-Kommission an der Schaffung eines digitalen „Binnenmarkts für geistiges Eigentum“, und der G8-Gipfel im französischen Deauville beriet erstmals auf höchster politischer Ebene die „Eroberung“ und „Zivilisierung“ des „rechtsfreien Raums“ im Internet.

Warum ist den Mächtigen das Urheberrecht plötzlich so wichtig?

Wollen die Regierungen „die Kreativen“ vor Unbill und Ausbeutung schützen? Lieben sie die Kunst? Keineswegs. Es geht ihnen um die Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen für ihre Zukunftsindustrien, und das heißt: um die Aufrechterhaltung ihrer ökonomischen Vorherrschaft. Denn die Kulturindustrien mit ihren sorgsam gehüteten Marken-, Design-, Patent- und Urheberrechten zählen heute zu den systemrelevanten Branchen – wie die Banken oder die Automobilindustrie.

Allein die Kreativwirtschaft der EU setzte 2008 rund 860 Milliarden Euro um*. Das waren 6,9 Prozent des europäischen Bruttoinlandprodukts. In der rasch wachsenden geistigen Produktion sieht die EU-Kommission denn auch das Potential der hoch entwickelten Länder:

„Alle Formen von Rechten des geistigen Eigentums sind Ecksteine der neuen wissensbestimmten Wirtschaft. Wert, Marktkapitalisierung und Wettbewerbsvorteile der europäischen Unternehmen werden künftig zum großen Teil von deren immateriellen Vermögenswerten abhängen. Geistiges Eigentum ist das Kapital, durch das die künftige Wirtschaft genährt wird.“

Mitteilung der EU-Kommission zum strategischen Konzept für die Rechte des geistigen Eigentums in Europa, 24.5.2011

Weil hier so unglaublich viel Kapital auf dem Spiel steht, machen die Funktionäre der Kreativwirtschaft auch immer dramatischere Rechnungen auf: Laut der (von der Internationalen Handelskammer bezahlten) TERA-Studie verursachten Raubkopierer im Jahr 2008 allein in Deutschland Umsatzeinbußen von 1,2 Milliarden Euro. Dies habe die Schaffung von 34 000 neuen Arbeitsplätzen verhindert. Für alle 27 EU-Staaten zusammen errechnet die Studie einen Verlust von zehn Milliarden Euro und 186 000 Jobs. Ohne Gegenmaßnahmen sei zu befürchten, dass Internet-Piraten bis zum Jahr 2015 europaweit mehr als 600 000 potentielle Arbeitsplätze vernichteten.

Kein Wunder also, dass mit harten Bandagen gekämpft wird. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft (Eco) weist mit sichtlichem Stolz darauf hin, dass die Provider mittlerweile jeden Monat Benutzerdaten zu 300 000 Internetverbindungen an die Verwerter-Industrie liefern, damit diese der Online-Piraterie endlich das Handwerk legen kann: „Die Zusammenarbeit von Rechteinhabern, Gerichten und Internetwirtschaft gegen die Online-Piraterie funktioniert…“ In Frankreich verschickt die Internet-Kontrollbehörde Hadopi monatlich etwa 55 000 Verwarnungen an ertappte Nutzer.

Nicht nur die Verwerter, auch die Verbraucher schließen sich zusammen

Die Lobby der Netz-Nutzer hält diese Massen-Sanktionierungen für kontraproduktiv. Markus Beckedahl, Sprecher der im April gegründeten Digitalen Gesellschaft, behauptet, jeder aktive Netz-Nutzer begehe heute ständig irgendwelche Urheberrechtsverletzungen, auch wenn er nur ein Passfoto bei Facebook hochlädt oder ein YouTube-Video in die eigene Website einbindet. Solch millionenfach geübte Praxis juristisch zu verfolgen, sei weltfremd und behindere letztlich die gesellschaftliche Entfaltung.

Till Kreutzer von der Internet-Plattform iRights.info geht noch einen Schritt weiter. In einem Rechtsgutachten für den Bundesverband Verbraucherzentrale legt er dar, dass den Internetusern nicht länger zugemutet werden könne, bei der Ausübung ihrer Kreativität – etwa beim Herstellen so genannter Remixes oder Mash-Ups – von kleinlichen Urheberrechtsbestimmungen behindert zu werden. Auch müsse es Verbrauchern generell erlaubt sein, legal erworbene Downloads an Dritte zu verkaufen, weil dies ja auch bei gebrauchten Büchern oder DVDs nicht verboten sei. Insgesamt solle ein zeitgemäßes Urheberrecht den Verbrauchern mehr Rechte einräumen als bisher: „Wenn Interessen von Verbrauchern als wichtiger einzustufen sind als die der Urheber (und der Verwertungswirtschaft), muss ihnen Vorrang gewährt werden.“

Die Urheber stehen in diesem Konflikt um ihr ureigenes Recht merkwürdig im Abseits. Gewohnt, an den Rockschößen der Verwerter zu hängen und von den Netz-Nutzern nur lausige Pennys zu erlösen, verdrängen sie, dass ihre Rechte durch BuyOut-Verträge, Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und eine netz-immanente „Kultur des Kopierens“ längst ausgehebelt sind.

Würde das Urheberrecht morgen abgeschafft, die Urheber würden es nicht einmal merken.

*Zur Kreativwirtschaft zählen laut Forschungsbericht Nr.594 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWI) elf Teilmärkte: Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für darstellende Künste, Architekturmarkt, Designwirtschaft, Pressemarkt, Werbemarkt, Software/Games-Industrie und ein nicht näher definierter Teilmarkt „Sonstige“.

Hier geht’s zur Trilogie des Urheberrechts: Gold, Pest & Parmesan

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2 Kommentare

  1. Das trifft den Kern des Problems. Urheber werden, wenn überhaupt, längst nicht mehr für die Verwendungen ihres Werkes bezahlt, sondern dafür, „regelmäßig zu liefern“.
    Deutlich wird dies, wenn man all den Aufwand betrachtet, der dem Kopieren, dem Bereithalten und dem Monetarisieren dieser Prozesse gilt.
    Ein System, zu schaffen von Banken und IT-Industrie in Verbindung mit Verlagen, das den Urhebern einfaches Bepreisen, Download nur nach Bezahlung und einfaches Uploaden ihrer Werke ermöglicht, fehlt noch immer.

  2. Der Meinung von ‚Experten‘ Till Kreutzer kann ich nicht zustimmen, da im Gegensatz zum Verkauf eines gebrauchten Buches beim Verkauf eines ‚gebrauchten‘ downloads das download weiterhin auf dem Medium des Verkäufers existiert – somit eine Vervielfätligung stattfindet. Infolgedessen haben der Urheber, Produzenten…erhebliche Mindereinnahmen (weniger Verkäufe) und es besteht die (berechtigte) Gefahr des kriminellen Mißbrauchs, da jeder (s)ein download auch tausendmal verkaufen könnte.

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